Von der Finanzmarktgeschichte langfristig profitieren
27.11.2006 | Redaktion
"Langfristig steigen Aktien immer." Dieses neumodische Credo der Finanzbranche haben Sie sicherlich schon einmal gehört oder gelesen. Und vielleicht sind Sie dann sogar ins Grübeln geraten, wieso ausgerechnet Ihr eigenes Depot diese Aussage nicht so ganz bestätigen kann, obwohl Sie der Börse schon recht lange zugetan sind. Ein eher schwacher Trost mag darin liegen, dass Sie mit Ihren Erfahrungen nicht alleine dastehen. Woran das liegt, werde ich Ihnen im Folgenden zeigen.
Die Geschichte des Kapitalismus ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Dank dieses extrem flexiblen Wirtschaftssystems, das die schöpferischen Kräfte der Menschen zu voller Entfaltung kommen lässt, leben heute große Teile der Menschheit in Wohlstand. Verglichen mit früheren Epochen, lebt heute der durchschnittliche Mitteleuropäer auf einem Niveau, das einst nur Königen und Kaisern vorbehalten war - wenn überhaupt.
Eines der wichtigsten Kennzeichen des Kapitalismus ist seine Flexibilität. Der große Ökonom Joseph A. Schumpeter prägte bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts den Begriff der schöpferischen Zerstörung, um dieses wichtige Merkmal der Marktwirtschaft auf den Punkt zu bringen. Und genau diese schöpferische Zerstörung, der beständige Wandel, zwingt die Unternehmer dazu, ihre Geschäftsideen ständig neu zu überdenken und den sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Sie müssen ihr Unternehmen immer wieder neu erfinden. Andernfalls laufen sie Gefahr, auf dem Schrottplatz des Kapitalismus zu landen. Der Weg des marktwirtschaftlichen Fortschritts ist übersät mit den Wracks gescheiterter und obsolet gewordener Unternehmen. Wer sich mit seinem Unternehmen den permanenten Veränderungen einer freien Wirtschaft nicht erfolgreich stellt, verschwindet vom Markt - und die betroffenen Aktien vom Kurszettel.
Dabei müssen Sie sich immer vor Augen führen, dass jede einmal emittierte Aktie zu jeder Zeit von jemandem gehalten werden muss. Auch auf dem Weg nach unten. Auch auf dem Weg in den Konkurs. Auch zu jenem bedauerlichen Zeitpunkt, an dem die Aktie wertlos aus den Depots gebucht wird. Einer muss die rote Laterne halten, es geht nicht anders. Die Kunst der Aktienanlage besteht unter anderem darin, Verluste zu vermeiden. Betrachten Sie zur Veranschaulichung folgendes Beispiel:
Ein Anleger streut sein Vermögen von 100.000 € auf 20 verschiedene Aktien. Von diesen 20 Aktien entwickeln sich 18, das sind stattliche 90%, positiv: Nach einem Jahr haben sie um jeweils 10% zugelegt. Der Kursgewinn beträgt 9.000 €. Mit den restlichen beiden Aktien hatte unser Anleger Pech, sie fielen um drastische 90%, vielleicht war ja die T-Aktie dabei. Daraus ergibt sich ein Verlust von 9.000 €. Obwohl unser Anleger eigentlich ein gutes Näschen hatte und 18 seiner insgesamt 20 Aktien tatsächlich schön gestiegen sind, hat er insgesamt leider keinen Gewinn gemacht.
Auch die Volksaktie Deutsche Telekom wird Generationen von
Finanzmarkthistorikern viel Freude bereiten.
Wie dieses einfache Beispiel uns lehrt, müssen Sie unter allen Umständen große Verlustpositionen in Ihrem Depot vermeiden. Genau dafür sorgen die Hüter der Indizes und meist tun sie das recht erfolgreich.
