Bankgeheimnis Geldschöpfung
17.12.2009 | Bernd Senf
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Zur Problematik der Giralgeldschöpfung Das Bankgeheimnis Geldschöpfung verdeckt die Fragwürdigkeit, dass die Banken für aus dem Nichts geschöpftes Geld von den Kreditnehmern Zinsen und Tilgung fordern - und bei Nichterfüllung auf das beliehene Eigentum der Schuldner - wie zum Beispiel Immobilien - zurück greifen und es zwangsversteigern lassen. Auf diese Weise verlieren überschuldete Schuldner zuweilen das Dach über dem Kopf und den Boden unter den Füßen. Diese Konsequenz kann auch ganze überschuldete Länder (zum Beispiel der Dritten Welt) treffen, so dass die Gläubiger die Kontrolle über Menschen und Ressourcen bekommen. Die zugrunde liegende Abfolge "Kreditbedarf - Verschuldung und Enteignung" zieht sich wie ein roter Faden, wie ein Thema mit Variationen durch einige Tausend Jahre Geldgeschichte, aber sie wird besonders grotesk, wenn die Mittel zur Kreditvergabe - wenn auch in gewissen Grenzen - aus dem Nichts geschöpft werden. Man kann diesen Zusammenhang auf einen kurzen Nenner bringen.
Mit selbst geschöpftem Geld - kaufen sie die Welt.
Und sie tragen auf diese Weise mit dazu bei, dass die exponentiell wachsenden Forderungen der Geldvermögen ermöglicht werden durch entsprechend wachsende Verschuldung, für die immer wieder Kredite bereit gestellt und Schuldner immer tiefer in die Schuldenfalle gelockt oder getrieben werden, so dass eine wachsende Zahl von ihnen zusammen brechen muss. Diese Tendenz ist im bestehenden Zinssystem in Kombination mit der Geldschöpfung des Bankensystems angelegt. Und für den Fall, dass die Forderungen ausfallen und die faul gewordenen Kredite die Bilanzen der Banken in die roten Zahlen geraten lassen, gibt es mittlerweile staatliche Rettungsschirme, für die die Zentralbanken das nötige Geld aus dem Nichts schöpft und den Staaten als wachsende Staatsschuld "bereit stellt" - bis hin zum Staatsbankrott oder zur Hyperinflation (um nur zwei mögliche Verlaufsformen zu nennen).
Es kommt noch eine weitere Problematik der Giralgeldschöpfung hinzu: Das Geldsystem insgesamt steht unter diesen Bedingungen auf einem äußerst unsicheren Fundament. Wird aus irgend welchen Gründen der schmale Bargeld‐Sockel der Geschäftsbanken vermindert, so müssen die darauf aufgebauten Kredite in Form von Sichtguthaben um ein Vielfaches zurück gefahren werden (beim Verhältnis 1 : 10 um das Zehnfache des Bargeldabflusses). Dadurch entsteht die in letzter Zeit viel beklagte, aber wenig verstandene Kreditklemme im Bankensystem. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum sowohl die Banken als auch die Regierung panische Angst vor einem Ansturm der Bankkunden auf die Banken haben. Wenn nämlich alle Inhaber von Girokonten einer Bank ihre Guthaben gleichzeitig in bar abheben wollen, würde sich auf dramatische Weise heraus stellen, dass ihr Geld gar nicht bei der Bank ist - oder jedenfalls nur ein Bruchteil davon. Die betreffende Bank müsste ihren Laden dicht machen, und die Gefahr besteht, dass dann auch andere Banken von den Kunden gestürmt werden - mit dem gleichen Ergebnis.
Wenn es erst einmal so weit kommt, nützen auch keine Einlagensicherungsfonds oder staatliche Garantien - ähnlich, wie eine Feuerwehr einzelne Brände wirksam bekämpfen kann, aber einem Flächenbrand hilflos gegenüber steht. Auf derart fragwürdigem Fundament ist das bestehende Geldsystem aufgebaut - und das weltweit. Und lange Zeit wollte kaum jemand etwas von diesem unerhörten Gefahrenpotenzial wissen (auf das ich schon in meinem Buch "Der Nebel um das Geld" 1996 hingewiesen habe).
Die Theorie der multiplen Kreditschöpfung - Verschleierung statt Aufklarung
Warum trägt die VWL‐Lehrbuchtheorie der multiplen Kreditschöpfung nicht zum wirklichen Verständnis der Giralgeldschöpfung und ihrer Problematik bei? Diese Theorie hat Modelle entwickelt, in denen die Geldschöpfung aus dem Nichts verborgen bleibt, und täuscht mit ihrer exakten mathematischen Formulierung über ihre groben inhaltlichen Mängel hinweg. Ihre Argumentation soll wieder an einem Beispiel erläutert werden. Am Anfang der Überlegungen steht eine Bareinzahlung auf ein Girokonto von 100 Euro. Wegen der erforderlichen Mindestreserve für eventuelle Barabhebungen (und vielleicht auch zur Erfüllung gesetzlicher Mindestreserve‐Verpflichtungen) - zum Beispiel in Höhe von 1/3 - würde 2/3 des Bargeldes als Kredit an einen Dritten ausgeliehen. Dieser würde mit dem Kredit Nachfrage entfalten und bei einem Vierten kaufen, und dieser Vierte wiederum würde die Erlöse auf sein Girokonto bei einer Bank in bar einzahlen.
