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2016: Überraschungen & Szenarien

26.01.2016  |  John Mauldin
- Seite 2 -
"Die aktuelle Malaise der Weltwirtschaft mit ihren geringen Wachstumsraten und den deflationären Tendenzen ist mehr, als nur die temporäre Nachwirkung der Bilanzrezession von 2007-2009. Sie ist vielmehr das Ergebnis starker struktureller Einflüsse und ihre Folgen werden noch lange spürbar sein. Dazu zählen die fortgesetzte Überschuldung, der Höhepunkt der Globalisierung, die ungünstige demografische Entwicklung in den meisten wichtigen Wirtschaftsräumen, das Fehlen von Handlungsspielräumen in der Währungspolitik und niedrige Erträge auf Finanzanlagen. Die Erwartungen der Investoren müssen sich erst noch an die Tatsache anpassen, dass das Wachstum und die Inflationsrate in den kommenden Jahren wahrscheinlich unterdurchschnittlich ausfallen werden.

Die Fed wird die Zinsen weniger anheben, als ihre aktuellen Prognosen implizieren. Die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan werden ihre quantitativen Lockerungen ausweiten. Dennoch stellt die Währungspolitik kein effektives Instrument zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums mehr dar. Die Finanzpolitik muss künftig eine wichtigere Rolle spielen, doch es wird eine weitere Rezession nötig sein, um in politischen Kreisen einen Kurswechsel hin zu stärkeren Impulsen zu bewirken.

Aus fundamentaler Sicht bleibt die Lage bei den Unternehmensanleihen und den Staatsanleihen der Schwellenländer bearish und das Niveau der Spreads zeigt an, dass die Risiken noch nicht vollständig eingepreist wurden. Im kommenden Jahr könnte sich eine Kaufgelegenheit für hochverzinsliche Anleihen ergeben, aber im Moment sollten Sie Ihre Kapitalallokationen in dieser Anlageklasse gering halten.

Gegenüber den Rohstoffwährungen und den Währungen der Schwellenländer wird der US-Dollar wohl weiter Boden gutmachen. Das Aufwärtspotential gegenüber dem Euro und dem Yen ist jedoch durch eine möglicherweise enttäuschende Entwicklung der US-Wirtschaft begrenzt."



Friedman: Der Einsturz des italienischen Schuldenberges

Wenden wir uns nun für einen Moment den geopolitischen Problemfeldern zu. Meine Leser hatten alle die Chance, George Friedmans Vorhersagen für 2016 zu lesen. Neue Leser können hier eine kostenlose Zusammenfassung einsehen und finden dort auch den Link zur vollständigen Version. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie begeistert ich darüber war, dass Friedman ein Partner von Mauldin Economics geworden ist. Mit seinen Einsichten trägt er so viel zu diesem Unternehmen bei. Doch statt das zu wiederholen, was Sie hoffentlich bereits gelesen haben, möchte ich vor allem eine seiner Ansichten hervorheben, die er nach dem Verfassen der Prognose weiter konkretisiert hat.

In einer Mitteilung mit dem Titel "The Precarious State of Italian Banks" ("Der prekäre Zustand der italienischen Banken") haben George und sein Team die ernsten Finanzprobleme geschildert, die Italien drohen. Man findet darin auch gute Neuigkeiten, doch die Hiobsbotschaften überwiegen eindeutig. Der Umfang notleidender Kredite ist auf 216 Milliarden Dollar angewachsen - das entspricht etwa 17% des italienischen Bruttoinlandsprodukts. Wir haben bereits mit angesehen, wie einige italienische Banken auf recht spektakuläre Weise Pleite gingen. In Zukunft wird das noch häufiger geschehen, denn im italienischen Bankensektor liegt noch vieles im Argen. Die Spareinlagen bis 100.000 Euro sind zwar abgesichert, aber den Unternehmen und wohlhabenderen Haushalten nützt das nicht allzu viel.

Die Schulden der italienischen Banken sind mittlerweile sehr suspekt. Statt ihr Geld zu verschwindend geringen oder nicht existenten Zinsen bei einer Bank zu hinterlegen, tendieren die Italiener dazu, Anleihen der Banken zu kaufen, um wenigstens eine gewisse Rendite zu erhalten. Während der neusten Welle von Bankenschließungen haben 130.000 Anteilseigner insgesamt 790 Millionen Euro verloren. Die vier kleinen Banken, die Bankrott gingen, repräsentierten gerade einmal 1% der italienischen Spareinlagen. Die Gesamthöhe der Bankschulden im Besitz italienischer Haushalte beläuft sich auf 237,5 Milliarden Euro. Stellen Sie sich das wie hochverzinsliche Anleihen auf Steroiden vor - mit dem Unterschied, dass die Rendite in diesem Fall meist sehr gering sind.

