Wenn die Zukunft zur Gegenwart wird
18.07.2016 | John Mauldin
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Der rechte Chart zeigt die wachsende globale Verschuldung. Praktisch jeder steht bei irgendjemandem in der Kreide. Werden die privaten Schulden abbezahlt, steigt die Staatsverschuldung. Werden die staatlichen Schulden abgebaut, erhöht sich das Schuldenniveau der Haushalte. So sieht Suchtverhalten aus. Vergessen Sie Schmerzmittel und Heroin - Schulden sind die mit Abstand beliebteste Droge der Welt.Süchtige, die sich über die Konsequenzen ihres Verhalten Gedanken machen, versuchen von Zeit zu Zeit clean zu werden. Die Folgen dessen sind anfangs keineswegs schön anzusehen. Unsere Politiker, unfähig oder nicht willens den qualvollen Entzug durchzustehen, kommen immer wieder zurück für den nächsten Kick. Und die Dealer sind immer bereit, ihnen noch einen zu geben. Die Dealer sind in diesem Fall die Banken, insbesondere die Zentralbanken.
Die Schuldensucht ist einer der Gründe dafür, dass die Märkte von Zeit zu Zeit panisch werden. Im letzten Jahr hatten alle Angst vor der Wirtschaftslage Chinas. Davor war es Griechenland. Jetzt ist China wieder vom Radar der Marktteilnehmer verschwunden (obwohl die Währung des Landes derzeit stärker sinkt als im letzten Sommer) und wir blicken voller Furcht auf Großbritannien, Deutschland und Italien. Nach Angaben der BIZ führt dieser stetige Wechsel zwischen Gelassenheit und Turbulenzen zu unruhigen Aktienmärkten, höheren Credit Spreads, einem stärkeren Dollarkurs und niedrigeren langfristigen Zinssätzen.
Zinsen, Schulden und falsche Signale
Ich hatte bereits angemerkt, dass Zinssätze eine wichtige Signalfunktion erfüllen. Doch was geschieht, wenn die Signale falsch sind? Dann treffen die Menschen schlechte Entscheidungen. Und seit mindestens sechs Jahren (vielleicht schon länger) sind die Signale wirklich sehr falsch. Die verzerrten Signale haben eine regelrechte Epidemie von unklugen Entscheidungen verursacht. Doch es kommt noch schlimmer: Viele dieser unklugen Entscheidungen wurden von den Zentralbanken getroffen, die die Infektion aufgrund ihrer Größe und ihres Stellenwertes weit verbreiten können.
Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, ist die Finanzialisierung der Realwirtschaft. Für Unternehmen besteht nunmehr ein Anreiz, ihre Konkurrenz aufzukaufen, statt zu versuchen, sich einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten. Es lohnt sich mittlerweile mehr, die eigenen Aktien mit billigem Geld zurückzukaufen, als in neue Produktionsprozesse zu investieren. Keine dieser beiden Strategien erhöht die Erwerbsquote oder die Produktivität und aus diesem Grund schwächt sich die Konjunktur ab.
Wahrhaft "freie" Märkte existieren nur in der Theorie. Vielleicht würden die Zinsen in einem wirklich freien Markt ein Gleichgewicht herstellen, aber das können wir nicht wissen, da unsere Märkte nicht frei sind. Sie werden bestimmt von einer wirren Mischung aus Marktkräften, politischen Entscheidungen und der Torheit der Menschen.
Der Jahresbericht der BIZ hebt diese Zinsproblematik hervor und argumentiert, dass sie der Schlüssel zu unserem aktuellen Dilemma ist:
"Wichtig ist, dass sämtliche Schätzungen langfristiger Gleichgewichtszinsen, ob es sich nun um kurz- oder langfristige Zinssätze handelt, unweigerlich auf impliziten Annahmen zur Funktionsweise der Wirtschaft basieren. Bei einfachen historischen Durchschnitten wird davon ausgegangen, dass der über den betrachteten Zeitraum vorherrschende Zinssatz der "richtige" ist. Inflationsbasierte Schätzungen gehen davon aus, dass Inflation das entscheidende Signal ist.
