Macht und Ideologie in Europa: Wie die EU regiert wird
21.01.2002 | Dr. Bruno Bandulet
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Die neue Lex AustriaIch sage ihnen jetzt, was im Artikel 7 des Vertrages von Nizza steht, auch wenn dieser noch nicht rechtskräftig ist. Damit können einem EU-Mitglied das Stimmrecht, aber auch verschiedene andere Rechte entzogen werden. Und zwar geschieht das mit einer qualifizierten Mehrheit des EU-Rates.
Der EU-Rat besteht aus den Vertretern der Regierungen. Qualifizierte Mehrheit muß man so verstehen: Es ist nicht etwa so, daß jedes Land eine Stimme hat, sondern jedes Land hat unterschiedlich viele Stimmen je nach Größe. Qualifizierte Mehrheit heißt gegenwärtig rund 72% der Stimmen von 15 Ländern.
Was nun bedenklich ist, ist die Tatsache, daß dieses geächtete Mitglied alle Pflichten behält. Ja, es muß weiter zahlen, es muß sämtliche Verpflichtungen erfüllen. Und was das Schlimmste meiner Ansicht nach ist: es kann nicht austreten. Es darf nicht sagen: Gut, das war’s dann gewesen, auf Wiedersehen.
Der Österreich-Beschluß vom Januar 2000 kam übrigens zustande in einem Geheimverfahren, das rechtlos war, das keinerlei Grundlage in den europäischen Verträgen hatte und das als sogenannte irreguläre Maßnahme völkerrechtswidrig war. Das muß man wirklich noch einmal wiederholen. Ich finde überhaupt, daß die Rückkehr zu geordneten Zuständen in der Welt, egal ob auf dem Balkan oder sonstwo, nur darin bestehen kann, daß sich jeder an das Völkerrecht hält. Es gibt dazu keine zivilisierte Alternative.
Beim Österreich-Beschluß wurde das Völkerrecht ganz klar verletzt. Man muß sich fragen, warum. Dazu hat Professor Hondrich, ein Frankfurter Soziologe, eine sehr interessante Erklärung geliefert. Er meinte, ein tieferer Sinn dieser Österreich-Sanktionen könne darin liegen, daß man eine europäische Identität entfalten wollte, und außerdem, daß eine Gesellschaft, die sich in der Krise befindet, einen Sündenbock braucht. Statt Sündenbock kann man natürlich auch Feindbild sagen, und es stimmt, daß Feindbilder helfen, eine eigene Identität zu begründen. So ist ja auch die Identität der Nato entstanden, durch das Feindbild Sowjetunion - und das war kein erfundenes Feindbild.
Rückgriff auf Stalin
Das Interessante ist nun, daß die Identität der EU, die gegenwärtig gesucht wird, nicht mehr auf den traditionellen Werten Europas beruht, wie in der Zeit von Adenauer, Erhard oder de Gasperi, sondern, daß man eine ganz eigenartige Mixtur von neuen Werten angerührt hat. Dazu gehört der Antifaschismus.
Nicht der Antitotalitarismus, dieser war ja der Konsens der 50er, 60er und 70er Jahre. Der Antitotalitarismus war immer für einen Demokraten eine selbstverständliche Einstellung, die Ablehnung aller Systeme, die gegen die Freiheit sind. Aber der Antifaschismus ist bekanntlich eine Erfindung Stalins und der Komintern aus den 30er Jahren. Das darf man nie vergessen! Er ist als Kampfbegriff erfunden worden und wurde übrigens auch gegen die SPD verwendet, gegen die sogenannten Sozialfaschisten.
Die DDR hat immer mit dem Antifaschismus gearbeitet. Das ist eine erprobte Taktik, den Gegner ins Unrecht zu setzen und zu assoziieren, er sei Hitler-Sympathisant. Dieser Antifaschismus distanziert sich eben nicht von allen Diktaturen, vor allem nicht von den kommunistischen. Und in diese Richtung ist die EU gerückt.
Warum sagte Mitterrand 1991 zu Gorbatschow, Frankreich werde nie etwas tun, um das Auseinanderfallen der Sowjetunion zu erleichtern? Warum dieses Interesse am Fortbestand der Sowjetunion? Oder warum die dauernden Drohungen gegen jeden, der eine Volksabstimmung abhalten will? Österreich wurde bedroht, als dort diskutiert wurde, eine Volksabstimmung abzuhalten. Die tschechische Regierung wurde aus Brüssel ermahnt, keine Volksabstimmung abzuhalten. Oder auch die Reaktion auf die Volksabstimmung in Irland.
