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Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitische Risiken von heute

28.11.2006  |  F. William Engdahl
- Seite 5 -
Sachalin: Russland zügelt Big Oil

Ende September 2006 brach eine scheinbar unwichtige Auseinandersetzung aus und führte zum Widerruf einer Umweltgenehmigung für das Projekt Erdgasverflüssigung Sachalin II der Royal Dutch Shell, das Japan, Südkorea und andere Kunden von 2008 an mit Flüssiggas beliefern sollte. Shell ist der Konsortialführer in einem britisch-japanischen Öl- und Gasprojekt auf der großen Insel Sachalin im Fernen Osten Russlands, nördlich des japanischen Hokkaido.

Dann verkündete die Regierung Putin, dass sich auch ExxonMobil nicht an die Umweltauflagen für ihren Ölterminal in De Kastri auf Sachalin gehalten habe, der zu deren Öl- und Gasprojekt Sachalin I gehört. In Sachalin I lagern schätzungsweise 8 Milliarden Barrels Öl und erhebliche Gasmengen, womit es einer der seltenen "Super Giant"-Ölfunde ist, wie Geologen es nennen.

Anfang der Neunzigerjahre, als der russische Staat pleite war und die Ölpreise im Keller, machte die Regierung Jelzin einen verzweifelten Versuch, die nötigen Investitionsmittel und Technologie für die Entwicklung der russischen Eröl- und Gasregionen ins Land zu ziehen. In einer kühnen Aktion vergab Jelzin an amerikanische und andere wichtige westliche Ölgesellschaften großzügige Schürfrechte für zwei große Ölprojekte, Sachalin I und Sachalin II, beide unter einer sogenannten Produktionsquotenvereinbarung.

Die Bestimmungen der Produktionsquotenvereinbarungen, die für Geschäftsbeziehungen zwischen großen angloamerikanischen Ölgesellschaften und schwachen Ländern der Dritten Welt typisch sind, besagen, dass der russischen Regierung die Öl- und Gasrechte mit einem Anteil an dem eventuell schließlich geförderten Öl bzw. Gas vergütet werden. Allerdings erst nach Deckung aller Projektkosten würden die ersten Tropfen Öl an Russland fließen.

Produktionsquotenvereinbarungen wurden ursprünglich von Washington und Big Oil entwickelt, um den Ölgesellschaften die Kontrolle über Ölgroßprojekte in Entwicklungsländern zu erleichtern. Die großen amerikanischen Ölriesen, die mit dem James Baker Institute zusammenarbeiteten, das wiederum Dick Cheneys Energy Task Force Review von 2001 erstellte, nutzten die Möglichkeiten der Produktionsquotenvereinbarung, um sich wieder die Kontrolle über die irakische Ölproduktion zu verschaffen, und verbargen das Ganze hinter der Fassade einer staatseigenen irakischen Ölgesellschaft.

Kurz bevor die russische Regierung ExxonMobil mitteilte, dass sich bei deren Terminal auf Sachalin Probleme ergeben hätten, hatte ExxonMobil eine weitere Steigerung der Projektkosten angekündigt. ExxonMobil, die von dem Rechtsanwalt James Baker III vertreten wird und eng mit dem Weißen Haus unter Cheney und Bush zusammenarbeitet, kündigte eine Kostensteigerung von 30% an, womit ein etwaiger russischer Anteil an den Ölflüssen unter der Produktionsquotenvereinbarung in noch weitere Ferne rückte. Die Ankündigung erfolgte unmittelbar vor der Veröffentlichung von Plänen der ExxonMobil, in De Kastri auf Sachalin einen Ölterminal zu eröffnen. Daraufhin erklärten das russische Umweltministerium und die Agentur für die Ausbeutung von Bodenschätzen plötzlich, der Terminal erfülle "nicht die Umweltauflagen", und erwägt angeblich auch einen Produktionsstopp für ExxonMobil.

Die britische Royal Dutch Shell hält unter einer anderen Produktionsquotenvereinbarung die Erschließungsrechte für die Öl- und Gasvorkommen der Region Sachalin II sowie Rechte zum Bau des ersten russischen Flüssiggasprojekts. Das 20 Milliarden-Dollar-Projekt mit über 17.000 Arbeitsplätzen ist zu 80% abgeschlossen. Es ist das größte integrierte Öl- und Gasprojekt der Welt und umfasst auch das erste russische Offshore-Ölproduktionsvorhaben Russlands sowie die erste integrierte russische Offshore-Gasplattform.