Bei auf Indikatoren für den Finanzzyklus basierenden Schätzungen - die für die in diesem Jahresbericht vorgestellten Untersuchungen hauptsächlich verwendet wurden - wird die Annahme zugrunde gelegt, dass es vor allem auf die finanziellen Variablen ankommt. Die Methoden mögen sich darin unterscheiden, inwieweit zugelassen wird, dass die Daten die Ergebnisse beeinflussen, und inwieweit grundsätzliche Einschränkungen gelten - weniger Einschränkungen können die Aussagekraft erhöhen. Doch die Unsicherheit ist in jedem Fall sehr hoch.
Infolgedessen erscheint es unklug, sich bei der Einschätzung von Gleichgewicht und Tragfähigkeit in hohem Maße auf Marktsignale zu verlassen. Es gibt keine Gewähr, dass das Verhalten von Zentralbanken, Regierungen und Marktteilnehmern zusammengenommen über einen bestimmten Zeitraum hinweg Marktzinsen hervorbringt, die sich auf dem richtigen Niveau befinden, d. h. die mit einer nachhaltigen und soliden Wirtschaftsleistung in Einklang stehen (Kapitel II). Und wie kann man angesichts der immensen Ungewissheit denn sicher sein, dass das langfristige Ergebnis auch das erwünschte ist? Können nicht auch Zinssätze, wie jeder andere Vermögenspreis, über sehr lange Zeit verzerrt sein? Die Zeit und die weitere Entwicklung werden es zeigen."
Ich persönlich bin der Ansicht, dass die Zinssätze schon seit geraumer Zeit falsch justiert sind. Wie können zwölf oder 27 Leute, die sich zusammen an einen Tisch setzen um zu entscheiden, welchen Preis der wichtigste Rohstoff der Welt haben soll (also welche Zinsen auf Geld gezahlt werden sollen), überhaupt jemals eine richtige Wahl treffen? Die Belege sprechen dafür, dass sie mit ihren Entscheidungen öfter falsch als richtig liegen.
Was wäre, wenn die Zentralbanken die Zinsen nicht bestimmen würden? Oh Gott, würden die Marktteilnehmer ausrufen, wir hätten unbändige Volatilität und völlige Unsicherheit. Das stimmt, aber die Fehleinschätzungen der Zentralbanken bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklungen und die auf diesen Fehlannahmen beruhenden Zinssätze führen letztlich auch zu Crashs. Am Ende sind die Märkte dadurch volatiler, als sie es wären, wenn die Zentralbanken andere, weniger schwerwiegende Regulierungen vornehmen könnten, aber nicht die Kontrolle über die Zinsen hätten.
Wir können an dieser Stelle eine Analogie zur Forstverwaltung ziehen. Durch das Verhindern von kleinen Waldbränden werden hier erst die Bedingungen geschaffen, die große, katastrophale Brände begünstigen, welche anschließend extrem schwer unter Kontrolle zu bringen sind. Wir haben herausgefunden, dass es tatsächlich besser ist, kleine Feuer zuzulassen, um wirklich große Waldbrände zu vermeiden. Leider kommt dieser aufgeklärte Ansatz für einen Großteil unserer Wälder zu spät, die sich an vielen Orten in zugewucherte Zunderbüchsen verwandelt haben. Die Geldpolitik der Zentralbanken hat die gleiche Wirkung: Sie unterdrückt kleinere Korrekturen, welche eine wirtschaftliche Feuersbrunst jedoch verhindern würden.
Für den ein oder anderen ist es womöglich nicht leicht, das zuzugeben, aber denken Sie darüber nach. Können Aktienkurse irrational hoch steigen oder absurd tief fallen? Natürlich. Korrigieren sie anschließend wieder? Selbstverständlich tun sie das. Wir haben das alle erlebt und können zahlreiche Beispiele aus der Geschichte der Märkte anführen. Warum sollte es im Fall der Zinssätze anders sein?
Wir - alle von uns - haben ein wirtschaftliches und politisches System aufgebaut, das Verschuldung fördert und subventioniert. Es überrascht nicht, dass wir ein Zuviel an Schulden geschaffen haben. Ironischerweise bestrafen mehr und mehr Länder heutzutage die Sparer und deren Einkommen - und sorgen sich dann darum, dass die Einkommen nicht stark genug steigen. Mittlerweile sollte das Konzept eigentlich bekannt sein: Wenn man einen Rohstoff (wie z. B. Schulden) subventioniert und den Preis unter den eigentlichen Marktpreis senkt, dann wird man zu viel davon haben.