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Macht und Ideologie in Europa: Wie die EU regiert wird

21.01.2002  |  Dr. Bruno Bandulet
- Seite 4 -
Ein Ermächtigungsgesetz

Rolf Lamprecht war 30 Jahre lang Spiegel-Korrespondent in Karlsruhe und hat dort über das Bundesverfassungsgericht berichtet. Er war immer ein erstklassiger Jurist, der politisch keiner besonderen Linie anhing. Rolf Lamprecht hat 1999 in einem Aufsatz ganz genau herausgearbeitet, was hier vor sich geht, und er hat klipp und klar gesagt, daß der Maastrichter Vertrag ein Ermächtigungsgesetz sei.

Nebenbei bemerkt, das Ganze beruht auf der Unterstellung, daß das Volk zu dumm ist, selbst zu entscheiden. Als jetzt die Abstimmung in Irland war, haben viele Politiker gesagt: "Die haben das nicht verstanden" oder: "das wurde nicht lange genug diskutiert", oder: "das ist nicht rübergekommen". Die Iren wurden hingestellt, als seien sie zu dämlich für ein Referendum. Sie müssen dann eben noch einmal abstimmen.

Ich bin gespannt, wann das Verfahren auch bei den Bundestagswahlen eingeführt wird, wenn diese nicht richtig ausfallen. Immer wieder dieser Verdacht, daß das Volk dümmer ist als die Politiker.

Da kann ich nur auf folgendes hinweisen: Die Hitler–Diktatur wurde offiziell etabliert durch das Ermächtigungsgesetz im März 1933. Erst damit war Hitler Diktator. Aber das Ermächtigungsgesetz wurde von Politikern verabschiedet. Das war keine Volksabstimmung! Das wurde verabschiedet von 82% der Parlamentarier im Reichstag. Als die Wähler zum letzten Mal frei abstimmen durften, nämlich im November 1932, erzielte die NsdAP nur 33,5% der Mandate.

Nebenbei bemerkt, wurden die großen Katastrophen, die über Europa in diesem Jahrhundert hereingebrochen sind, von einer gewissen Schicht von Politikern verantwortet, nicht von den Völkern.


Frankreichs Einfluß

Wie unabhängig ist die Kommission eigentlich? Offiziell ist sie an Weisungen der Regierungen nicht gebunden. Sie ist freilich sehr stark französisch bestimmt. Der ganze technische Ablauf, die Arbeitssprache und die Art und Weise, wie die Verwaltung aufgebaut ist, atmet den Geist des französischen Systems. Es kommt sogar vor, daß Kabinettchefs oder Generaldirektoren - also ganz, ganz wichtige Leute - gleichzeitig den Vorsitz in einer französischen Regierungskommission in Paris haben. Das ist natürlich eine sehr wirksame Verzahnung von französischen und europäischen Interessen.


Die Macht der Konzerne

Brüssel wird nicht von Deutschland beherrscht. Vor allem nicht in der Handelspolitik, die ja sehr wichtig ist für Deutschland, den mit Abstand größten Exporteur in Europa. Auch in der Handelspolitik haben sich die Deutschen herausdrängen lassen.

Besonders gravierend ist der Einfluß der großen Konzerne in Brüssel. Da habe ich bei meinen Recherchen ganz erstaunliche Sachen herausgefunden. Sie müssen sich vorstellen, daß die Kommission außerordentlich wichtig ist für die großen Unternehmen, die in ganz Europa tätig sind, weil in Brüssel die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden - und nicht mehr in den nationalen Hauptstädten.

Die Unternehmen stellen der Europäischen Kommission kostenlos Praktikanten zur Verfügung. Und es ist überhaupt nicht ungewöhnlich, daß Brüsseler Gesetze, von denen die Konzerne betroffen sind, durch ihre Leute mitformuliert werden. Das ist eine ganz, ganz enge Verzahnung, und mir sagte ein Mitglied der Kommission einmal überspitzt: "Die Unternehmen schreiben oft die Direktiven selbst, von denen sie dann betroffen sind."