Also kämen in diesem einfachen Beispiel in der nächsten Runde 66,66 Euro neue Bareinzahlung zur Bank, von denen wiederum (abzüglich der Mindestreserve von 1/3) die übrigen 2/3 (also 44,44 Euro) als neue Kredite ausgeliehen werden - und so weiter. Wegen der jedes Mal einbehaltenen Mindestreserve ebben die zusätzlich vergebenen Kredite immer weiter ab, aber aufsummiert über unendlich lange Zeit (mit der mathematischen Formel für unendliche Reihen) ergibt sich schließlich ein Kreditvolumen in Höhe des Dreifachen der anfänglichen Bareinzahlung. (Allgemein ist das Ergebnis immer der Kehrwert des Mindestreservesatzes (bei 1/10 sind es also 10, bei 1/20 sind es 20 usw.). Diese so errechnete Zahl wird "Kreditschöpfungs‐ Multiplikator" genannt und der Vorgang selbst "multiple Kreditschöpfung".
Dieser Vorgang grenzt fast an Zauberei, und vor lauter Bewunderung kommt kaum jemand mal auf die Frage, wie das Ergebnis eigentlich zustande gekommen und was von den Grundannahmen zu halten ist. Die Aufsummierung ökonomischer Größen - die immer zeitbezogen sind - über unendlich lange Zeit macht keinen Sinn. Auf eine sinnlose Frage kann es entsprechend auch keine sinnvolle Antwort geben. So einfach ist das - und doch so schwer zu durchschauen. Was würde sich denn an Umsätzen aus einem Euro ergeben, wenn der Euro über unendlich lange Zeit durch unendlich viele Hände gehen würde? Umsätze in Höhe von unendlich! Na und? Da wird der Unsinn der Fragestellung offensichtlich. In der mathematisch verklausulierten Theorie der multiplen Kreditschöpfung bleibt er hingegen verborgen.
Das Irreführende an dieser Theorie liegt darin, dass der falsche Eindruck erweckt wird, die jeweils neu vergebenen Kredite würden jedes Mal auf voran gegangenen Bareinzahlungen beruhen. Genau das ist aber bei der Giralgeldschöpfung nicht der Fall, denn sie wird - wie oben dargestellt - ohne jeweils neue Bareinzahlungen aus dem Nichts geschöpft. Aus einer falschen Theorie über die Giralgeldschöpfung folgt allerdings nicht, dass es die Giralgeldschöpfung nicht gibt - ebenso wenig, wie aus einer falschen Theorie über die Bewegungen der Himmelskörper gefolgert werden kann, dass es die Himmelskörper und ihre Bewegungen nicht gibt. Vielmehr gilt es nach Erklärungen zu suchen, die die Phänomene zutreffender beschreiben. In der Astronomie war das die Wende vom Weltbild des Ptolomäus zu dem des Kopernikus - die kopernikanische Wende.
Begriffsverwirrung als Mittel der Verschleierung
Warum liegt aber die Realität der Giralgeldschöpfung nicht offen zu Tage, warum ist sie nicht direkt aus den Bankbilanzen und den daraus abgeleiteten Statistiken unmittelbar erkennbar? Weil die aus dem Nichts geschöpften Sichtguthaben irreführender Weise mit dem gleichen Begriff bezeichnet werden wie das anfänglich auf Bareinzahlung begründete Sichtguthaben, nämlich mit dem Begriff "Sichteinlagen" - obwohl das von der Bank zusätzlich geschaffene 2. und 3. Sichtguthaben von jeweils 100 Euro nicht auf weiteren Bareinzahlungen oder Bareinlagen beruhen, sondern lediglich aus einem Buchungsvorgang entstanden sind. (Diese Täuschung - ob bewusst oder unbewusst - ist ganz ähnlich wie seinerzeit die Täuschung bei der Schöpfung zusätzlicher Banknoten aus dem Nichts, die äußerlich genau so aussahen wie die anfängliche Banknote, die durch Einzahlung von Gold entstanden und zunächst zu 100% durch Gold gedeckt war.)
Wer in den Bankbilanzen und Statistiken danach sucht, ob das Volumen der Kreditausleihungen die "Einlagen" übersteigt, wird nicht fündig werden. Und also scheint es für ihn keine Kreditschöpfung aus dem Nichts zu geben. Dass sich aber unter dem Begriff "Sichteinlagen" auch solche Guthaben verbergen, die gar nicht auf Einlagen beruhen, sondern aus dem Nichts geschaffen wurden, bleibt dadurch verschleiert - und damit die ganze Ungeheuerlichkeit, die mit dem Bankgeheimnis Geldschöpfung und dem dahinter Verborgenen verbunden ist.
