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Gefangen im Sicherheitsnetz

21.10.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Der Grund: Die Versicherten werden für eigenes "Fehlverhalten" (teil-)entschädigt. Sie gehen daher (wissentlich) höhere Risiken ein gegenüber einer Situation, in der sie nicht versichert wären. Moralische Wagnisse bedeuten folglich, dass die negativen Konsequenzen (Kosten), die das eigene Handeln hat, nicht vollends vom Handelnden selbst getragen werden, sondern (bewusst oder unbewusst) auf Dritte abgewälzt werden - während hingegen die Gewinne des eigenen Handelns ausschließlich vom Handelnden vereinnahmt werden.

Während die "Problematik" der Moralischen Wagnisse durch entsprechende Vertrags- und Prämiengestaltung im freien Markt für Versicherungsleistungen in den Griff zu bekommen ist, zeigt sich ein ganz anderes Bild in Finanzmärkten, in denen die Zentralbanken eine "aktive Rolle" spielen. Im Grunde läuft das Moralische Wagnis auf eine einfache Formel hinaus: Moralische Wagnisse geben den Marktakteuren systematisch Anreize, auf Kosten der anderen zu handeln. Moralische Wagnisse kommen damit einer eklatanten Verletzung der Prinzipien des freien Marktes gleich.

Sorgen zum Beispiel Zentralbanken für Moralische Wagnisse, so ist das Handeln im freien Markt nicht mehr zu beiderseitigem Nutzen der teilnehmenden Marktparteien. Vielmehr stellt sich eine Situation ein, in der (mindestens) eine Marktpartei sich durch das eigene Handeln besser stellt zu Lasten der anderen Marktparteien. Moralische Wagnisse - wie sie etwa durch die Existenz der Zentralbanken ins Leben gerufen werden - untergraben das System des freien Marktes. Sie wirken destruktiv, weil sie die kooperativen und produktiven Kräfte der freien Marktwirtschaft schädigen.


Das Sicherheitsversprechen der Zentralbanken beeinflusst das Verhalten der Investoren maßgeblich - und steht in seiner schädlichen Wirkung der Politik der heruntermanipulierten Zinsen in keiner Weise nach. Es hat die Risikoprämien, gewissermaßen den Verlustpuffer, aus den Kredit- und Finanzmärkten vertrieben. Sparer und Investoren werden folglich nicht mehr adäquat entgolten für die Risiken, die sie eingehen. Schuldner werden dadurch geradezu angestiftet, sich finanziell zu übernehmen. Aber auch die Unternehmen geraten auf die schiefe Ebene: Ihre Kapitalkosten werden künstlich abgesenkt, und das verlockt sie zu Investitionen, die sich letztlich nicht rechnen.

Doch steuern die Zentralbanken nicht bereits um? Die US-amerikanische Zentralbank (Fed) hat die Zinsen seit Dezember 2015 bis heute von 0,00 - 0,25 auf 1,00 - 1,25 Prozent erhöht. Sie will, beginnend im Oktober 2017, ihre Bilanz schrumpfen. Auch die EZB fabuliert, ihre Anleihekäufe herunterzufahren, den Fuß vom Gaspedal nehmen zu wollen. Wenn die beiden bedeutendsten Zentralbanken der Welt umzusteuern gedenken, ist die Rückkehr zur "Zinsnormalität" da nicht ausgemachte Sache? Zweifel sind anzumelden: Solange die Zentralbanken das Sicherheitsnetz nicht einholen, ist die Aussicht auf eine weniger unheilvolle - weil weniger verzerrende, weil weniger inflationäre - Geldpolitik eine Illusion.

Selbst Leitzinserhöhungen werden in ihrer Wirkung verpuffen, wenn die Marktakteure an der Erwartung festhalten können, dass die Zinsen bei neuerlichen Problemen rasch wieder abgesenkt werden. So gesehen sind die Volkswirtschaften gefangen im Sicherheitsnetz der Zentralbanken. Sich aus seinen Maschen zu befreien, ist überaus schwierig, vielleicht gar nicht mehr möglich und für viele gar nicht wünschenswert: Ohne das Sicherheitsnetz droht die Entzauberung der ungedeckten Papiergeld- und Schuldenpyramide, winkt der Absturz der westlichen Zwangsumverteilungs- und Wohlfahrtsstaaten, fällt eine mittlerweile erschreckend große Zahl staatstreuer Untertanen tief.

Wenn aber die Kräfte nicht ausreichen, das Sicherheitsnetz der Zentralbanken abzubauen, ist mit einer sich selbst verstärkenden Eskalation der Geldpolitikexzesse zu rechnen: Die Zentralbanken sähen die Saat der Krise, und sie werden auf die Krisen, die sie verursachen, mit immer stärkeren, noch weitreichenderen Markteingriffen reagieren müssen, um den Kollaps abzuwehren. Weil die Macht der Zentralbanken gewaltig und noch längst nicht ausgeschöpft ist, ist ein baldiges Ende des Inflationsregimes - also extrem niedrige Zinsen, steigende Preise und Entwertung des Geldes - weit weniger wahrscheinlich als sein Fortführen.


Ein kurzes Wort zum Euro-Außenwert

In den letzten 10 Jahren hat die Zinsdifferenz zwischen US-Dollar- und Euro-Anlagen den EURUSD-Wechselkurs richtungsmäßig recht gut nachgezeichnet. Am aktuellen Rand zeigt sich nun eine deutliche Abkopplung von diesem Zusammenhang - die, wenn die bestehende Zinsdifferenz nicht zugunsten von Euro-Anlagen schrumpft, für eine merkliche Überbewertung von EURUSD spricht.

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Quelle: Thomson Financial; eigene Berechnungen


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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