Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitische Risiken von heute

28.11.2006  |  F. William Engdahl
- Seite 3 -
Yukos hatte außerdem gerade ein Kaufangebot für seinen Rivalen Sibneft abgegeben. Mit 19,5 Milliarden Barrels Öl und Gas wäre YukosSibneft dann nach ExxonMobil Eigentümer der zweitgrößten Öl- und Gasreserven der Welt geworden, YukosSibneft der viertgrößte Produzent der Welt, mit einer Fördermenge von 2,3 Millionen Barrels Crude-Öl. Der Kauf von YukosSibneft durch Exxon oder Chevron wäre im wahrsten Sinne des Wortes ein energiepolitischer Staatsstreich gewesen. Cheney wusste das; Bush wusste es; Chodorkowski wusste es. Vor allem wusste es Wladimir Putin und handelte, um das zu verhindern.

Chodokowskis Verbindungen zum angloamerikanischen Machtestablishment waren eindrucksvoll. Seine Stiftung, die Stiftung Offenes Russland, war der Stiftung Open Society seines Freundes George Soros nachgebildet. Im Rate der Stiftung Offenes Russland saßen Henry Kissinger und dessen Freund Jacob Lord Rothschild, der Londoner Spross der Bankiersfamilie. Auch Arthur Hartman, ein ehemaliger US-Botschafter in Moskau, war Mitglied des Stiftungsrats.

Nach Chodorkowskis Verhaftung berichtete die Washington Post, dass der inhaftierte russische Milliardär Stuart Eizenstat - früher Stellvertretender Finanzminister, Staatsekretär im Außenministerium, Staatsekretär im Handelsministerium unter Clinton - engagiert hatte, um in Washington für seine Freilassung zu agieren. Chodorkowski stand dem angloamerikanischen Establishment sehr nah.

Die nun folgenden Proteste der Medien und offizieller Stellen des Westens über den Rückfall in Sowjetmethoden und krasse Machtpolitik übergingen wohlweislich die Tatsache, dass Chodorkowski selbst auch nicht unbedingt ein Ehrenmann war. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte Chodorkowski einseitig seinen Vertrag mit British Petroleum aufgekündigt. BP war eine Partnerschaft mit Yukos eingegangen und hatte sich Bohrungen in dem vielversprechenden sibirischen Priobskoye-Ölfeld 300 Millionen US-Dollar kosten lassen.

Nachdem BP die Bohrungen durchgeführt hatte, drängte Chodorkowski BP mit Gangstermethoden, die in den meisten zivilisierten Ländern illegal gewesen wären, aus dem Geschäft. Bis 2003 hatte die Ölproduktion in Priobskoye 129 Millionen Barrels erreicht, was einem Marktwert von rund 8 Milliarden US-Dollar entspricht. Bereits 1998, nachdem der IWF Milliarden an Russland gezahlt hatte, um den Zusammenbruch des Rubels zu verhindern, zweigte Chodorkowskis Bank Menatep IWF-Gelder in der atemberaubenden Höhe von 4,8 Milliarden US-Dollar für seine handverlesenen Spießgesellen im Bankgeschäft ab, unter anderem für mehrere amerikanische Banken.

Das Duell zwischen Putin und Chodorkowski war das Zeichen für eine entscheidende Wende der Regierung Putin, hin zur Erneuerung Russlands und dem Aufbau strategischer Verteidigungslinien gegen die ausländischen Angriffe unter der Führung von Cheney und dessen britischen Freund Tony Blair. Sie vollzog sich im Kontext des dreisten Griffs der USA nach dem Irak im Jahr 2003 und der unilateralen Ankündigung der Regierung Bush, dass die USA ihre Vertragspflichten gegenüber Russland aus dem in der Vergangenheit abgeschlossenen Raketenabwehrvertrag aufkündigten, um den Ausbau der amerikanischen Raketenabwehr voranzutreiben, was von Moskau nur als feindlicher Akt gegen die Sicherheit Russlands interpretiert werden konnte.

