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Vererbte Inkompetenz: Vom Versagen globaler Institutionen

29.08.2016  |  John Mauldin
- Seite 4 -
Wer genau die Unterhaltung aufzeichnete und wie sie in die Hände von Wikileaks geriet, ist unklar. Hier kommt der interessante Teil:

Thomsen: Was wird denn eine Entscheidung herbeiführen? In der Vergangenheit wurde nur ein Mal eine Entscheidung getroffen, und das war, als ihnen ernsthaft das Geld ausging und der Bankrott bevorstand. Richtig?

Velkouleskou: Richtig!

Thomsen: Vielleicht wird es erneut so kommen. In diesem Fall wird es bis Juli so weitergehen und in der EU wird man im letzten Monat vor dem Brexit offensichtlich keinerlei Diskussionen darüber führen. Irgendwann werden sie eine Pause einlegen und dann nach dem Referendum weitermachen wollen.

[...]

Thomsen: Aber das ist kein Ereignis. Das wird nicht dazu führen, dass sie... Diese Diskussion kann noch lange so weitergehen. Sie schieben es einfach immer weiter vor sich her... Warum? Weil das Ereignis in der Ferne liegt, was auch immer es ist.

Velkouleskou: Ich stimme zu, dass wir ein Ereignis brauchen, aber ich weiß nicht, was es sein wird.

Das "Ereignis", das die beiden sich wünschen, ist etwas, das Griechenland in den Staatsbankrott treiben und Europa, insbesondere Deutschland, zwingen wird, den Forderungen des IWF zuzustimmen. Sie betrachten das Brexit-Referendum als Chance, da Großbritannien und andere Staaten ihre Aufmerksamkeit in dieser Zeit nicht auf Griechenland richten werden. Sie glauben, dass das "Ereignis" das griechische Parlament ebenfalls zur Zustimmung bewegen wird.

Wir wissen nicht, ob das erhoffte Ereignis zum gewünschten Ergebnis geführt hätte, da die Konversation Wochen vor der Brexit-Abstimmung publik gemacht wurde. Zumindest demonstrierte der IWF damit ein gewisses Verständnis der Situation. Ziel war es, das widerspenstige Griechenland und die Verhandlungsführer der EU zu einem Kompromiss zu zwingen, an dem man schon seit Jahren erfolglos gearbeitet hatte. Andererseits waren sie offenbar bereit, eine ganz neue Krise auszulösen, um dieses Ziel zu erreichen, wobei sie die Krankheit vielleicht geheilt, den Patienten jedoch umgebracht hätten.


Pro-europäische Voreingenommenheit

Im Juli 2012 kündigte ein leitender Angestellter der europäischen Abteilung des IWF namens Peter Doyle seine Stelle mit einem vernichten Brief an das Management. Sein Schreiben ging damals durchs Internet, ist heute angesichts des aktuellen Berichts des Unabhängigen Evaluierungsbüros aber noch interessanter. Er macht die Spannungen innerhalb des IWF deutlich und beschreibt den Staus Quo innerhalb der Organisation, dessen Opfer er offenbar wurde.

Hier ist ein Auszug:

"Nach zwanzig Jahren des Dienstes schäme ich mich dafür, dass ich überhaupt jemals mit dem Fonds assoziiert war.

Grund dafür ist nicht nur die Inkompetenz, die der Bericht des OIA [des internen Prüfungsbüros] zur globalen Krise und der dreijährliche Überwachungsbericht [Triennial Surveillance Review] im Vorfeld der Krise in der Eurozone aufzeigten, sondern vielmehr auch die Tatsche, dass die substantiellen Probleme während dieser und anderer Krisen weit im Voraus identifiziert, aber verdrängt wurden.

Angesichts der langwierigen internationalen Diskussionen und Entscheidungsprozesse zur Abwendung dieser globalen Herausforderungen waren frühzeitige und nachdrückliche Warnungen von essentieller Bedeutung. Das Versäumnis des Fonds, diese Warnungen zu veröffentlichen, stellt daher ein Versagen allererster Ordnung dar, selbst wenn sie nicht beherzigt worden wären. Zu den Konsequenzen zählen das Leid zahlreicher Griechen (und das Risiko einer weiteren Verschlechterung der Lage) sowie die Tatsache, dass die zweite globale Reservewährung am Rande des Abgrunds steht, während der IWF in den letzten beiden Jahren versuchte mit den Entwicklungen Schritt zu halten und nur reaktive, verzweifelte Versuche unternehmen konnte, um den Euro zu retten.

Die Faktoren, die unmittelbar zum Versagen des IWF bei seiner Überwachungsaufgabe geführt haben - Risikoaversion, bilaterale Bevorzugung und positive Voreingenommenheit gegenüber Europa - verwurzeln sich darüber hinaus immer tiefer in der Organisation, ungeachtet entgegengesetzter Initiativen. Diese Tendenz offenbart sich am deutlichsten mit Blick auf die geschäftsführenden Direktoren, die innerhalb des letzten Jahrzehnts offensichtlich eine katastrophale Wahl waren. Selbst die aktuelle Amtsinhaberin ist vorbelastet und weder ihr Geschlecht, ihre Integrität noch ihr Elan können die fundamentale Illegitimität des Wahlprozesses aufwiegen.