Diese Begriffsverwirrung bezüglich des Geldsystems und der falsche äußere Schein können kaum Zufall sein. Es sieht eher nach bewusster Täuschung aus, die irgendwann einmal auf den Weg gebracht wurde. Später hat man sich einfach an die Begriffe und Praktiken der Bankgeschäfte gewöhnt und sie überhaupt nicht mehr hinterfragt. Zu vieles in der Geldgeschichte deutet darauf hin, dass es von bestimmten Seiten eher ein Interesse an der Verschleierung wesentlicher Zusammenhänge gegeben hat als an deren Aufklarung. Es ist auch bemerkenswert, dass diejenigen Sichtweisen, die den Nebel um das Geld gelichtet und das Bankgeheimnis gelüftet haben, in der Wirtschaftswissenschaft, der Politik und den Medien schlicht und einfach immer wieder tot geschwiegen wurden.
Das Ende des Bankgeheimnisses Geldschöpfung
Aber die Mauer des Schweigens, der Ignoranz und der Abwehr gegenüber diesen kritischen Sichtweisen und gegenüber konstruktiven Alternativen ist am Bröckeln. Dazu hat die Weltfinanzkrise wesentlich beigetragen. In verstärktem Maße erfolgt eine Rückbesinnung auf lange Zeit Verschüttetes und Ignoriertes, zum Beispiel auf das Buch "100%‐Geld" des weltberühmten Geldtheoretikers Irving Fisher aus den 30er Jahren, der in den VWL‐Lehrbüchern vor allem für seine Quantitätstheorie des Geldes gewürdigt wird (Handelsvolumen x Preisniveau = Geldmenge x Umlaufgeschwindigkeit), nicht aber für seine Richtung weisenden Vorschläge zur Reform der Geldschöpfung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Geldschöpfung nicht in die Hände privater Geschäftsbanken gehört, sondern in die Hand der Zentralbank, die staatlich sein muss. Er verdichtete seine Auffassung in dem Satz:
Verstaatlichung des Geldes: ja! Verstaatlichung der Banken: nein!
Ein anderes Richtung weisendes Buch betreffend die Problematik der Geldschöpfung stammt von dem langjährigen Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank Rolf Gocht aus dem Jahre 1974 mit dem Titel "Kritische Betrachtungen zur nationalen und internationalen Geldordnung". Darin werden auch Funktionsweise und Problematik der Giralgeldschöpfung sehr klar heraus gearbeitet und Vorschläge für einen sanften Übergang zu einem anderen Geldsystem aufgezeigt, in dem die Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken keinen Platz mehr hat.
Und schließlich sei auf eine neuere Veröffentlichung von Joseph Huber und James Robertson ("Geldschöpfung in öffentlicher Hand") verwiesen, in der nach klarer Analyse der Giralgeldschöpfung und ihrer Problematik konkrete Schritte in Richtung einer "Vollgeld‐Reform" beschrieben werden. Darin wird das Giralgeld - neben dem bisherigen Zentralbankgeld - zu vollwertigem Geld im Sinne eines gesetzlichen Zahlungsmittels erklärt. Die Giralgeld‐ Verwaltung soll dabei aus den Händen der Geschäftsbanken genommen und in die Hand einer vom privaten Bankensystem und von privaten Anteilseignern unabhängigen staatlichen Zentralbank gelegt werden, und unabhängig auch von der Regierung - das, was ich "Monetative" nenne.
Das Bankgeheimnis Geldschöpfung neigt sich wohl mehr und mehr seinem Ende zu. Schon bald werden immer mehr Menschen verstehen, woraus des Kaisers neue Gelder bestehen: aus einer gigantischen Täuschung. Es ist zu hoffen, dass es einen friedlichen Übergang in ein langfristig tragfähiges und dem Gemeinwohl verpflichtetes Geldsystem geben wird, damit der Welt ähnliche Krisen und Katastrophen wie die derzeitige Weltfinanzkrise und Weltwirtschaftskrise in Zukunft erspart bleiben.
Videos mit Bernd Senf zur Weltfinanzkrise und zur Geldschöpfung finden sich unter www.dailymotion.com (Suchwort: Bernd Senf).
© Bernd Senf
www.berndsenf.de
[i]Anmerkung/Ergänzung:
Bücher von Bernd Senf: "Der Nebel um das Geld" (1996), "Die blinden Flecken der Ökonomie" (2001), "Der Tanz um den Gewinn" (2004).
Andere Literatur:
Irving Fisher: "100%‐Geld"
Joseph Huber/James Robertson: "Geldschöpfung in öffentlicher Hand"
Hans Georg Binswanger: "Geld und Magie"
Rolf Gocht: "Kritische Betrachtungen zur nationalen und internationalen Geldordnung"
Frederick Soddy: "Wealth, Virtual Wealth and Debt"
Stephen Zarlenga: "Der Mythos vom Geld - Die Geschichte der Macht"
G. Edward Griffin: "Die Kreatur von Jekyll Island"
Ellen Hodgson Brown: "Der Dollar‐Crash"
Jürgen Elsässer: "Nationalstaat und Globalisierung"