2003 war tatsächlich kein besonderer strategischer Scharfsinn mehr nötig, um zu erkennen, dass den Falken im Pentagon und ihren Verbündeten in der Rüstungsindustrie und Big Oil die Vision eines Amerika vorschwebte, das ungebunden durch völkerrechtliche Verträgen unilateral in seinem ureigensten - natürlich von den Falken definierten - Interesse handeln konnte.

Auf diese Ereignisse folgte schon bald die von Washington finanzierte verdeckte Destabilisierung einer Reihe von Regierungen an der russischen Peripherie, die zum Moskauer Interessenbereich gehört hatten. Dazu gehörte die "Rosa Revolution" in der winzigen Republik Georgien vom November 2003, bei der Eduard Schewardnadse von einem jungen in den USA ausgebildeten und NATO-freundlichen Präsidenten, Micheil Saakaschwili, verdrängt wurde. Der 37-jährige Saakaschwili hatte sich passenderweise bereit erklärt, die Ölpipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan zu unterstützen, mit der die Kontrolle Moskaus über die Ölvorkommen von Aserbeidschan am Kaspischen Meer verhindert werden konnte. Seit dem Machtantritt von Präsident Micheil Saakaschwili unterhalten die Vereinigten Staaten enge Beziehungen zu Georgien. Amerikanische Militärausbilder schulen georgische Truppen, und Washington hat Millionen von Dollar aufgewendet, um Georgien auf den Beitritt zur NATO vorzubereiten.

Nach der Rosa Revolution in Georgien organisierten Woolsey’s Freedom House, die "Nationale Stiftung für Demokratie" (National Endowment for Democracy - NED), die Soros-Stiftung und andere von Washington unterstützte nichtsstaatliche Organisationen die offen provokative "Orange Revolution" vom November 2004 in der Ukraine. Ziel der Orange Revolution war es, dort ein NATO-freundliches Regime unter der umstrittenen Präsidentschaft von Viktor Juschtschenko an die Macht zu bringen, in einem Land, das strategisch in der Lage war, die wichtigsten Pipelineströme von russischem Öl und Gas nach Westeuropa zu unterbrechen. Von Washington unterstützte "demokratische Oppositionsbewegungen" im benachbarten Weißrussland kamen gleichfalls in den Genuss der Großzügigkeit der Bush-Regierung in Form von Millionen von Dollars, ebenso Kirgisien, Usbekistan und entlegenere frühere Staaten der Sowjetunion, die auch zufällig eine Barriere zwischen möglichen Energiepipelines zwischen China und Russland und frühren Sowjetstaaten wie Kasachstan bilden könnten.

Wieder bildet die Kontrolle über Energie-, Öl- und Gaspipelines das zentrale Motiv hinter den Aktionen der USA. Es ist daher nicht erstaunlich, dass Wladimir Putin sich allmählich fragte, ob sein neuer, wiedergeborener texanischer Gebetspartner George W. Bush nicht in Wirklichkeit, wie die Indianer sagen, mit gespaltener Zunge zu ihm sprach.

Ende 2004 war es Moskau klar, dass sich ein neuer Kalter Krieg massiv anbahnte, diesmal über die strategische Kontrolle der Energie und unilaterale nukleare Vormachtstellung. Aus den unmissverständlichen Muster der Aktionen von Washington seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 war ebenso klar, dass das Endziel der amerikanischen Eurasienpolitik nicht China, nicht der Irak und nicht der Iran war.

Das geopolitische "Endziel" war und ist für Washington die vollständige Zerschlagung Russlands, des einzigen Staats in Eurasien, der in der Lage wäre, unter Einsatz seiner enormen Öl- und Gasvorkommen ein effektives Netz von Allianzen zu organisieren. Natürlich kann man das niemals offen sagen. Welchen Preis hat dieses geopolitische Risiko?

Nach 2003 griffen Putin und die russische Außenpolitik, und besonders die Energiepolitik, wieder auf die das geopolitische Konzept des "Kernlands" von Sir Halford Mackinder zurück, das seit 1946 die Grundlage der sowjetischen Strategie während des Kalten Kriegs gebildet hatte.