Die Drahtzieher des Round Table

Ich bin neulich auf eine sehr einflußreiche Organisation gestoßen, den European Round Table of Industrialists. Das ist ein völlig informeller Club in Brüssel, in einem unscheinbaren Gebäude. Dort sind die Spitzen der europäischen Wirtschaft vertreten. Aber nicht als Firma, sondern nur in persona. Darunter der Chef von Nestlé, von Unilever, von Philipps, von Royal Dutch und so weiter. Sie treffen sich regelmäßig und versuchen, die Politik zu formulieren, die die Kommission ausführen soll. Dieser Round Table scheint enorm einflußreich zu sein. Der "Guardian", die liberale englische Zeitung, hat einmal behauptet, die Kommission sei "im eisernen Griff" des Round Table. Übrigens wurde diese geheime Nebenregierung, wie ich sie nennen möchte, schon 1983 gegründet und zwar vom Fiat-Chef Agnelli.


Geheimnisvolles COREPER

Und dann gibt es noch ein Gremium, das sich ungern der Öffentlichkeit zeigt, dessen Mitglieder aber bekannt sind: das sogenannte COREPER, das Komitee der Ständigen Vertreter. Das sind die Botschafter der Mitgliedsländer in Brüssel.

Sie müssen sich den Ablauf so vorstellen: Wenn die Minister an einem typischen Montagvormittag aus ihren Hauptstädten in Brüssel einfliegen - der eine unvorbereitet, der andere unausgeschlafen und der dritte verkatert - dann sind sie nicht immer besonders entscheidungsfreudig oder entscheidungsfähig. Dann haken sie oft nur ab, was ihnen von COREPER auf den Tisch gelegt wird. Und dann wird COREPER de facto zum heimlichen Gesetzgeber der EU.

Das Bedenkliche ist immer wieder die nichtexistente Gewaltenteilung. Wenn die Leute von COREPER zusammensitzen und etwas ausarbeiten, ist nicht selten jemand von der Kommission dabei - ein Hohn auf jede demokratische Gewaltenteilung. Auch wenn jemand die EU für eine wunderbare Sache hält, müßte er doch wenigstens zugeben, daß dies alles wenig mit Demokratie zu tun hat. Ein Luxus, den wir uns leisten sollten, ist der, daß wir nicht auch noch aus dem Kakao trinken, durch den wir gezogen werden.


Vom Rubel zum Ecu

Was mich immer wieder irritiert, sind die Ähnlichkeiten mit der Sowjetunion. Ich war wirklich überrascht, als ich folgendes Zitat gefunden habe. Der damalige Kommissionspräsident Delors war 1994 in Moskau und sprach mit der russischen Regierung. Und da erzählte ihm der russischen Regierungsvertreter, daß Moskau gerade beschlossen habe, das Rubel-Clearing-System zu beseitigen. Das war ein System für den gesamten Ostblock zur Abwicklung des Handels. Und jetzt hören Sie sich bitte an, was Delors daraufhin gesagt hat. Delors rief aus: "Aber wie konnten Sie so etwas abschaffen, wo wir uns doch von Ihrem System bei der Einführung des Ecu inspirieren liessen. Unser Ecu ist eine europäische Übernahme von dem, was Sie im Comecon taten."


Die Ideologie der EU

Wir kommen jetzt zu einer etwas schwierigeren Frage, und zwar zu der Frage, welche Ideologie dahintersteht.

Denn der Mensch legt sich für alles, was er tut, eine Rechtfertigung zu. Auch wenn sie falsch ist. So entstehen Ideologien. Man will ja nicht nur die Macht haben, sondern auch die Moral auf seiner Seite. Und so hat sich die EU in den 90er Jahren eine neue Ideologie zugelegt, die in Umrissen bereits deutlich ist und über die ich Ihnen einiges erzählen möchte. Ich denke, daß erst diese Ideologie sie gefährlich macht.

Diese Ideologie trat zum ersten Mal aus dem Schatten mit den Sanktionen gegen Österreich. Diese Sanktionen waren übrigens rechtlich gesehen keine EU-Sanktionen, das waren bilaterale Sanktionen, die wurden beschlossen von 14 der 15 Regierungen der EU. Erst der Vertrag von Nizza, der jetzt von Irland abgelehnt wurde, beinhaltet eine sogenannte "Lex Austria" - so heißt es natürlich nicht offiziell - also einen neuen Artikel, der das Procedere für solche Sanktionen genau festlegt. Das ist nebenbei bemerkt auch ein Grund, daß man nur hoffen kann, daß der Vertrag scheitert.




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