Es ist nicht klar, ab das italienische Mindestreservesystem genügend Kapital hat, um auch nur einen Bruchteil der potentiellen größeren Verluste zu decken. Das Verhältnis der Gesamtaktiva zu den gedeckten Einlagen beträgt 250:1. Der Einlagensicherungsfonds FDIC der Vereinigten Staaten schreibt ein Verhältnis von 100:1 vor, aber in den USA erreicht die Höhe der notleidenden Darlehen auch nicht 17% des BIP.

Die Angelegenheit ist noch viel komplexer, als ich das in meiner kurzen Zusammenfassung darstellen kann, aber der Punkt ist, dass die europäischen Probleme nicht mit der Flüchtlingskrise enden. Die Kreditkrise von vor einigen Jahren ist nicht gelöst. Die Staatsschuldenquote Italiens wächst Jahr für Jahr weiter an und hatte schon vor fünf Jahren ein kritisches Niveau erreicht - bevor die EZB den Leitzins auf unter 0% senkte und enorme Mengen an italienischen Staatsanleihen aufkaufte. Das kann die Zentralbank natürlich auch weiterhin tun, aber kann sie auch die Spareinlagen und die Schulden der zahlungsunfähigen Banken kaufen? Das ist zu bezweifeln. Wir werden die weitere Entwicklung dieser Situation im Laufe des Jahres aufmerksam verfolgen.

Sie können Georges kostenlosen Newsletter "This Week in Geopolitics" hier abonnieren oder die Beiträge, die er und sein Team mehr oder weniger täglich verfassen, hier für einen phänomenal günstigen Einstiegspreis abonnieren.


Bremmer: Transatlantische Krise

Bleiben wir noch für eine Weile bei der Geopolitik. Mein Freund Ian Bremmer ist ein Experte auf diesem Gebiet und gehört nicht zu den Menschen, die sich vor einem Schatten fürchten. Er zeigt oft auf, dass die beängstigenden Überschriften in Wirklichkeit gar nicht so beängstigend sind und hat damit normalerweise Recht.

Ian und seine Eurasia Group haben jedoch kürzlich eine detaillierte Analyse der geopolitischen Risiken im Jahr 2016 veröffentlicht, in der sie eine "dramatische Zunahme der weltweiten Fragmentierung" prognostizieren. Politische Spannungen zerstören überall auf der Erde die herrschende Ordnung. Einigkeit ist weltweit Mangelware.

Dieser Mangel an Geschlossenheit ist nirgends potentiell schädlicher, als in der Beziehung zwischen den USA und Europa, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Stützpfeiler der internationalen Verflechtungen darstellte. Die militärische Allianz der NATO ist nur eine Facette dieses Bündnisses. Daneben gibt es das auf Bretton Woods zurückgehende Währungssystem, die Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank. Alle diese Institutionen sind heute schwächer und weniger einflussreich als je zuvor in ihrer Geschichte.

Warum zerfällt dieser internationale Rahmen? Ian zeigt drei Gründe auf.

An erster Stelle nennt er den Aufstieg Chinas und der Schwellenmärkte, die der zuvor bilateralen Weltordnung eine weitere Dimension hinzufügen. Es ist nicht länger möglich, jeden Konflikt auf "Ost vs. West" zu reduzieren. Sowohl zum Osten als auch zum Westen zählen viele unterschiedliche Machtzentren, und jedes davon hat eigene Prioritäten und verfolgt eigene Interessen.

Zum Zweiten weist Ian darauf hin, dass verschiedene unilaterale Entscheidungen von Seiten der US-Regierungen unter George W. Bush und Obama die Verbündeten der USA verstimmt haben. Als Beispiele nennt er sowohl die elektronische Überwachung, die Edward Snowden aufgedeckt hat, als auch den zunehmenden Einsatz des Finanzsystems als "Waffe" im Rahmen einer Diplomatie des Zwangs.

Ein dritter Punkt ist, dass die europäischen Führungskräfte mit den internen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen im Moment so viel zu tun haben, dass sie strategischen Fragen auf globaler Ebene weniger Aufmerksamkeit widmen.


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