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Brexitrisiko lastet auf Zuversicht an den Finanzmärkten

10.06.2016  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1.1297 (07.54 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1.1292 im asiatischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 107.10. In der Folge notiert EUR-JPY bei 121.00. EUR-CHF oszilliert bei 1.0898.

Die Berichterstattung über die Volksbefragung in Großbritannien nimmt immer mehr Raum ein und führt in der Konsequenz zu erhöhter Risikoaversion an den Finanzmärkten. Ergo steht der Euro unter Verkaufsdruck. Das ist emotional verständlich. Bezüglich der ökonomischen Folgen darf diese Reaktion aber als wenig rational klassifiziert werden: Sollte es nicht zum Brexit kommen, ist der Mainstream froh und die aktuelle Risikoaversion würde zügig weichen.

Käme der Brexit, würde der Euroraum bezüglich des Kapitalstocks durch die zum Teil angekündigten Produktionsstättenverlagerungen profitieren. Gestern verwies Ford darauf, dass im Falle des Brexit Investitionsentscheidungen im UK überdacht würden. Köln könnte beispielsweise profitieren.

Bezüglich der Aktienmärkte und der dort gegebenen Unruhe, die sich in Kursverlusten bemerkbar macht, gilt es ebenfalls zwischen "ökonomischer" Emotion und Rationalität zu differenzieren. Der ökonomische Schaden im UK ist auf Sicht der folgenden zwei Jahre für das UK bedeutsam, aber nicht für das Wohl und Wehe der Weltwirtschaft. Die Skaleneffekte der "Global Player" wird das kaum belasten. Wir sprechen also hier über das Thema politischer Börsen, die anekdotisch nachweisbar kurze Beine hatten.

Die politische Dimension hat fraglos eine andere Qualität: Ein Brexit-Votum bedeutet nicht, dass es zum Brexit kommt. Eine Parlamentsmehrheit für diesen Schritt ist derzeit kaum erkennbar. Sollte das britische Parlament das Votum pro Brexit ignorieren, stehen dem UK schwere politische Unruhen ins Haus, die Neuwahlen erzwingen könnten (Rolle UKIP würde gestärkt).

Die Veränderung durch einen Austritt des UK wird von vielen Nordeuropäern als abträglich bezüglich der Stabilitätspolitik und Ordnungspolitik eingestuft. Dabei wird übersehen, dass perspektivisch die Eurozone die entscheidende politische Instanz wird, an der das UK ohnehin nicht teilnimmt. Es wird auch übersehen, dass das UK latent Integrationsschritte boykottierte und eine Sonderbehandlung einforderte, die im Widerspruch zum Gemeinschaftsgedanken steht. Mit anderen Worten kann ein UK-Austritt Katalysator einer verstärkten Integration und auch Demokratisierung der Instanzen der EU sein.

Die Eurozone wird weiter bestehen. Die EU kann und muss sich unter Umständen sogar verändern.

Die Erweiterungsprozesse der EU der letzten zwei Dekaden erfordern Lernkurven. Die Nivellierung der Eintrittsstandards in die EU führt eben im Zweifelsfall zu einem Niveauverlust der EU.

Die Aufgabe der Eliten der EU ist es, die Interessen der Menschen in der EU zu vertreten und nicht die Interessen von Drittländern, die Beitrittsbedingungen nicht erfüllen. Die weite Entfernung vieler EU-Altstaatenbürger von der EU und dem Europagedanken ist möglicherweise in dieser Fehlausrichtung der Vergangenheit bezüglich der nivellierten Eintrittsstandards und deren Folgen begründet.

Für Unternehmen gilt, dass Wachstum konsolidiert werden muss. Für Staatengebilde wie die EU gilt das definitiv auch, wenn man die Menschen, die das bezahlen, mitnehmen will!


Aus den USA erreichten uns gestern zwei Datensätze:

Die Arbeitslosenerstanträge sanken in der Berichtswoche per 4. Juni von zuvor 268.000 auf 264.000. die Veröffentlichung hat keine Marktwirkung.

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© Moody’s Analytics


Die Großhandelslagerbestände nahmen per April um 0,6% zu. Die Prognose lag bei 0,1%. Der Absatz legte um 1,0% zu. Die Prognose war bei 0,7% angesiedelt.

Nachfolgender Chart zeigt, dass es unverändert im Jahresvergleich zu steigenden Lagern kommt, während der Absatz im Jahresvergleich seit Anfang 2014 (!) sinkt.

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© Zerohedge


In der Folge sank das Verhältnis zwischen Lagerbestand zu Absatz von 1,36 auf 1,35 Monatsumsätze.

Der Blick auf nachfolgenden Chart belegt, dass dieses Niveau unverändert kritisch ist und derartige Niveaus nur in Rezessionsphasen anzutreffen waren …

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© St Louis Federal Reserve


Aktuell ergibt sich ein Szenario, das den Euro gegenüber dem USD favorisiert. Erst ein Unterschreiten der Unterstützungszone bei 1.1080 - 1.1110 neutralisiert den positiven Bias.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefanalyst der Bremer Landesbank



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