Die "Manipulation" der Aktienindizes
Die gängigen Aktienindizes sind allesamt nicht statisch, sondern sie werden anhand bestimmter Kriterien gemanagt. Dabei spielt fast immer die Marktkapitalisierung einer Aktie eine wichtige Rolle. Nur große Unternehmen, deren Marktwert bestimmte Schwellenwerte überschreitet, werden in den Index aufgenommen. Dafür müssen andere Werte weichen. In unregelmäßigen Abständen werden auf diese Weise die relativ schlechten Aktien aus dem Index geworfen und durch relativ gute ersetzt. Kurzfristig mag das Timing dieser Anpassungen nicht immer sehr glücklich sein. Langfristig werden aber die nicht mehr wachsenden Unternehmen - eben jene, die sich womöglich auf dem Weg nach ganz unten befinden - aus dem Index entfernt. In groben Zügen wird damit einer alten Börsenweisheit Rechnung getragen: Gewinne laufen lassen und Verluste vermeiden.
Aber selbst diese elegante Vorgehensweise bei der Konstruktion von Indizes rechtfertigt noch nicht das oben zitierte Credo langfristig immer steigender Aktien. Korrekt müsste die Aussage nämlich heißen: "In den vergangenen 100 oder auch 200 Jahren sind die amerikanischen Aktienkurse, gemessen an einem Aktienindex, gestiegen." Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Unterschied dieser beiden Aussagen ist bedeutend. Schließlich gibt es zahlreiche Beispiele von Ländern, in denen die Aktien langfristig nicht gestiegen sind. Dazu gehören nicht nur die osteuropäischen Länder, deren einst hoch entwickelten Kapitalmärkte hinter dem Eisernen Vorhang verschwanden und Opfer des Sowjetkommunismus wurden. Auch zahlreiche afrikanische und südamerikanische Länder sind hervorragende Beispiele für Aktienmärkte, die Anlegern wenig Freude bereitet haben. Insbesondere der Niedergang Argentiniens, das in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den reichsten Nationen der Welt gehörte, entlarvt das Credo als naives Wunschdenken oder verkaufstaktische Schönfärberei.
Erfolgsstory USA: eine endlose Geschichte
Der Satz von den langfristig angeblich immer steigenden Aktien wurde in den USA geprägt. Im Marketing von USInvestmentbanken und Investmentfonds tauchte er etwa ab Anfang der 1990er Jahre regelmäßig auf. Im Rahmen der großen Spekulationsblasen an den amerikanischen Aktienmärkten, in deren Sog auch die europäischen Börsen gerieten, erlebte der Satz einen regelrechten Siegeszug, der ihn auch in Europa populär machte. Nur in Japan, dessen Börse von 1990 bis 2003 um 80% fiel, wollten die Anleger davon nichts hören. Illustriert wurde der Spruch von den steigenden Aktien gewöhnlich mit einer Grafik, die den langfristigen Kursverlauf - oft nur auf die Nachkriegszeit beschränkt - amerikanischer Aktienindizes zeigte. Und tatsächlich ist auf den entsprechenden Charts eine scheinbar harmlose Zickzacklinie zu erkennen, die links unten beginnt und rechts oben endet. Die prägnante Werbeaussage scheint also auf den ersten Blick zu stimmen.
Allerdings setzt sie einige sehr wichtige Dinge voraus, die gewöhnlich verschwiegen werden. Stattdessen wird eine naive Extrapolation der Zeitreihe, ihre bedenkenlose Fortschreibung in die Zukunft, vorgenommen. Diese Vorgehensweise ist jedoch nur mit einer sehr wichtigen Einschränkung berechtigt: Wenn die kommenden Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte für die USA ähnlich erfolgreich verlaufen sollten wie die vergangenen 100 oder 200 Jahre, dann werden sich vermutlich auch die Aktienkurse ähnlich entwickeln.
