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Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitische Risiken von heute

28.11.2006  |  F. William Engdahl
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Die Zerschlagung Russlands: der "Hauptgewinn"

Aus naheliegenden militärischen und politischen Gründen kann Washington nicht offen eingestehen, dass seit dem Fall der Sowjetunion im Jahr 1991 die Zerstückelung oder Zerschlagung Russlands und die effektive Kontrolle über dessen riesige Öl- und Gasvorkommen, der "höchste Preis", sein strategisches Ziel ist. Noch immer hat der russische Bär ein respekteinflößendes militärisches Potenzial, und noch hat er nukleare Zähne.

Das ist der Punkt, an dem uns allmählich eine böse Ahnung beschleicht, was wir unter dem verstehen müssen, dass ich "geopolitisches Risiko" nenne - ein heute häufig missbrauchter Begriff.

Mitte der Neunzigerjahre ging Washington systematisch daran, alle früheren Satellitenstaaten der Sowjetunion nicht nur in die Europäische Union, sondern auch in die von Washington dominierte NATO zu führen. Bis 2004 waren Polen, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien sämtlich in die NATO aufgenommen worden, und die Republik Georgien wurde auf den Beitritt vorbereitet.

Die Ausdehnung der NATO auf frühere Staaten der Sowjetunion oder des Warschauer Pakts rund um Russland war für das PNAC eine wichtige Voraussetzung. Bereits 1996 war Bruce Jackson, PNAC-Mitglied, alter Freund Cheneys und damals in leitender Stellung bei dem amerikanischen Rüstungsriesen Lockheed Martin tätig, Vorsitzender des US-Komitees für die Erweiterung der NATO (Committee to Expand NATO), einer mächtigen Lobbyorganisation in Washington.

Dem US-Komitee für die Erweiterung der NATO gehörten auch die PNAC-Mitglieder Paul Wolfowitz, Richard Perle, Stephen Hadley und Robert Kagan an. Kagan ist verheiratet mit Victoria Nuland, die inzwischen US-Botschafterin bei der NATO ist. Von 2000 bis 2003 war sie Cheneys außenpolitische Beraterin. Hadley, ein dem Vizepräsidenten Cheney nahestehender Falke und Hardliner, wurde von Präsident Bush zum Nachfolger von Condoleezza Rice als nationaler Sicherheitsberater ernannt.

Vom PNAC rückten Mitglieder des Falkennetzwerks um Cheney in Schlüsselpositionen in der Regierung Bush auf, wo sie die NATO- und Pentagon-Politik bestimmten. Nachdem Bruce Jackson als erfolgreicher Lobbyist beim Kongress 1999 die Erweiterung der NATO auf Polen, Tschechien und Ungarn erreicht hatte, wandte er sich dem Aufbau der sogenannten Vilnius-Gruppe zu, die die Aufnahme von zehn weiteren ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten an der Peripherie Russlands in die NATO betrieb - in Jacksons Worten, den "großen Knall".

Nachdem man mit den NATO-Aufnahmen so weit gekommen war, löste Jackson im Jahr 2003 das NATO-Komitee auf, um im selben Büro als neue Lobbyorganisation unter dem Namen "Projekt Übergang zur Demokratie" (Project on Transitional Democracies) wieder zu eröffnen, das nach seinen eigenen Worten "organisiert wurde zur Nutzung der Möglichkeiten zur Beschleunigung demokratischer Reformen und Integration, die unserer Meinung nach in der erweiterten europäisch-atlantischen Region im nächsten Jahrzehnt bestehen werden". Mit anderen Worten, um die Serie von bunten Revolutionen und Regimewechseln im russischen Eurasien voranzutreiben. Die drei wichtigsten Akteure des Projekts Übergang zur Demokratie arbeiteten alle für die Republikanische Partei und haben enge Verbindungen zu bedeutenden Rüstungslieferanten, vornehmlich Lockheed Martin und Boeing.

Jackson rief außerdem das "Komitee zur Befreiung des Irak" (Committee for the Liberation of Iraq - CLI) ins Leben. Zum Beirat des CLI gehörten Neokonservative und stramme Republikaner wie Jeane Kirkpatrick, Robert Kagan, Richard Perle, William Kristol und der ehemalige Direktor der CIA James Woolsey. Stellvertretende Ehrenvorsitzende waren die Senatoren Joe Lieberman (Demokratische Partei-Connecticut) und John McCain (Republikanische Partei-Arizona). Das Weiße Haus hatte Jackson 2002 gebeten, das CRI zu gründen, um den Erfolg zu wiederholen, den er bei der Kampagne für die NATO-Erweiterung mit seinem US-Komitee erzielt hatte. "Im Weißen Haus hieß es: "Wir brauchen Sie, Sie müssen für den Irak dasselbe erreichen wie für die NATO"," sagte Jackson in einem Interview im Januar 2003.

Ich fasse zusammen: die Einkreisung Russlands durch die NATO, bunte Revolutionen in ganz Eurasien und der Irakkrieg bildeten ein und dieselbe amerikanische geopolitische Strategie, Teil einer umfassenden Strategie zur letztendlichen Zerschlagung Russlands als potentiellen Rivalen für eine alleinige Hegemonie der Supermacht USA. Russland - nicht der Irak oder der Iran - war und IST das primäre Ziel dieser Strategie. Welchen Preis hat dieses geopolitische Risiko?

