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Die Utopie der Sozialen Marktwirtschaft

03.10.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
Denken wir über den Begriff "Soziale Marktwirtschaft" nach. Bewusst oder unbewusst kommen wir zum Schluss: Wenn es eine "Soziale Marktwirtschaft" gibt, dann muss es auch - und zwar denknotwendigerweise - eine "Unsoziale Marktwirtschaft" geben. Und in unserem Kopf spielt sich noch etwas ab: Wenn es eine Soziale Marktwirtschaft (und daher auch eine Unsoziale Marktwirtschaft) gibt, ist die Marktwirtschaft nicht per se gut, also "sozial" - denn im Sprachgebrauch ist das Attribut „sozial“ positiv aufgeladen.

Nein, so denken Sie: Die Marktwirtschaft kann offenbar auch schlecht sein - und zwar "unsozial". Und folglich darf man die Marktwirtschaft nicht sich selbst überlassen. Man muss sie vielmehr verantwortungsvoll lenken und steuern, damit sie gut, also sozial sein kann. Damit ist die Idee der freien Marktwirtschaft klammheimlich diskreditiert - und ohne dass auch nur ein überzeugendes Sachargument angeführt worden wäre!

Doch was ist "sozial"? Eine berechtigte Frage - zumal im heutigen Sprachgebrauch das Wort "sozial" allgegenwärtig ist. Zum Beispiel kommt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 14 Mal vor - als Attribut (wie sozialer Rechtstaat) und auch in Wortverbindungen (wie Sozialversicherung, Sozialgerichtsbarkeit oder Bundessozialgericht). Zudem taucht es in vielen anderen häufig gebräuchlichen Worten wie "Soziale Gerechtigkeit", "sozialer Friede", "soziales Jahr", "Sozialismus" und "Nationalsozialismus“ auf.

Das Wort "sozial" ist allerdings inhaltlich unbestimmt, nicht abgegrenzt und damit unklar. Und daher kann es jeder nach eigenem Gutdünken mit Inhalt füllen. Möglicherweise gibt es einen Mindestkonsens darüber, was "sozial" ist. Er könnte darin bestehen, sich nicht nur um das eigene Wohl zu kümmern, sondern sich auch für das Wohl seiner Mitmenschen einzusetzen. Doch die Vorstellungen verschiedener Menschen darüber, was sozial in concreto bedeutet (und was nicht), sind meist so disparat, dass sich eine Definition von "sozial", der alle zustimmen, schlichtweg nicht finden lässt.

Für die einen ist es sozial, wenn der Staat die Einkommensunterschiede einebnet, wenn er eine progressive Einkommensbesteuerung, eine Vermögens- und Erbschaftssteuer erhebt; wenn er für Schulpflicht und Kindertagesstätten sorgt; Mindestlöhne und Mietpreisbremsen diktiert; eine Politik der offenen Grenzen verfolgt; versucht, das Weltklima zu steuern; oder das Eigentum abschafft. Andere wiederum sind weitaus bescheidener: Für sie ist "sozial" die Abwesenheit von Zwang und Aggression; aus ihrer Sicht ist es sozial, wenn sichergestellt ist, dass Transaktionen zwischen Menschen nur auf freiwilliger Basis (und damit stets zu beiderseitigem Nutzen) stattfinden.

Aus dem bisher Gesagten erkennt man: Das Wortgebilde "Soziale Marktwirtschaft" ist letztlich eine semantische Unaufrichtigkeit, ein sprachliches Täuschungsmanöver. Ludwig Erhards hat es, wie bereits gesagt, nicht verwendet. Für ihn stand außer Frage, dass die freie Marktwirtschaft der breiten Bevölkerung zugutekommt, dass die freie Marktwirtschaft gerade nicht – wie ihre Gegner es behaupten - nur einigen wenigen zu Lasten vieler dient. In Erhards Worten: "Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch."

Nun haben allerdings Erhards wirtschaftspolitische Ideen, die mit Slogan "Wohlstand für Alle" überschrieben sind, eine enge Verbindung zum sogenannten Ordoliberalismus, der inhaltlich das verkörpert, was man heute mit "Sozialer Marktwirtschaft" übertitelt. Der Ordoliberalismus (der auch als "Freiburger Schule" bekannt und mit den Namen Walter Eucken (1891 - 1950), Franz Böhm (1895 - 1977), Leonhard Miksch (1901 - 1950) und Hans Großmann-Doerth (1894 - 1944) verbunden ist) soll eine Blaupause für eine marktwirtschaftliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sein.

Walter Eucken geht es darum, eine menschenwürdige und funktionsfähige Ordnung, die politische und wirtschaftliche Freiheit vereint, zu schaffen. Aus Sicht der Ordoliberalen fördert die freie Marktwirtschaft zwar in bestmöglicher Weise den materiellen Wohlstand. Aber, und das ist die große Sorge der Ordoliberalen, die freie Marktwirtschaft, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, droht sich selbst abzuschaffen - indem sie wirtschaftliche Macht, Preisabsprachen, Kartell- und Monopolbildung befördert, die den freien Wettbewerb zerstören.

Daher braucht es jemanden, so die Ordoliberalen, der die Rahmenbedingungen setzt, unter denen der Wettbewerb gesichert ablaufen kann. Und dieser jemand ist - der Staat. Der Staat soll das Entstehen wirtschaftlicher Macht verhindern. Beispielsweise indem er ein Kartellamt einrichtet, dass marktbeherrschende Stellungen von Unternehmen unmöglich macht. Für die Ordoliberalen ist der Staat der Garant und Retter des freien Marktsystems. Er soll Wettbewerbshüter sein und eine funktionierende Marktwirtschaft garantieren. Auf diese Weise schützt er die Schwachen vor den vermeintlich zerstörerischen Kräften des freien Marktes.


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