Dabei dürfen Sie allerdings nicht außer Acht lassen, dass der Aufstieg Amerikas in den vergangenen 100 Jahren eine außergewöhnliche, um nicht zu sagen sensationelle Erfolgsgeschichte darstellt. Auf eine Fortsetzung dieser Erfolgsstory zu setzen, ist angesichts zunehmender internationaler Konkurrenz und abnehmender amerikanischer Wettbewerbsfähigkeit eine gewagte Prognose. Wer einmal bewusst ein Geschichtsbuch zur Hand genommen hat, der weiß, dass auch die Geschichte - ganz wie die Börse - keine Einbahnstraße ist.
Die Geschichte des Kapitalismus ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Dank dieses extrem flexiblen Wirtschaftssystems, das die schöpferischen Kräfte der Menschen zu voller Entfaltung kommen lässt, leben heute große Teile der Menschheit in Wohlstand. Verglichen mit früheren Epochen, lebt heute der durchschnittliche Mitteleuropäer auf einem Niveau, das einst nur Königen und Kaisern vorbehalten war - wenn überhaupt.
Eines der wichtigsten Kennzeichen des Kapitalismus ist seine Flexibilität. Der große Ökonom Joseph A. Schumpeter prägte bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts den Begriff der schöpferischen Zerstörung, um dieses wichtige Merkmal der Marktwirtschaft auf den Punkt zu bringen. Und genau diese schöpferische Zerstörung, der beständige Wandel, zwingt die Unternehmer dazu, ihre Geschäftsideen ständig neu zu überdenken und den sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Sie müssen ihr Unternehmen immer wieder neu erfinden. Andernfalls laufen sie Gefahr, auf dem Schrottplatz des Kapitalismus zu landen. Der Weg des marktwirtschaftlichen Fortschritts ist übersät mit den Wracks gescheiterter und obsolet gewordener Unternehmen. Wer sich mit seinem Unternehmen den permanenten Veränderungen einer freien Wirtschaft nicht erfolgreich stellt, verschwindet vom Markt - und die betroffenen Aktien vom Kurszettel.
Dabei müssen Sie sich immer vor Augen führen, dass jede einmal emittierte Aktie zu jeder Zeit von jemandem gehalten werden muss. Auch auf dem Weg nach unten. Auch auf dem Weg in den Konkurs. Auch zu jenem bedauerlichen Zeitpunkt, an dem die Aktie wertlos aus den Depots gebucht wird. Einer muss die rote Laterne halten, es geht nicht anders. Die Kunst der Aktienanlage besteht unter anderem darin, Verluste zu vermeiden. Betrachten Sie zur Veranschaulichung folgendes Beispiel:
Ein Anleger streut sein Vermögen von 100.000 € auf 20 verschiedene Aktien. Von diesen 20 Aktien entwickeln sich 18, das sind stattliche 90%, positiv: Nach einem Jahr haben sie um jeweils 10% zugelegt. Der Kursgewinn beträgt 9.000 €. Mit den restlichen beiden Aktien hatte unser Anleger Pech, sie fielen um drastische 90%, vielleicht war ja die T-Aktie dabei. Daraus ergibt sich ein Verlust von 9.000 €. Obwohl unser Anleger eigentlich ein gutes Näschen hatte und 18 seiner insgesamt 20 Aktien tatsächlich schön gestiegen sind, hat er insgesamt leider keinen Gewinn gemacht.
Auch die Volksaktie Deutsche Telekom wird Generationen von
Finanzmarkthistorikern viel Freude bereiten.
Wie dieses einfache Beispiel uns lehrt, müssen Sie unter allen Umständen große Verlustpositionen in Ihrem Depot vermeiden. Genau dafür sorgen die Hüter der Indizes und meist tun sie das recht erfolgreich.
Die "Manipulation" der Aktienindizes
Die gängigen Aktienindizes sind allesamt nicht statisch, sondern sie werden anhand bestimmter Kriterien gemanagt. Dabei spielt fast immer die Marktkapitalisierung einer Aktie eine wichtige Rolle. Nur große Unternehmen, deren Marktwert bestimmte Schwellenwerte überschreitet, werden in den Index aufgenommen. Dafür müssen andere Werte weichen. In unregelmäßigen Abständen werden auf diese Weise die relativ schlechten Aktien aus dem Index geworfen und durch relativ gute ersetzt. Kurzfristig mag das Timing dieser Anpassungen nicht immer sehr glücklich sein. Langfristig werden aber die nicht mehr wachsenden Unternehmen - eben jene, die sich womöglich auf dem Weg nach ganz unten befinden - aus dem Index entfernt. In groben Zügen wird damit einer alten Börsenweisheit Rechnung getragen: Gewinne laufen lassen und Verluste vermeiden.
