Interview mit Jim Sinclair: Gold und das Weltfinanzsystem
29.04.2011 | Ron Hera
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Ron Hera: Setzen Finanzinstitutionen denn keine Modelle zur Risikobegrenzung ein, um die Risiken beim Einsatz von OTC-Derivaten abzusichern? Jim Sinclair: Vor der Lehman-Brothers-Pleite wären die Verluste bei OTC-Derivaten am Ende ungefähr bei Null rausgekommen. Derivate kann man sich wir einen kreisförmig angeordneten Strick vorstellen, in dem es viele Knoten gibt, die für Transaktionen mit Derivaten stehen. Als Lehman zusammenbrach, riss auch dieser Strick. Als Lehman seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte, beliefen sich die Verluste im Derivatgeschäft am Ende nicht mehr auf null. Deswegen gingen die Banken unter, und deswegen kamen die staatlichen Rettungsaktionen und quantitativen Lockerungen (QE).
Ron Hera: Sind die OTC-Derivate der eigentliche Grund für die Bankenrettungen?
Jim Sinclair: Das ist ein Fakt, der sich überhaupt nicht wegdiskutieren lässt.
Ron Hera: Wurde das Problem nicht durch die Dodd-Frank-Wall-Street-Reform und das Verbraucherschutzgesetz bereinigt?
Jim Sinclair: Der OTC-Derivatehaufen beläuft sich auf über 1 Billiarde $. Nach 2008 setzte der Internationale Währungsfonds eine neue Bewertungsmethode für sie durch, die "Value to Maturity" (bis zum Auslaufen festgesetzter Wert) genannt wird. Bei "Value to Maturity" wird davon ausgegangen, dass alle Derivate funktionieren werden - was einfach nur lachhaft und grotesk ist. Der Derivatehaufen hat sich nicht abgetragen. Im Grunde hat er sich sogar noch vergrößert, aber mit diesem Bewertungsansatz wurde der Nominalwert von über einer Billiarde auf unter 700 Billionen $ gesenkt. Aber die noch ausstehende Menge an Derivaten von damals hat sich nicht verändert.
Angesagt sind zurzeit Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) bezüglich der Solvenz, oder eben Insolvenz, von Nationalstaaten. Neue Derivate sind schon durch gewisse Einschusskonten (margins) gedeckt, aber sie funktionieren nur, wenn sie nicht in Anspruch genommen werden. Wenn die Schulden eines Landes wirklich ausfallen sollten, dann würde das sehr schnell passieren, ohne dass im Vorfeld wirklich viel geschieht. Die meisten Menschen würden erwarten, dass dann Hilfe kommt. Nehmen wir an, die Hilfe würde nicht kommen, dann würden diese Kreditausfallversicherungen gar nicht funktionieren können - und wieder einmal wäre das Bankensystem am Ende.
Ron Hera: Sie sagen also, das heutige Finanzsystem wäre weniger stabil als 2008?
Jim Sinclair: Es scheint stabiler, aber das ist nur das äußere Erscheinungsbild. Die gesamte Erholung am Aktienmarkt begann fast an dem Tag, an dem das Financial Accounting Standards Board (FASB) den Marktbewertungsansatz aufweichte. Sie gestanden den Finanzinstitutionen zu, irgendeinen gewünschten Wert für ihre wertlosen Papierstücke anzusetzen. Hätten sie den realen Wert angesetzt, wären die Banken eingebrochen.
Ron Hera: Waren die Änderungen der FASB nicht als vorübergehende Maßnahme gedacht, mit der der Einbruch der hypothekarisch besicherten Wertpapiere gestoppt werden sollte?
Jim Sinclair: Es ging nicht nur um hypothekarisch besicherte Wertpapiere. Es ging um das gesamte Papier in den Bankenbilanzen. Die Bilanzen der Banken scheinen sich in einem guten Zustand zu befinden, sie sind es aber nicht. Sie werden in Wirklichkeit noch viel mehr Kapital brauchen.