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Italien-Krise: Menetekel für den Euro

02.09.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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(2) Italien tritt aus dem Euro aus und führt eine eigene Währung ein. Die "neue Lira" wertet gegenüber dem Euro ab und verschafft Italiens Produzenten preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Steigende inländische Inflation könnte die realen Preise und Löhne in Italien auf ein wettbewerbskonformes Niveau bringen, ohne dass eine Senkung der nominalen Preise und Löhne erforderlich wäre (was politisch schwer durchsetzbar ist).

Über all dem schwebt jedoch drohend Italiens gewaltige Schuldenlast. Die darauf zu zahlenden Zinskosten betrugen in 2017 etwa 4,5 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung. Das zeigt das ganze Dilemma: Die Zinszahlungen auf die öffentlichen Schulden sind höher als die (nominale) Wachstumsrate des Landes. Die Italiener zahlen folglich die Zinskosten der öffentlichen Schuld aus der Substanz.

Das ist kein dauerhaft durchhaltbarer Zustand. Italiens neue Regierungskoalition hatte anfänglich bereits lautstark gefordert, die Europäische Zentralbank (EZB) solle Italien einen Schuldenerlass von 250 Mrd. Euro gewähren - indem die EZB auf die italienischen Anleihen, die sie bereits gekauft hat, keine Zins- und Tilgungszahlungen mehr einfordert. (Gegen Ende August 2018 hatte die EZB Euro-Staatsanleihen, einschließlich Anleihen supranationaler Emittenten, in Höhe von 2.093 Mrd. Euro aufgekauft. Davon waren 352,8 Mrd. Euro italienische Staatsanleihen.)

Die Forderung nach einem Schuldenerlass, die rasch wieder aus dem offiziellen Koalitionsvertrag verschwand, hat die Finanzmärkte nervös gemacht: Sorgen vor einem Szenario, in dem Italien nicht mehr bereit ist, vollumfänglich seinen Schuldendienst zu leisten, hat die Renditen für italienische Staatsanleihen ansteigen lassen. Eine gefährlich Spirale kann so in Gang kommen: Steigende Renditen verteuern die Refinanzierung fälliger und die Aufnahme neuer Schulden. Das wiederum schmälert die Bereitschaft und Fähigkeit Italiens, die Altschulden weiterhin wie versprochen zu bedienen.

Bislang tragen die Anleihekäufe der EZB noch dazu bei, die italienischen Renditen künstlich niedrig zu halten. (Denn die Nachfrage der EZB nach Anleihen hat die Kurse der Papiere erhöht und deren Renditen abgesenkt - im Vergleich zu einer Situation, in der die EZB keine Anleihen nachfragt hätte). Was aber, wenn die EZB wie angekündigt Ende Dezember 2018 aufhört, Anleihen zu kaufen?

Zu beachten ist hier, dass die EZB de facto weiterhin Anleihen kaufen wird: Und zwar wird sie die Zins- und Tilgungszahlungen, die ihr aus der Bedienung der Anleihen zugehen, wieder im Anleihemarkt anlegen. Sie wird also weiterhin einen zinsdämpfenden Einfluss auf die Märkte ausüben. Was jedoch, wenn Italiens Zinskosten aus dem Ruder laufen (weil die Märkte bezweifeln, dass Italien sich nicht reformiert)? Dann entsteht eine besonders schwierige Situation.

Um sie zu entschärfen, müssten die übrigen Euro-Staaten (beziehungsweise deren Steuerzahler) Kreditgarantieren aussprechen, also für die italienischen Staatsschulden einstehen. Oder aber die EZB müsste die Finanzierung des italienischen Staates übernehmen. Alles Maßnahmen, die sich politisch nicht mehr so problemlos durchsetzen lassen, wie das in den Jahren zuvor noch möglich war.

Wäre ein Schuldenschnitt für Italien ein möglicher Weg, um das Land zu entschulden, wettbewerbsfähiger zu machen und es gleichzeitig auch noch im Euroraum zu halten? Dieser Reformweg - der für sich genommen durchaus möglich ist -, hat ein pikantes Problem im Gepäck, das man nicht übersehen sollte: Wie werden die Investoren reagieren, wenn Italien von den Euro-Staaten und der EZB fallen gelassen wird?

Die Investoren werden wohlmöglich nicht nur einen großen Bogen um italienische Anleihen, sondern auch um die Anleihen anderer Euro- Staaten machen. Das würde zu allgemein steigenden Zinsen führen, und das könnte die Euro-Konjunktur einbrechen lassen und Zahlungsausfälle auf breiter Front verursachen.

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Quelle: Thomson Financial


Wie man es auch drehen und wenden mag: Italien stellt ein akutes und gewaltiges Problem für den Euroraum dar - und es hat das Potential, den Euroraum zu sprengen. Denn selbst wenn die EZB als "Anleihekäufer in der Not" in Erscheinung tritt und dadurch Zahlungsausfälle abwehrt: Die Folge ist inflationär, und Inflation verursacht ungerechte Verteilungswirkungen, die die Menschen in den verschiedenen Euro-Staaten in unterschiedlicher Weise treffen. Das wiederum würde die politischen Zentrifugalkräfte innerhalb der Währungsunion weiter verstärken.

Doch bekanntlich ist das Anwerfen der elektronischen Notenpresse für Regierungen die Politik des vergleichbar kleinsten Übels: Krisensituationen durch ein Ausweiten der Geldmenge zu begegnen wird dem Zulassen von Zahlungsausfällen vorgezogen. Italien hat - wenn es nicht aus dem Euroraum austritt - das Potential, den Euroraum in eine offene Inflationspolitik hineinzumanövrieren.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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