Überhaupt finde ich, daß es eine ganze Reihe von marxistischen Anleihen in dieser neuen EU-Ideologie gibt. Ich behaupte ja nicht, daß die Kommission aus Marxisten besteht. Das ist nicht der Fall. Aber es gibt sehr viele Anleihen aus dem Marxismus.
Anleihen von Marx
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele. Das erste Prinzip des Marxismus ist bekanntlich der Materialismus, auch das Leugnen von Gott usw. Der Materialismus besagt, daß nur das Materielle den Menschen und den Fortgang der Dinge auf der Welt beherrscht. Das ist im wesentlichen auch die Einstellung der EU. Die EU definiert sich primär über Wirtschaftsinteressen. Das Ganze atmet den Geist des Materialismus.
Ein zweites Prinzip des Marxismus ist der historische Determinismus. Und zwar besagt dieser, dass die Geschichte in unabänderlichen Bahnen verlaufe, egal, was wir tun, bis hin zum Sieg des Sozialismus und des Kommunismus. Genau diese Bilder werden immer wieder in der EU verwendet. Der deutsche Altkanzler Kohl z. B. gebrauchte gerne das Bild vom Zug, der abgefahren ist. Vielleicht kann man noch aufspringen - wer nicht aufspringt, hat Pech gehabt. Nur wird nicht genau erklärt, in welchem Zielbahnhof der Zug ankommen wird. Es darf auch nie darüber diskutiert werden, ob es Alternativen zu dieser Konstruktion der EU gibt. Die gibt es natürlich.
Ich habe noch eine Gemeinsamkeit gefunden - und zwar die Theorie vom Absterben der Nationen. Die ist rein marxistisch. Das können Sie schon bei Lenin nachlesen. Der gefährlichste Teil des Marxismus besteht ja aus dem Leninismus. Lenin ist der Mann, der die Anleitung zum Handeln gegeben hat. Lenin hat immer gesagt: der Staat verschwindet letzten Endes, die Nationen sowieso. Natürlich hat der Marxismus immer die Souveränität der Nationen bestritten. Aber genau das tut auch die Europa-Ideologie. Wo ist da der Unterschied?
Europa und die Nation
Nach der Europa-Ideologie ist die Nation von vorneherein verdächtig, sie muß Souveränität abgeben. Die propagandistische Untermalung ist folgende: Nationen führen zum Krieg. Altkanzler Kohl hat den Deutschen in einer Rede den Euro mit dem Argument schmackhaft gemacht, daß es sonst Krieg gebe. Wer gegen wen soll denn Krieg führen? Greift Portugal Spanien an oder Frankreich England?
Der erste Weltkrieg war, wie jeder Historiker weiß, ein Resultat des damaligen imperialistischen Systems, und das ist nicht identisch mit dem System der Nationalstaaten. Aber, egal, was früher war: Welche Nation will denn heute eine andere angreifen? Das wird einfach immer wieder behauptet und partiell übrigens auch geglaubt, weil die Leute eingeschüchtert sind. Natürlich will jeder Frieden, und wenn den Leuten gesagt wird, wenn die Nationen bleiben, dann gibt es Krieg, dann bekommen sie Angst. Auch Deutschland wird Frankreich nie wieder angreifen, weil die Bundeswehr dazu gar nicht in der Lage ist und, vor allem, weil es niemand will. Es ist völlig absurd.
Ich persönlich halte die Nation nicht für sakrosankt oder für das einzig denkbare Prinzip. Vielleicht gibt es irgendwann einen europäischen Staat. Er ist gegenwärtig allerdings schwer vorstellbar. Aber über eine Sache bin ich mir ziemlich sicher: Sie können gegenwärtig Nation und Demokratie nicht voneinander trennen in Europa. Wenn Sie die Nation entmachten, ihr die Souveränität nehmen, dezimieren Sie gleichzeitig die Demokratie. Es ist eine Tatsache, daß in Europa die Demokratie zusammen mit dem Nationalgedanken entstand.