Während einer Zeremonie im Weißen Haus zur Begrüßung der zehn neuen NATO-Mitglieder im Jahr 2004 erklärte Präsident Bush, der Auftrag der NATO habe sich jetzt weit über die Grenzen der Allianz ausgedehnt. "NATO-Mitglieder reichen den Staaten des Mittleren Ostens die Hand, um unsere Fähigkeiten zur Bekämpfung des Terrorismus zu stärken und für unsere gemeinsame Sicherheit zu arbeiten", sagte er. Mittlerweile allerdings scheint der Auftrag der NATO sogar über die globale Sicherheit hinauszugehen. Bush fügte hinzu: "Wir erwägen Möglichkeiten, um den Impuls der Freiheit im weiteren Mittleren Osten zu fördern und zu verstärken." Mit anderen Worten, der Freiheit, sich in den Umkreis eines NATO-Bündnisses unter der Kontrolle Washington zu begeben.

Das Ende der Jeltsin-Ära brachte eine kleine Störung in den Plänen der USA. Langsam und vorsichtig profilierte sich Putin als dynamische nationale Kraft, der sich dem Wiederaufbau Russlands verpflichtet fühlte, nachdem das Land unter der Ägide des IWF von einer Kombination westlicher Banken und korrupter russischer Oligarchen geplündert worden war.

Die russische Ölförderung war seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion so weit gestiegen, dass Russland bis zum Ausbruch des Kriegs zwischen den USA und dem Irak 2003 zum weltweit zweitgrößten Ölförderland nach Saudi Arabien aufgestiegen war.


Die wahre Bedeutung der Yukos-Affäre

Das für die neue russische Energie-Geopolitik entscheidende Ereignis trat 2003 ein, gerade zu dem Zeitpunkt, als Washington deutlich machte, dass es ungeachtet weltweiter Proteste oder diplomatischer Feinheiten der UNO militärische Schritte gegen den Irak und den Mittleren Osten unternehmen würde.

Die spektakuläre Verhaftung des russischen Milliardärs und "Oligarchen" Michail Chodorkowski im Oktober 2003 und die Beschlagnahmung seines riesigen Ölkonzerns Yukos ist wesentlich für das Verständnis der russischen Energie-Geopolitik.

Chodorkowski wurde im Oktober 2003 am Flughafen von Nowosibirsk unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung verhaftet. Die Regierung Putin fror wegen einer Klage wegen Steuervergehen die Aktien der Ölgesellschaft Yukos ein. In einem langwierigen Prozess wurde Chodorkowski zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sein Ölvermögen fiel an den russischen Staat zurück.

In den westlichen Medienberichten, die das Vorgehen der Regierung Putin als einen Rückfall in Sowjetmethoden darstellten, blieb der eigentliche Auslöser für Putin dramatisches Vorgehen unerwähnt.

Die Verhaftung Chodorkowskis kam vier Wochen vor einer entscheidenden Wahl zur russischen Duma, dem russischen Unterhaus, bei der Chodorkowski unter Ausnutzung seines erheblichen Vermögens die Mehrheit der Stimmen gekauft hatte. Die Kontrolle der Duma war der erste Schritt in Chodorkowskis Plan, im folgenden Jahr als Präsidentschaftskandidat gegen Putin anzutreten. Der Sieg in der Duma hätte ihm ermöglicht, die Wahlgesetze zu seinen Gunsten zu ändern, ebenso wie ein kontroverses Gesetz, das damals in der Duma erarbeitet wurde, das "Gesetz über unterirdische Ressourcen". Dieses Gesetz hätte verhindert, dass Yukos und andere Privatunternehmen die Kontrolle über Bodenschätze übernahmen oder private, von den russischen Staatspipelines unabhängige Pipelinetrassen bauten.

Chodorkowski hatte die Vereinbarung der Oligarchen mit Putin gebrochen, nach der ihr Vermögen - das sie de facto dem Staat in den manipulierten Versteigerungen unter Jelzin gestohlen hatten - unangetastet bliebe, wenn sie sich aus der russischen Politik heraushielten und einen Teil des gestohlenen Geldes an den Staat zurückerstatteten. Chodorkowski, der mächtigste Oligarch zu der Zeit, diente als Vehikel für etwas, das sich zu einem offenkundig von Washington unterstützten Putsch gegen Putin entwickelte.

Vor seiner Verhaftung war Chodorkowski am 14. Juli 2003 insgeheim mit Vizepräsident Dick Cheney zusammengetroffen.

Nach dem Treffen mit Cheney nahm Chodorkowski Gespräche mit ExxonMobil und ChevronTexaco, der früheren Firma von Condi Rice, über die Übernahme eines erheblichen Aktienanteils an Yukos, angeblich zwischen 25% und 40%, auf. Durch die Verbindung zu den großen amerikanischen Ölriesen und damit zu Washington sollte Chodorkowski eine de-facto-Immunität gegen mögliche Interventionen der Regierung Putin erhalten, praktisch ein Vetorecht über zukünftige russische Öl- und Gaspipelines und Ölgeschäfte. Wenige Tage vor seinen Verhaftung im Oktober 2003 wegen Steuervergehen, war Chodorkowski Gastgeber für George H.W. Bush, dem Moskauer Vertreter der mächtigen und verschwiegenen Washingtoner Carlyle Group. Sie besprachen die abschließenden Details des Kaufs von Yukos-Aktien durch die amerikanische Ölgesellschaft.




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