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Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitische Risiken von heute

28.11.2006  |  F. William Engdahl
- Seite 6 -
Der militärische Status Moskaus

In seiner Rede zur Lage der Nation vom Mai 2003 sprach Wladimir Putin von einer Stärkung und Modernisierung der russischen Nuklearabwehr durch die Entwicklung neuartiger Waffen auch für Russlands strategische Streitkräfte, die die "Verteidigungsfähigkeit Russlands und seiner Verbündeten langfristig sicherstellt". Russland stoppte den Abzug und die Vernichtung seiner SS-18-MIR-Ved-Raketen, nachdem die Bush-Regierung einseitig das Ende des ABM-Vertrags sowie ihre faktische Annullierung des Start-II-Vertrags erklärt hatte.

Russland ist immer ein mächtiges Gebilde geblieben, das modernste Waffentechnologien entwickelt. Auch wenn sich seine Armee, Marine und Luftwaffe in einem desolaten Zustand befinden, bleiben die Voraussetzungen für Russlands Wiederaufstieg zu einem militärischen Kraftzentrum bestehen. Russland stellt auf diversen internationalen Messen kontinuierlich erstklassige Waffentechnik vor und hat seine Fähigkeiten überzeugend unter Beweis gestellt.

Nach einer Analyse der Washingtoner Denkfabrik Power and Interest News Report (PINR) aus dem Jahr 2004 produziert Russland trotz finanzieller und wirtschaftlicher Schwierigkeiten weiterhin modernste Waffensysteme. Eine seiner größten Leistungen nach der Auflösung der Sowjetunion war das Panzerfahrzeug BMP-3, dem die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman gegenüber westlichen Fahrzeugen bei ihren Rüstungslieferungen den Vorzug gaben.

Die russischen Boden-Luft-Raketensysteme, die S-300 und deren stärkere Nachfolgerin S-400, gelten als schlagkräftiger als die amerikanische Patriot-Rakete. Die ursprünglich einmal geplante Militärübung mit Patriot- und S-300-Raketen kam nie zustande, so dass der unbestrittene, allerdings auch unbewiesene Anspruch auf Überlegenheit der russischen über die amerikanischen Systeme weiterhin im Raum steht. Fortgesetzt wird diese Liste mit den Militärhubschraubern aus der Kamow-50-Familie, deren hochmoderne und innovative Technik und Taktik sie dem besten militärischen Gerät der USA ebenbürtig macht. Aus Kreisen europäischer Hubschrauberproduzenten wird das bestätigt.

In den jüngsten gemeinsamen indisch-amerikanischen Luftwaffenmanövern, in denen die indische Luftwaffe mit modernen russischen Su-30-Kampfflugzeugen ausgerüstet war, war sie in der Mehrzahl der Einsätze den amerikanischen F-15 überlegen, was den General der US-Luftwaffe Hal Homburg zu dem Eingeständnis bewegte, dass russische Waffentechnik in indischer Hand die US-Luftwaffe "wachgerüttelt" habe. Das russische militärische Establishment arbeitet weiter an der Konstruktion weiterer Hubschrauber, Panzer und Panzerfahrzeuge, die sich mit den besten westlichen Produkten messen können.

Waffenexporte waren neben Öl und Gas eine der besten Möglichkeiten für Russland, an die dringend benötigten Devisen zu kommen. Schon jetzt ist Russland zweitgrößter Waffenexporteur nach den USA. In diversen Magazinen und Zeitschriften wird berichtet, dass die moderne russische Militärtechnik derzeit wegen der bestehende finanziellen Schwierigkeiten und Beschränkungen in den russischen Streitkräften eher exportiert als den eigenen Armeen zur Verfügung gestellt wird. Für Amerikas zukünftige militärische Operationen hat das Konsequenzen, da praktisch alle Kampfformationen von aufständischen, Guerilla, Splitter- oder Terroristengruppen auf der Welt - eben die Formationen, denen die Vereinigten Staaten in ihren zukünftigen Kriegen am ehesten gegenüberstehen werden - mit russischen Waffen oder deren Derivaten ausgerüstet sind.

Das russische Nukleararsenal spielt seit dem Ende der Sowjetunion eine wichtige politische Rolle, denn es gibt dem russischen Staat eine grundlegende Sicherheit. 2003 musste Russland von der Ukraine strategische Bomber und Interkontinentalraketen kaufen, die dort gelagert waren. Seit dieser Zeit hatten strategische Nuklearwaffen Priorität. Heute stehen die russischen Staatsfinanzen, größtenteils dank der hohen Exporterlöse für Öl und Gas auf einer festen Grundlage. Die russische Zentralbank hält mittlerweile mit mehr als 270 Milliarden US Dollar die fünfthöchste Dollarreserve.

Trotz der allgemeinen Belastung durch militärisches Engagement und Rüstungsausgaben bauen die USA derzeit ohne großes Aufhebens ihren Einfluss und Militärpräsenz im Mittleren Osten aus. Warum? Zum einen sicherlich wegen des Öls. Geopolitisch betrachtet geht es aber auch darum, die eurasische Landmacht Russland zu neutralisieren oder sie am Zugang zum Meer zu hindern - ganz im Sinne von Mackinder. Der Griff der USA nach der "nuklearen Vormachtstellung" über Russland ist der weltpolitische Faktor, der am ehesten das Potential hat, die Welt wegen einer Fehlkalkulation mit einem nuklearen Flächenbrand zu überziehen.

Vor einigen Jahren wurde die Shanghai Cooperation Organization (SCO) von Russland und China gegründet, um ausgewählte eurasische Länder zu einem Dialog zusammenzuführen. Bei ihrer Gründung im Juni 2001 durch China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan bestand ihr erklärtes Ziel zunächst darin, "die Zusammenarbeit auf dem Gebiet von n Politik, Wirtschaft und Handel, Wissenschaft und Technik, Kultur und Bildung ebenso wie Energie ..." zu fördern. Im vergangenen Juni war der iranische Präsident Achmadinedschad als Beobachter willkommen, und der Iran wird von Russland und China ermutigt, der SCO beizutreten. Bisher ist die SCO allem Anschein nach eher ein ziemlich unstrukturiertes Diskussionsforum. Mit ein bisschen Provokation von Seiten der USA und der NATO könnte sie allerdings rasch zum Kern eines breiteren eurasischen Militär- und Energiebündnisses als Gegengewicht gegen die nukleare Vormachtstellung der USA mutieren. Halford Mackinders Alptraum könnte somit in Erfüllung gehen, ironischerweise hauptsächlich aufgrund der unilateralen und aggressiven Außenpolitik eines zu selbstsicheren Amerika.

In seinem zentralen Punkt bleibt Mackinders geopolitisches Konzept relevant: "Die großen geographischen Realitäten ändern sich nicht: Landmacht gegen Seemacht, Kernland gegen Randland, Zentrum gegen Peripherie..." Das ist Russland ebenso klar wie Washington.


© F. William Engdahl
www.engdahl.oilgeopolitics.net

Der Bestseller "Mit der Ölwaffe zur Weltmacht" erschien zuletzt in einer aktualisierten Auflage im Kopp Verlag.
Sein neustes Werk "Saat der Zerstörung - Die dunkle Seite der Gen-Manipulation" erschien ebenfalls in Kopp Verlag.




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