In einer hierarchischen Institution wie dem IWF wirken sich solche Entscheidungen direkt auf andere Führungskräfte aus und durchdringen mittels der folgenden Ernennungen, befristeten Verträge und Nachfolgeplanungen in den Kreisen der leitenden Mitarbeiter die gesamte Organisation. Das Exekutivdirektorium bevorzugt einen auf diese Weise in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkten Fonds, der den unmittelbaren Ursachen für das Scheitern seiner Überwachungsmission unterworfen bleibt. Hätte ich doch nur schon vor zwanzig Jahren verstanden, dass dies die Wahl der Führungsebene sein würde."


Der Auswahlprozess für den geschäftsführenden Direktor ist tatsächlich seltsam. Traditionell wird dieser Posten immer mit einem Europäer besetzt, während ein Amerikaner der Weltbank vorsteht. Diese ungeschriebenen Regeln leisten keiner der Institutionen gute Dienste, denn sie sollten die bestmögliche Führungspersönlichkeit wählen und hochqualifizierte Kandidaten nicht allein deswegen ausschließen, weil sie vom falschen Kontinent stammen.

Doyles Brief hätte eine Warnung über die Missstände innerhalb des IWF sein sollen. Stattdessen wurde er als Missgunst seitens eines verärgerten Mitarbeiters abgetan und die Probleme spitzten sich zu. Den entscheidenden Beweis brachte erst vier Jahre später der Bericht des IEO, der die Warnungen bekräftigt und Doyles Einschätzungen bestätigt.


Vererbte Inkompetenz

Der IWF wurde gegründet, um die Probleme einer vom Krieg zerrissenen Welt zu lösen. Als diese Probleme nicht länger nach einer Lösung verlangten, fand er selbst eine neue Bestimmung für sich und verwandelte sich in eine fest verwurzelte Bürokratie, die einigen verstorbenen Ökonomen und ihren ergrauten Theorien mit zunehmend sklavischer Ergebenheit folgt.

Dabei zwingt der Fonds ganze Staaten zur Selbstaufopferung und nimmt eine Krise nach der anderen in Angriff, indem er neue, zusätzliche Probleme schafft. Er verfolgt gescheiterte Strategien mit verdoppeltem Eifer, verschreibt eine höhere Dosis der gleichen unwirksamen Medizin und beschuldigt die Kreditnehmer der mangelhaften Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen, ohne je die Fehler in seinen eigenen Strategien zu erkennen.

Im Zusammenhang mit anderen Enthüllungen offenbart der interne Prüfbericht engstirnige Bürokraten, die ihre eigenen kleinen Fürstentümer errichten und ihre Hoheitsgebiete eifersüchtig verteidigen, indem sie die belohnen, die ihnen zustimmen, und diejenigen in die Äußere Mongolei (oder deren bürokratisches Äquivalent) verbannen, die ihnen widersprechen. Wenn neue Direktoren und Führungskräfte ihren Platz in der Hierarchie einnehmen, erben sie gleichzeitig die endemische Inkompetenz und Korruption des Systems.

Ich habe keine positiven Worte für den IWF gefunden, doch der Währungsfonds ist nur eine von vielen Institutionen, die sich ihren eigenen bürokratischen Alptraum geschaffen haben. Während es innerhalb dieser Organisationen zwar zahlreiche kompetente Mitarbeiter gibt, werden die Institutionen als Ganzes von ihren Tendenzen und Agendas gelenkt, die sie kollektiv mit in die nächste globale Krise bringen werden. Wenn wir erwarten, dass diese Institutionen, einschließlich der Zentralbanken und der nationalstaatlichen Bürokratien, in kommenden Krisen etwas anderes unternehmen werden, als zum wiederholten Male die gleichen gescheiterten Maßnahmen zu ergreifen, machen wir uns selbst etwas vor.

Die traurige Wahrheit ist, dass der IWF für die überwiegende Mehrheit der Menschen und Länder dieser Erde nur die Spitze des bürokratischen Eisbergs darstellt. Die meisten Staaten werden den IWF nicht für die Probleme verantwortlich machen können, die sich im Laufe der nächsten Krise auftürmen. Sie werden ihre eigene bürokratische Sklerose einer genauen Prüfung unterziehen müssen. Solange wir nicht die grundlegende Ausrichtung und die herrschende Philosophie dieser Organisationen ändern und die institutionalisierte Inkompetenz mit der Wurzel ausreißen, werden sie uns auch in Zukunft die gleichen miserablen Resultate liefern.


© John Mauldin
www.mauldineconomics.com


Dieser Artikel wurde am 13. August 2016 auf www.mauldineconomics.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.



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