Aber selbst diese elegante Vorgehensweise bei der Konstruktion von Indizes rechtfertigt noch nicht das oben zitierte Credo langfristig immer steigender Aktien. Korrekt müsste die Aussage nämlich heißen: "In den vergangenen 100 oder auch 200 Jahren sind die amerikanischen Aktienkurse, gemessen an einem Aktienindex, gestiegen." Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Unterschied dieser beiden Aussagen ist bedeutend. Schließlich gibt es zahlreiche Beispiele von Ländern, in denen die Aktien langfristig nicht gestiegen sind. Dazu gehören nicht nur die osteuropäischen Länder, deren einst hoch entwickelten Kapitalmärkte hinter dem Eisernen Vorhang verschwanden und Opfer des Sowjetkommunismus wurden. Auch zahlreiche afrikanische und südamerikanische Länder sind hervorragende Beispiele für Aktienmärkte, die Anlegern wenig Freude bereitet haben. Insbesondere der Niedergang Argentiniens, das in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den reichsten Nationen der Welt gehörte, entlarvt das Credo als naives Wunschdenken oder verkaufstaktische Schönfärberei.
Erfolgsstory USA: eine endlose Geschichte
Der Satz von den langfristig angeblich immer steigenden Aktien wurde in den USA geprägt. Im Marketing von USInvestmentbanken und Investmentfonds tauchte er etwa ab Anfang der 1990er Jahre regelmäßig auf. Im Rahmen der großen Spekulationsblasen an den amerikanischen Aktienmärkten, in deren Sog auch die europäischen Börsen gerieten, erlebte der Satz einen regelrechten Siegeszug, der ihn auch in Europa populär machte. Nur in Japan, dessen Börse von 1990 bis 2003 um 80% fiel, wollten die Anleger davon nichts hören. Illustriert wurde der Spruch von den steigenden Aktien gewöhnlich mit einer Grafik, die den langfristigen Kursverlauf - oft nur auf die Nachkriegszeit beschränkt - amerikanischer Aktienindizes zeigte. Und tatsächlich ist auf den entsprechenden Charts eine scheinbar harmlose Zickzacklinie zu erkennen, die links unten beginnt und rechts oben endet. Die prägnante Werbeaussage scheint also auf den ersten Blick zu stimmen.
Allerdings setzt sie einige sehr wichtige Dinge voraus, die gewöhnlich verschwiegen werden. Stattdessen wird eine naive Extrapolation der Zeitreihe, ihre bedenkenlose Fortschreibung in die Zukunft, vorgenommen. Diese Vorgehensweise ist jedoch nur mit einer sehr wichtigen Einschränkung berechtigt: Wenn die kommenden Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte für die USA ähnlich erfolgreich verlaufen sollten wie die vergangenen 100 oder 200 Jahre, dann werden sich vermutlich auch die Aktienkurse ähnlich entwickeln.
Dabei dürfen Sie allerdings nicht außer Acht lassen, dass der Aufstieg Amerikas in den vergangenen 100 Jahren eine außergewöhnliche, um nicht zu sagen sensationelle Erfolgsgeschichte darstellt. Auf eine Fortsetzung dieser Erfolgsstory zu setzen, ist angesichts zunehmender internationaler Konkurrenz und abnehmender amerikanischer Wettbewerbsfähigkeit eine gewagte Prognose. Wer einmal bewusst ein Geschichtsbuch zur Hand genommen hat, der weiß, dass auch die Geschichte - ganz wie die Börse - keine Einbahnstraße ist.