Die eindeutigen Schritte der russischen Regierung gegen ExxonMobil und Shell wurden in der Branche als Versuch der Regierung Putin gewertet, die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen wiederzuerlangen, die sie während der Jelzin-Ära abgegeben hatte. Im Rahmen von Putins neuer Energiestrategie wäre das nur stimmig.


Das russisch-türkische Gasprojekt Blue Stream

Im November 2005 schloss die russische Gazprom die letzte Stufe ihrer 1.213 Kilometer langen und 3,2 Milliarden US-Dollar teuren Gasleitung Blue Stream ab. Das Projekt führt Gas aus ihren Felder in Krasnodar heran und dann weiter in Unterwasserpipelines durch das Schwarze Meer bis an dessen türkisches Ufer. Von da aus versorgt die Pipeline Ankara mit russischem Gas. Wenn sie 2010 ihre volle Kapazität erreicht, wird sie jährlich 16 Milliarden Kubikmeter befördern.

Gazprom erwägt jetzt den Transit von russischem Gas in die Länder Südeuropas und des östlichen Mittelmeers auch auf der Grundlage neuer Verträge mit höherem Liefervolumen. Griechenland, Süditalien und Israel stehen alle in Verhandlungen mit Gazprom, um über die Türkei Zugang zu Gas aus der Blue-Stream-Pipeline zu erhalten. Ein neuer Transportweg für Gaslieferungen ist geplant, und zwar über Ost- und Mitteleuropa. Das Projekt heißt Südeuropäische Gaspipeline. Ziel ist der Aufbau eines neuen Durchleitungssystems für Gas sowohl aus russischen Quellen als auch aus Drittländern.

Auch ohne das Potential, das sich aus ihrem Eintritt in den weltweiten Entwicklungsmarkt Flüssiggas ergibt, steht die Gazprom im Zentrum der russischen Bestrebungen, mit Energie aus Öl, Gas und nuklearen Quellen neue Wirtschaftspartner und Bündnisse in ganz Eurasien für das bevorstehende Duell mit den USA zu erschließen.


Amerikanische Pläne für eine "nukleare Vormachtstellung"

Für Russland unter Putin liegt der Schlüssel zum Erfolg in seiner Fähigkeit, seine eurasische Energiestrategie durch glaubhafte militärische Abschreckung zu verteidigen und die mittlerweile offenkundigen militärischen Pläne Washingtons für die vom Pentagon als "Full Spectrum Dominance" bezeichnete ganzheitliche Konztrolle zu konterkarieren.

In einem Artikel mit dem Titel "The Rise of US Nuclear Primacy" in Foreign Affairs, der Zeitschrift des Council on Foreign Relations in New York, vom März 2006 behaupten Kier Lieber und Daryl Press:

"Zum ersten Mal in fast 50 Jahren stehen die Vereinigten Staaten an der Schwelle zur nuklearen Vormachtstellung. Vermutlich werden die Vereinigten Staaten bald in der Lage sein, Russlands oder Chinas Arsenale nuklearer Langstreckenwaffen in einem Erstschlag zu zerstören. Diese dramatische Verlagerung des nuklearen Machtgleichgewichts resultiert aus einer Reihe von Verbesserungen in den Nuklearsystemen der Vereinigten Staaten, dem ungeheuer raschen Verfall des russischen Arsenals und der eiszeitlichen Modernisierungsgeschwindigkeit der nuklearen Waffensysteme Chinas. Wenn sich die Politik Washingtons nicht ändert und Moskau oder Peking keine Schritte unternehmen, die Größe und Bereitschaft ihrer Streitkräfte zu steigern, werden Russland und China - und der Rest der Welt - noch viele Jahre im Schatten der nuklearen Vormachtstellung der USA leben."

Die beiden amerikanischen Autoren behaupten - ganz richtig - dass sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 Russlands Arsenal an strategischen Atomwaffen "dramatisch verschlechtert" hat. Sie kommen weiterhin zu dem Schluss, dass die USA bewusst eine globale nukleare Vormachtstellung anstrebt, und zwar bereits seit geraumer Zeit. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Regierung Bush vom September 2002 stellt ausdrücklich fest, dass die offizielle Politik der USA auf das Erreichen einer globalen militärischen Vormachtstellung abzielt, was angesichts der jüngeren Maßnahmen Washingtons seit den Ereignissen von September 2001 für viele Nationen heute eine beunruhigende Vorstellung ist.

