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Edelmetalle - Italien entwickelt sich zum neuen Sorgenkind Europas

04.07.2016  |  Thorsten Proettel
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Bruch der Abwicklungsregeln?

Für eine Abwälzung der Verlustpositionen auf Dritte ist es dagegen noch zu früh, da die so genannte Bankenunion erst in den Kinderschuhen steckt. Insbesondere in Deutschland wehren sich die Kreditinstitute und Sparkassen gegen die von Brüssel gewünschte europäische Einlagensicherung, die eine Haftung hiesiger Sparer für italienische Banken mit sich bringen würde. Wie das Handelsblatt berichtete, wird in Rom stattdessen darüber nachgedacht, die Banken mit Staatsgarantien zu stützen oder den europäischen Rettungsfonds ESM anzuzapfen.

Dies wäre zwar ein Verstoß gegen die seit Anfang 2016 geltende Brankenrestrukturierungs- und abwicklungsrichtlinie BRRD. Demnach müssen vor staatlichen Stützungsmaßnahmen, wie sie beispielsweise in Deutschland 2008/09 in großem Umfang durchgeführt wurden, zunächst die Gläubiger der Banken für einen Teil der Verluste aufkommen. Die italienische Regierung möchte sich aber auf eine Sonderregelung für Ausnahmesituationen berufen, was aus ihrer Sicht durch die Turbulenzen nach dem Brexit-Schock gerechtfertigt sei.


EU dürfte beide Augen zudrücken

Unabhängig von den Problemen Italiens zeichnet sich damit sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten ab, dass die BRRD-Richtlinie eine bürokratische Totgeburt ist, die im Zweifel kein Staat befolgen möchte. In einer Bankenkrise ist ein so genannter Bail-in von Sparern und anderen Gläubigern ohnehin kontraproduktiv, da er zu einem Vertrauensverlust mit Bank-Runs und somit zu einer Ausweitung der Krise führen kann.

Ungelöst bleibt damit jedoch weiterhin das Problem, wonach eine staatliche Bankenrettung die Staatsfinanzen belastet und so wie in Irland ab Herbst 2010 und später in Spanien zu Krisen führen kann. Angesichts einer Schuldenquote von mehr als 130% gemessen am Bruttoinlandsprodukt verfügt Italien grundsätzlich über wenig Spielraum für solche Manöver. In diesem Punkt kann jedoch Entwarnung gegeben werden, da die Europäische Zentralbank unter Mario Draghi mit ihren Anleihekäufen die Verschuldungsspielräume ausweitet und die Brüsseler EU-Kommission bei Verstößen gegen den Vertrag von Maastricht erfahrungsgemäß beide Augen zudrückt.


Referendum am 2. Oktober 2016

Möglicherweise droht Italien demnächst aber weniger von den Banken und den Finanzmärkten, sondern vielmehr von Seiten der Bürger Ungemach. Damit Reformvorhaben zukünftig nicht mehr im parlamentarischen Prozess versanden, strebt Ministerpräsident Matteo Renzi die weitgehende Entmachtung der zweiten Kammer, des Senats an. Da die hierfür notwendige Verfassungsänderung im April die notwendige Zweidrittel-Mehrheit verfehlte, findet am 2. Oktober ein Referendum statt, in dem das Volk seinen Segen zu dieser Änderung geben soll.

Manche Beobachter befürchten jedoch, dass die Wähler die Abstimmung für einen Denkzettel an die Regierung nutzen könnten. Damit würden sie eine ganze Lawine von Folgewirkungen lostreten. Matteo Renzi hat für den Fall eines negativen Ausgangs des Referendums bereits seinen Rücktritt angekündigt. Es ist jedoch nicht sicher, dass er als Sieger aus möglichen Neuwahlen hervorgehen würde. Seine Popularitätswerte sind in den letzten Monaten drastisch gesunken.


Geht Italien den griechischen Weg?

Nach einer Umfrage von Mai 2016 würde der Partito Democratico von Renzi mit 28,0% nur noch auf dem zweiten Platz landen. Die derzeit führende Kraft ist demnach mit 28,4% "Movimento 5 Stelle", die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo. Das Überraschungspotenzial der Protestpartei zeigte sich bereits Mitte Juni, als deren 37jährige Kandidatin Virginia Raggi die Wahl um den Posten des Bürgermeisteramtes der Hauptstadt Rom gewann.

Gewisse Ähnlichkeiten der Fünf-Sterne-Bewegung zur spanischen Podemos- und zur griechischen Syriza-Partei sind nicht zu übersehen. Beispielsweise fordert sie ein Referendum über die Mitgliedschaft Italiens in der Eurozone, wenngleich sie eine Beibehaltung der EU-Mitgliedschaft befürwortet.


Neues Kapitel der Eurokrise möglich

Sollte die politische Entwicklung in Italien bis zu dieser Stufe eskalieren, dann ist mit einem neuen großen Kapitel in der unendlich erscheinenden Eurokrise zu rechnen. Allein die Ankündigung eines Referendums über die Euromitgliedschaft dürfte zu einem Bank-Run italienischer Sparer und einem Geldtransfer in den Norden der Eurozone führen. Die Target-II-Salden würden vermutlich ähnlich wie im Falle Griechenlands anwachsen und die Liquidität der italienischen Banken austrocknen.

Im Gegensatz zu Griechenland handelt es sich bei Italien aber um die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone und damit um ein ökonomisches Schwergewicht. Möglicherweise würden an den Märkten deshalb Spekulationen beginnen, ob die anderen Staaten Europas mit einer Rettung ihre Kräfte überdehnen könnten. Wir gehen zum aktuellen Zeitpunkt zwar nicht von einer Eskalation der italienischen Bankenkrise und einer Staatskrise aus. Sollte es anders kommen, dann könnte sich Gold aber stärker verteuern, als wir es mit unserer Prognose von 1.400 USD zur Jahresmitte 2017 annehmen.


© Thorsten Proettel
Commodity Analyst

Quelle: Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart



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