Putin ergriff eine Reihe von Defensivmaßnahmen, um angesichts der zunehmend eindeutigen US-Politik der Einkreisung und Schwächung Russlands einen tragfähigen Ausgleich zu schaffen. In der Folge haben diverse strategische Missgriffe der USA Russland diese Aufgabe etwas erleichtert. Nachdem der Einsatz sich mittlerweile auf beiden Seiten - NATO und Russland - erhöht hat, ist Putins Russland zur Sicherung einer besseren geopolitischen Position von der schlichten Defensive zu einer dynamischeren Offensive übergegangen, wobei es seine Energiereserven als Hebel einsetzt.


Mackinders Kernland und Brzezinskis Schachpartie

Man muss den historischen Hintergrund des Begriffs Geopolitik kennen. Im Jahr 1904 hielt ein britischer Geographiewissenschaftler namens Halford Mackinder einen Vortrag vor der Royal Geographic Society in London, der die Geschichte verändern sollte. In seinem Vortrag mit dem Titel "Der geographische Angelpunkt der Geschichte" versuchte Mackinder eine Definition der Beziehung zwischen den geographischen Gegebenheiten einer Nation oder Region - deren Topographie, Land- und Seeverbindungen, Klima - und ihrer Politik und Position in der Welt. Er postulierte zwei Klassen von Mächten: Seemächte, unter anderem Großbritannien, die USA und Japan; und die großen Landmächte Eurasiens, die seit der Entwicklung der Eisenbahnen in der Lage waren, große Landmassen in einem Staatsgebiet zu vereinen, ohne vom Meer abhängig zu sein.

Für Mackinder war der Schlüssel zur Hegemonie des Britischen Weltreichs nach dem Ersten Weltkrieg 1914-1917, um jeden Preis eine Interessenkonvergenz zwischen den Nationen Osteuropas - Polen, Tschechoslowakei, Österreich-Ungarn - und dem Eurasischen "Kernland" mit dem Zentrum Russland zu verhindern. Bei den Versailler Friedensverhandlungen fasste Mackinder seine Ideen in dem folgenden berühmten Ausspruch zusammen:
Wer Mitteleuropa beherrscht, gebietet über das Kernland;
Wer das Kernland beherrscht, gebietet über die Welt-Insel;
Wer die Welt-Insel beherrscht, kontrolliert die Welt.

Unter dem Kernland verstand Mackinder das Zentrum Eurasiens. Die Welt-Insel war ganz Eurasien, einschließlich Europas, des Mitteleren Ostens und Asiens. Großbritannien, das niemals Teil Kontinentaleuropas gewesen war, war eine eigene Seemacht. Mackinders geopolitische Perspektive war entscheidend für den Eintritt Großbritanniens in den ersten Weltkrieg 1914 und den Zweiten Weltkrieg. Sie prägte Churchills kalkulierte Provokationen des zunehmend paranoiden Stalin seit 1943, die Russland in den späteren Kalten Krieg zogen.

Aus Sicht der USA ging es während der Ära des Kalten Kriegs zwischen 1946 und 1991 ausschließlich darum, wer die Kontrolle über Mackinders Welt-Insel erlangen sollte, konkreter, wie man das eurasische Kernland mit Zentrum Russland eben daran hindern konnte. Ein Blick auf eine Polarprojektionskarte der Militärbündnisse der USA während des Kalten Krieges beweist: Die Sowjetunion war geopolitisch eingedämmt und an jedweder bedeutenderen Verbindung mit Westeuropa, dem Mittleren Osten oder Asien gehindert worden. Im Kalten Krieg ging es um die russischen Bestrebungen, diesen NATO-zentrierten Eisernen Vorhang zu umgehen.

In seiner Beschreibung der wichtigsten strategischen Ziele der USA, den Zusammenschluss von Eurasien zu einem zusammenhängenden Wirtschafts- und Militärblock und damit die Bildung eines Gegengewichts zu der einzigen Supermacht USA zu verhindern, verwendete der amerikanische Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski 1997 ausdrücklich Mackinders geopolitisches Konzept.




Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"