Das Undenkbare denken: Ein Blick auf die kommende Krise
01.07.2016 | John Mauldin
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Das schwächste GliedBevor wir auf mögliche Zukunftsszenarien eingehen können, müssen wir zuerst die Lage analysieren. Diese stellt sich in meinen Augen als eine weltumspannende wirtschaftliche Kette mit einer ganzen Reihe schwacher Glieder dar. Ich werde auf die fünf eingehen, die meiner Ansicht nach die bedeutendsten Schwachstellen sind.
Das erste schwache Glied sind Europa und seine Schulden. Die durchschnittliche Schuldenquote des Kontinents liegt bei rund 90%. In Italien beträgt sie 135% und wird schon bald auf 140% steigen. Entweder vergemeinschaftet Europa seine Schulden und Deutschland erklärt sich damit einverstanden, oder das Schuldenproblem wird sich zuspitzen. Bei einer Vergemeinschaftung der Schulden kann man den Betrag einfach in die Bilanz der EZB mit aufnehmen. Anschließend werden alle Staaten der Eurozone geloben, in Zukunft ausgeglichene Haushaltspläne zu beschließen, und ihre nationale Souveränität an Brüssel abtreten.
Ein europäischer Vertrag ist wie ein Versprechen, das meine Töchter als "Kleiner-Finger-Schwur" bezeichnen würden. Wenn die Staaten ein solches Abkommen unterschreiben, meinen sie es wirklich ernst. Die Schwierigkeit besteht darin, einen solchen Schwur auch einzuhalten.
Sie haben heute gehört, wie Anton Kaletsky erklärte, dass die nicht gedeckten Verbindlichkeiten das Hauptproblem Europas sind, und dass eine Rentenkürzung notwendig sein wird. Können Sie mir sagen, wie laut der Aufschrei unter den französischen Ruheständlern sein wird, wenn man ihnen die Leistungen kürzt? Oder was die französischen Bauern tun werden, wenn ihre Subventionen gestrichen werden?
Ich will damit sagen, dass sich in Europa womöglich verschiedene politische Probleme zusammenbrauen. (Auf die Verknüpfungen zwischen dem Brexit und dem innereuropäischen Zusammenhalt kommen wir am Ende des Artikels zu sprechen.) Europa ist also ein schwaches Glied, aber es ist unter Umständen nicht das schwächste. Erinnern Sie sich noch an die gleichnamige Fernsehsendung, "Weakest Link"? Die Moderatorin ging die Fragen durch und sagte in ihrem scharfen britischen Akzent anschließend zu einem der Kandidaten: "Sie sind das schwächste Glied." Der Teilnehmer musste daraufhin beschämt die Bühne verlassen. In unserer Betrachtung könnte Europa das schwächste Glied sein - oder China.
Xi Jinping ist die stärkste chinesische Führungspersönlichkeit seit Deng Xiaoping. Historiker werden seine Bedeutung für China wohl mit der von Mao Zedong und Sun Yat-sen vergleichen. Er wird noch mindestens fünf Jahre lang im Amt sein - mindestens. Das ist ein Mann der erklärt hat, "Ich werde China ins nächste Jahrhundert bringen. Ich habe eine Vision und wir werden sie umsetzen."
Um seine Vorstellungen zu verwirklichen, muss Xi das chinesische System von der allgegenwärtigen Korruption und Vetternwirtschaft befreien und eine Verbrauchergesellschaft aufbauen. Das Problem ist, dass sich eine solche Gesellschaft nicht von oben errichten lässt - man muss unten anfangen. Ich könnte Sie auf hunderte von Studien zu diesem Thema verweisen. Das ist ein grundlegendes ökonomisches Axiom.
China hat also einige Probleme. Die Schulden des Landes sind förmlich explodiert. Von den letzten 6 Billionen Dollar, die die Chinesen geliehen haben, verwendeten sie zwischen 40% und 80% allein für Zinszahlungen auf andere Schulden, je nachdem wem Sie Glauben schenken wollen. In weniger höflichen Kreisen würde man das als Ponzi-System bezeichnen.
Die Chinesen haben natürlich auch eine ganze Menge Geld. Können sie ihre eigene Währung drucken? Selbstverständlich. Wollen sie eine Neue Seidenstraße gründen? Wollen sie ihre Währung zur weltweiten Reservewährung machen? Wollen sie das mächtigste Land der Welt werden? Natürlich wollen sie das. Wenn Sie sich privat mit überzeugten Chinesen unterhalten, bekommen Sie eine Vorstellung davon, welche Träume das Land hat. Die Vision der Chinesen ähnelt dem Geist der amerikanischen Doktrin vom "Manifest Destiny", die im 19. Jahrhundert die Expansion der Vereinigten Staaten nach Westen hin zur Bestimmung der USA erklärte. Die Chinesen sehen sich selbst ihr früheres Reich wieder aufbauen.
So etwas tut man nicht mit einer schwachen Währung. Doch damit wären wir bei den Problemen angelangt, die eine starke chinesische Währung verursachen würde. Ach und übrigens, der Schuldendienst des Landes entspricht mittlerweile 30% des Bruttoinlandsproduktes. Aber das ist nur ein unwichtiges Detail, das zumeist übersehen wird (bitte beachten Sie den Sarkasmus).
Das schwache Glied Nummer drei ist Japan. Ich spreche schon seit Jahren über Japan. Der Ausdruck "Japan ist ein Insekt auf der Suche nach einer Windschutzscheibe", den ich vor sechs Jahren prägte, wird von den Kommentatoren heute noch immer aufgegriffen. Japan tut genau das, was ich vor fünf Jahren in meinem Buch "End Game" und vor mehr als zwei Jahren in meinem Buch "Code Red" vorhergesagt hatte. Im nächsten Buch werde ich das Land lobend erwähnen.