Bankgeheimnis Geldschöpfung
17.12.2009 | Bernd Senf
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Vom Bargeld zum Giralgeld Das Verhältnis von (Zentralbank‐)Bargeld zum Giralgeld der Geschäftsbanken ist sehr ähnlich dem Verhältnis von Goldmünzen zu Banknoten. Ein Beispiel soll wieder zur Veranschaulichung dienen: Werden 100 Euro Bargeld vom Bankkunden A zur Geschäftsbank GB‐1 gebracht und auf ein Girokonto eingezahlt, entsteht auf diesem Konto ein Guthaben in gleicher Höhe. Weil der Bankkunde über dieses Guthaben vereinbarungsgemäß jederzeit verfügen kann, das Geld also auf kurze Sicht zum Beispiel in bar abheben oder unbar auf andere Konten überweisen lassen kann - und weil das Guthaben durch Einzahlung oder Einlage entstanden ist, spricht man von "Sichteinlage" - im Unterschied zu Termineinlagen und Spareinlagen, die längeren Bindungsfristen unterliegen. Die erste Sichteinlage ist noch vollständig durch Bargeld gedeckt.
Wenn nun Bankkunde A an den Bankkunden B bei der gleichen Bank 100 Euro zahlen will, könnte er diesen Betrag von seinem Girokonto abheben, dem B in bar aushändigen, und B könnte ihn wieder bei der gleichen Bank auf sein Girokonto einzahlen und dafür ein Sichtguthaben von 100 Euro bekommen. Dieser Vorgang ist allerdings viel umständlicher, als wenn A den Betrag von der Bank direkt auf das Konto des B überweisen lässt - ohne eine dazwischen geschaltete Barabhebung durch A und Bareinzahlung durch B. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass B die Überweisung als Bezahlung akzeptiert. Er wird dies tun, wenn er darauf vertraut, dass er dieses Sichtguthaben jederzeit in bar abheben oder per Überweisung oder Scheckkarte darüber verfügen kann. Für die Durchführung der bankinternen Überweisung braucht die Bank kein Bargeld zu bewegen, sondern lediglich eine Umbuchung vorzunehmen: vom Konto des A den Betrag abbuchen und dem Konto des B zubuchen oder gutschreiben. Früher wurde das tatsächlich in den Büchern der Banken verbucht (daher auch der Ausdruck "Buchgeld", was das gleiche bedeutet wie "Giralgeld").
Angenommen, die bargeldlosen Zahlungen haben sich so weit durchgesetzt, dass nur noch maximal 1/3 der Sichtguthaben in bar von den Girokonten abgehoben werden. Dafür muss die Bank Vorsorge treffen und eine entsprechende Barreserve halten, um der vereinbarten Bargeld‐Einlösegarantie gerecht zu werden. 2/3 er anfänglich von A eingezahlten 100 Euro bleiben demnach als Überschussreserve übrig. Eigentlich gehören sie anfangs dem A, und nach der Überweisung auf das Konto des B sollten sie dem B gehören. Eigentlich müssten sie auch zu 100% in der Kasse oder im Tresor der Bank in bar gehalten werden. Dann wäre es eine 100%‐Deckung oder eine Volldeckung des Giralgeldes durch Bargeld.
Grundlagen der Giralgeldschöpfung aus dem Nichts
Die Geschäftsbank könnte aber auch auf die Idee kommen, die 2/3 Überschussreserve anderweitig zu verwenden - in dem Vertrauen darauf, dass sie nicht durch Barabhebungen angetastet werden und insofern nur ungenutzt lagern würden. Sie könnte diese 66,66 Euro zum Beispiel in bar als Kredit an Dritte verleihen - gegen Zinsen, Tilgung und Sicherung - und sich damit ein Zubrot "verdienen". Oder noch besser: Sie verwendet die 2/3 als Grundlage für die Schöpfung von 2 x 100 Euro aus dem Nichts, die sie dem C und dem D jeweils als Kredit gewährt und als Sichtguthaben auf deren Girokonto bucht. Für den angenommenen Fall, dass auch diese Sichtguthaben maximal bis zu 1/3 abgehoben werden, würde die Überschussreserve von 66,66 Euro (= 2 x 33,33 Euro) ausreichen. Wo vorher durch Bareinzahlung von 100 Euro nur ein Sichtguthaben in gleicher Höhe entstanden war, sind jetzt zwei weitere Sichtguthaben je 100 Euro entstanden - und zwar allein durch entsprechende Buchungen auf die Konten von C und D.
