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Macht und Ideologie in Europa: Wie die EU regiert wird

21.01.2002  |  Dr. Bruno Bandulet
- Seite 3 -
Die drei Säulen der EU

Nach offizieller Darstellung haben EU und EG drei Säulen. Die erste Säule ist die EG mit dem Gemeinschaftsrecht, dem Haushalt, den ganzen Richtlinien und Verordnungen, den Subventionen, usw. Die zweite Säule ist die angestrebte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Die läuft nicht über die Kommission, dafür sind bisher die EU-Regierungen zuständig. Die dritte Säule ist die Justiz- und Einwanderungspolitik, die sehr wichtig werden wird in den nächsten Jahren.

Wenn nun die EU einen Antrag stellen würde auf Eintritt in die EU, würde sie gar nicht aufgenommen. Warum? Weil die EU nach ihren eigenen Regeln nur demokratische Länder aufnehmen darf. Sie dürfte nicht eintreten. Denn hier wird alles auf den Kopf gestellt, was Sie aus einer normalen Demokratie kennen - nicht nur die Gewaltenteilung. In der EU besteht der Gesetzgeber aus Regierungsvertretern, und die Regierung, das ist die Kommission, besteht aus nicht gewählten Leuten.

Dann haben wir die Justiz mit dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, der nicht etwa nur bestehendes Recht auslegt, sondern ständig neues Recht schafft. Der gefährlichste und vielleicht wichtigste Grundsatz der EU ist, daß nationales Recht gebrochen wird durch europäisches Recht. Das stand ursprünglich nie in keinem Vertrag. Das begann als Interpretation des Europäischen Gerichtshofes - und fand sich dann erst im Amsterdamer Vertrag.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat dem noch 1993 widersprochen und damit gedroht, daß es im Konfliktfalle dem nationalen deutschen Recht den Vorrang einräumen würde. Wenn wir uns die Frage stellen, ob diese EU auch wieder scheitern kann, muß man an das Karlsruher Urteil denken. Das ist ein möglicher Punkt, an dem es wirklich zum großen Konflikt kommen kann: wenn ein Verfassungsgericht, sei es in Deutschland oder anderswo, sich gegen EU-Recht stellt. Das wäre der absolute Konfliktfall.


Im Zentrum: Die Kommission

Aber zurück zu dieser eigenartigen Gewaltenteilung in Brüssel. Im Zentrum stehen, wie Sie wissen, die 20 Kommissare. Die Anzahl der Kommissare soll übrigens laut Nizza-Vertrag, der ja noch nicht rechtsgültig ist, weil er von Irland abgelehnt wurde, auf bis zu 27 erhöht werden. Bei 27 EU-Mitgliedern hätte dann jedes Land einen Sitz in der Kommission.

Heute ist es so, daß die großen Länder zwei Kommissare haben, die kleinen Länder einen. Und wenn mehr als 27 Mitglieder eingetreten sind, soll rotiert werden, weil man die Gesamtzahl der Kommissare nicht über 27 ansteigen lassen will.

Diese Kommissare haben eine enorme Macht, obwohl es keine richtige Regierung ist. Sie haben keine Armee und keine Polizei. Sie besitzen auch keine staatliche Verwaltung, für die man ja viel Personal braucht. Sie erteilen nur die Anweisungen an die Verwaltung in den einzelnen Ländern. Dafür können sie aber enorme Bußgelder verhängen. Sie sind die Hüter der Verträge, wie es offiziell heißt.

Der zuständige Kommissar für den Wettbewerb ist einer der mächtigsten Männer Europas, das muß man ganz klar sehen. Diese Kommissare tun manchmal gar nichts, dann machen sie am wenigsten Fehler. Z.B. der Kommissar Bangemann, der hatte die Arbeit durch seinen Kabinettschef machen lassen. Bangemann war berüchtigt dafür, nach Danzig zum Segeln zu fahren. Er hat sich übrigens zweimal den Dienstwagen stehlen lassen auf diesen Reisen.

Aber nicht einmal der Kabinettschef des jeweiligen Kommissars macht die Kleinarbeit, sondern er gibt das, was er vom Kommissar gehört hat, weiter an die jeweilige Generaldirektion. In der Generaldirektion - es gibt mehr Generaldirektoren als Kommissare - wird die Feinarbeit gemacht. Wenn der Kommissar eine neue Verordnung will, sagt er es dem Kabinettschef, der Kabinettschef sagt es dem Generaldirektor, und dessen Leute setzen sich dann hin und produzieren jedes Jahr diese zwei Millionen Seiten. So funktioniert das.

Brüsseler Verordnungen...

Was kommt alles aus Brüssel? Es sind Verordnungen, aber auch Richtlinien. Das ist sehr wichtig, natürlich auch für die Schweiz. Denn die Verordnung ist die stärkste Form der europäischen Gesetzgebung. Die Verordnung, die aus Brüssel kommt, muß sofort ange-wandt werden in der gesamten EU. Da gibt es keine Diskussion mehr. Die kann auch nicht aufgehoben werden durch eine Volksabstimmung. Selbst Irland hat noch nie eine Verordnung aufgehoben. Bei Nizza war das etwas ganz anderes: Das war ein völkerrechtlicher Vertrag.

Die Verordnungen werden ohne das übliche parlamentarische Verfahren eingeführt. Weil, vergessen Sie das bitte nicht, das Europäische Parlament nicht das Recht hat, Gesetze einzubringen. Es hat nicht das Recht der Gesetzesinitiative. Und damit fehlt ihm natürlich eine ganz wesentliche Voraussetzung für ein richtiges Parlament. Es ist in das Zustimmungsverfahren eingebunden auf eine sehr komplizierte Art und Weise, die jetzt auszuführen zu weit gehen würde. Aber es kann keine Gesetze initiieren. Und was noch viel schlimmer ist, das Europäische Parlament kann keine Gesetze abschaffen. Was ja viel segensreicher wäre, als neue zu erlassen. Das ist übrigens das Beachtliche bei der neuen italienischen Regierung: sie ist dabei, Gesetze und Verordnungen einfach zu streichen. Das ist ein Novum.


... und Richtlinien

Nach der Verordnung rangiert die Richtlinie. Und die ist ein bißchen anders. Wenn aus Brüssel eine Richt-linie kommt, dann müssen die nationalen Parlamente diese noch umsetzen in nationales Recht. D.h. dann muß der Bundestag zusammentreten und sich die Richtlinie anschauen und daraus ein Gesetz machen. Dazu ist er verpflichtet. Mir fällt keine Richtlinie ein, die nicht umgesetzt wurde. Allenfalls verschleppte oder verzögerte man deren Umsetzung. Dann kommt jeweils eine Rüge aus Brüssel, daß man sich beeilen möge.

Und dann gibt es noch die Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Jacques Delors, der frühere mächtige Kommissionspräsident, hat einmal gesagt, wenn wir es demokratisch gemacht hätten, wären wir gar nicht so weit gekommen. Er hat auch einmal gesagt, 50% aller Gesetze in der EU kämen aus Brüssel und 80% aller Wirtschaftsgesetze.

Die Wirtschaftsgesetze sind ja nicht gerade die unwichtigsten. Das heißt im Klartext, daß bei 50 oder 80% der gesamten Gesetzgebung der gewählte Gesetzgeber, nämlich das Parlament in den einzelnen Ländern, ausgeschaltet wurde. Ich frage mich manchmal, ob ich das vielleicht zu pessimistisch sehe oder zu dramatisch. Ich zitiere Ihnen jetzt einen ganz unverdächtigen Kronzeugen.



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