Eines der Lieblingsprojekte von Verteidigungsminister Rumsfeld war der Aufbau einer amerikanischen Raketenabwehr. Den amerikanischen Wählern wurde sie als Verteidigungsmaßnahme gegen mögliche terroristische Angriffe verkauft. In Wirklichkeit richtet sie sich gegen die einzigen beiden echten Atommächte, Russland und China, wie die Regierungen in Moskau und Peking klar erkannt haben.

Der Artikel in Foreign Affairs führt aus: "Eine Raketenabwehr von der Art, wie die Vereinigten Staaten sie plausiblerweise bereitstellen könnten, wäre in erster Linie in einem offensiven und nicht in einem defensiven Kontext sinnvoll - als Ergänzung einer amerikanischen Erstschlagskapazität, nicht als einziger Schutzschild. Im Falle eines nuklearen Angriffs der Vereinigten Staaten gegen Russland (oder China) verbliebe dem Zielland - wenn überhaupt - nur ein winziges Arsenal. An diesem Punkt würde selbst ein relativ bescheidenes oder ineffizientes Raketenabwehrsystem ausreichen zum Schutz gegen etwaige Vergeltungsschläge, denn der schwer geschädigte Feind hätte nur noch sehr wenige verbleibende Sprengköpfe und Scheinanlagen."

Angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten die Truppen ihrer NATO-Partner aktiv nach Afghanistan und jetzt in den Libanon in Bewegung gesetzt haben und ganz eindeutig das frühere UdSSR-Mitglied Georgien unterstützen, das heute ein kritischer Faktor im Zusammenhang mit der kaspischen Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan/Türkei ist, darf es kaum überraschen, dass Moskau die Versprechen des amerikanischen Präsidenten, dem von den USA definierten Erweiterten Mittleren Osten die Demokratie zu bringen, möglicherweise mit einer gewissen Besorgnis hört. Dieser Kunstbegriff "Erweiterter Mittleren Osten" ist die Schöpfung diverser Cheney nahestehender Denkfabriken in Washington, zu denen auch dessen "Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert" gehört, und bezeichnet die nicht-arabischen Länder Türkei, Iran, Israel, Pakistan, Afghanistan, die zentralasiatischen (ehemaligen UdSSR-) Staaten, sowie Aserbeidschan, Georgien und Armenien. Präsident Bush verwendete diesen Begriff zum ersten Mal auf dem G-8-Gipfel im Sommer 2004 und bezeichnete damit das Zielgebiet für Washingtons Projekt der Verbreitung der "Demokratie" in der Region.

Am 3. Oktober warnte das russische Außenministerium, Russland werde "geeignete Maßnahmen ergreifen", falls Polen Bestandteile des neuen amerikanischen Raketenabwehrsystems in Stellung bringen sollte. Polen ist heute Mitglied der NATO. Sein Verteidigungsminister Radek Sikorski war früher einmal Gastwissenschaftler in Washington bei Richard Perles Falken-Denkfabrik AEI. Er war außerdem Geschäftsführer der "Neuen Atlantischen Initiative" (New Atlantic Initiative), eines Projekts mit dem Ziel, unter dem Deckmantel der Verbreitung der Demokratie die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Osteuropas in die NATO zu führen. Über die NATO bauen die Vereinigten Staaten zudem ein europäisches Raketenabwehrsystem auf.

Einziges denkbares Ziel eines solchen Systems wäre Russland, in dem Sinne, dass es einen Erstschlagerfolg für die USA ermöglicht. Die Vollendung des europäischen Raketenabwehrsystems, die Militarisierung des gesamten Mittleren Ostens, die Einkreisung Russlands und Chinas ausgehend von einem Verbund neuer US-Militärstützpunkte, von denen viele im Namen des Kriegs gegen den Terrorismus errichtet werden, all dies erscheint dem Kreml mittlerweile als Teil einer systematischen amerikanischen Strategie der "Full Spectrum Dominance". Das Pentagon bezeichnet es als auch als "Escalation Dominance", also die Fähigkeit einen Krieg auf jedem Niveau der Gewalt bis hin zum Atomkrieg zu gewinnen.




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