Auf der einen Seite verpflichtet sich Bank gegenüber C und D, die Guthaben jederzeit in bar einzulösen oder entsprechende Überweisungen durchzuführen (was in der Bankbilanz auf der Passivseite erscheint), auf der anderen Seite verfügt sie über jeweils eine Forderung gegenüber den Schuldnern D und D auf Verzinsung und Tilgung des eingeräumten Kredits (was auf der Aktivseite der Bankbilanz erscheint). Dadurch hat sich die Bilanz der Bank auf beiden Seiten um den gleichen Betrag verlängert ("Bilanzverlängerung").
Durch Giralgeldschöpfung aus dem Nichts hat die Bank in diesem Beispiel den anfänglichen Betrag von 100 Euro auf 300 Euro vergrößert, indem sie auf einem Sockel von 100 Euro Bargeld einen dreifachen Überbau von 300 Euro Giralgeld errichtet hat. Auf die Gesamtwirtschaft übertragen würde das bedeuten: das von der Zentralbank geschöpfte Geld würde um das von den Geschäftsbanken geschöpfte Giralgeld ergänzt. Auch wenn Giralgeld im rechtlichen (noch) nicht als gesetzliches Zahlungsmittel gilt, sondern nur als Anspruch auf Einlösung in Bargeld, wirkt es im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf doch längst wie Zentralbankgeld, weil man auch mit Giralgeld Güter und Dienstleistungen (also Sozialprodukt) kaufen und auch Steuerschulden und andere Schulden damit begleichen kann. (Die offizielle Definition der Geldmenge M‐1 umfasst entsprechend auch die Summe aus Bargeld und Giralgeld.)
Was hier nur am Beispiel einer Bank mit bankinternen Überweisungen und Kreditvergaben dargestellt wurde, wird etwas komplizierter, wenn es sich zum Teil auch um bankexterne Überweisungen handelt. Aber am Prinzip ändert sich dabei wenig. Angenommen, einige Überweisungen gehen von GB‐1 an Kunden einer anderen Geschäftsbank GB‐2, dann müssten diese Überweisungen eigentlich begleitet sein durch entsprechende Bargeldbewegungen von GB‐1 nach GB‐2, ließen sich also doch nicht einfach durch Umbuchungen abwickeln.
Andererseits wird es auch Überweisungen in umgekehrter Richtung geben (dies um so mehr, je größer die Banken und die Anzahl ihrer Kunden ist), so dass Bargeld pro Tag jeweils nur in Höhe des verbleibenden Saldos bewegt werden müsste. Und das ist zwischen großen Banken deutlich weniger als das gesamte Überweisungsvolumen. Wenn die großen Banken einigermaßen im Gleichschritt Giralgeldschöpfung betreiben, ergibt sich für alle ein größerer Spielraum. Nur die kleinen Banken haben kaum die Möglichkeit der Giralgeldschöpfung, weil ihre Überweisungen in der Regel überwiegend bankextern sind und von außen nur wenige Überweisungen eingehen.
Grenzen der Giralgeldschöpfung
Anfang der 30er Jahre betrug das Verhältnis von Bargeld zu Giralgeld in den USA schon ungefähr 1 : 10. Bei noch weiterer Verbreitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs (Scheckkarten usw.) kann das Verhältnis noch viel weiter ansteigen (zum Beispiel auf 1 : 20 oder 1 : 40), wenn dem nicht gesetzliche Schranken gesetzt werden. Eine der möglichen Beschränkungen liegt in der "gesetzlichen Mindestreserve", die die Zentralbanken von den Geschäftsbanken in manchen Ländern fordern können - und die den Spielraum für die Giralgeldschöpfung im Rahmen der so genannten „Mindestreservepolitik“ mehr oder weniger einschränken können. Aber auch dort, wo dieses geldpolitische Instrument angewendet wurde oder wird, geht es nicht darum, die Giralgeldschöpfung ganz zu unterbinden, sondern nur zu begrenzen.
Eine weitere Möglichkeit der Begrenzung liegt in gesetzlichen Beschränkungen der Kreditvergabe im Verhältnis zum Eigenkapital der Banken. Eine gesetzliche Veränderung der geforderten Eigenkapitalquote kann bisherige Spielräume der Giralgeldschöpfung schlagartig in die eine wie in die andere Richtung verändern und Bankensysteme ganzer Länder in die Krise stürzen. Problematisch werden solche Vorschriften insbesondere dann, wenn sie ohne Rücksicht auf die besonderen Bedingungen einzelner Länder weltweit durchgesetzt werden, wie zum Beispiel durch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, einer Art Zentralbank der Zentralbanken, die weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt im Hintergrund agiert.