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Zinspolitische Irrfahrt der EZB

03.03.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Europäische Zentralbank (EZB) braucht eine Begründung, mit der sich das Fortführen der Niedrig- und Negativzinspolitik rechtfertigen lässt. Ökonomen helfen aus.

Seit Jahr und Tag diskutieren Ökonomen, ob man die Zentralbankpolitik einer Regelbindung unterwerfen soll oder nicht; und wenn ja, wie solch eine Regel aussehen soll und wie nicht. Populär ist dabei die sogenannte "Taylor-Zinsregel" geworden, benannt nach dem USamerikanischen Volkswirt John B. Taylor (*1946). Mit ihr soll der "richtige" Notenbankzins anhand von drei Faktoren ermittelt werden: dem gleichgewichtigen Realzins, dem Unterschied zwischen tatsächlicher und anvisierter Inflation sowie dem Auslastungsgrad der Volkswirtschaft. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat lange Zeit ihren Leitzins annähernd so gesetzt, wie es die Taylor-Zinsregel empfiehlt.

Es gibt zwar viel zu kritisieren an der Taylor-Zinsregel. Interessant ist jedoch, dass sie aktuell für den Euroraum einen Leitzins von knapp 3 Prozent befürwortet, für Deutschland sogar von knapp 4 Prozent, für Frankreich allerdings von knapp unter 2 Prozent, und für Italien wäre der Taylor-Zins sogar negativ: minus 0,4 Prozent. Die EZB macht nun aber keine Anstalten, ihren Leitzins, der seit März 2016 auf der Nulllinie verharrt, anzuheben. Warum nicht? Der Verdacht liegt nahe, dass die EZB-Räte den Zins gar nicht anheben wollen - Taylor-Zinsregel hin oder her -, weil sie meinen, die Euro-Konjunktur und die finanziell überdehnten Staaten könnten keine höheren Kreditkosten verkraften.

Doch ganz ohne wissenschaftliche Begründung wollen die EZB-Räte wohl nicht verfahren. Unterstützung erhalten sie von Ökonomen aus Universitäten und Geschäftsbanken. In diesen Kreisen beruft man sich jüngst auf eine veränderte, eine angepasste Taylor-Zinsregel, wie sie beispielsweise der zypriotische Ökonom Athanasios Orphanides bevorzugt. Und siehe da: Ihre Anwendung gibt eine Rechtfertigung, warum der EZB-Zins auf der Nulllinie liegt.

Auf dieser Basis lassen sich nun Vorhersagen oder Handlungsempfehlungen treffen: Im ersten Fall lautet der Schluss, dass die EZB den Leitzins in 2019 nicht anheben wird; und im zweiten Fall, dass sie den Leitzins im laufenden Jahr nicht anzuheben braucht.

So einfach lässt sich - Hokuspokus - eine gewünschte Zinspolitik rechtfertigen: Der Zins, den man haben will, wird ganz einfach herbeikonstruiert. Nicht die Zinsregel bestimmt die Geldpolitik, sondern es verhält sich umgekehrt: Die Geldpolitik bestimmt die Zinsregel. Wohin führt diese Willkür? Dazu, dass die Null- und Negativzinsphase im Euroraum noch lange andauern wird. Dadurch kann zwar vorläufig die Euro-Kreditpyramide vor dem Einsturz bewahrt werden.

Jedoch gleichzeitig richten Null- und Negativzinsen schwere wirtschaftliche Schäden an: Geld und Altersvorsorge werden entwertet, Fehlinvestitionen verursacht, die Wettbewerbs- und Wachstumskräfte lahmgelegt. Bürgern und Unternehmern wird die zinspolitische Irrfahrt der EZB noch teuer zu stehen kommen.


Für Deutschland ist der Euro-Zins zu niedrig

Die nachstehende Graphik zeigt das nominale Jahreswachstum des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) und den Leitzins der Zentralbank. Wie zu erkennen ist, lag der Zins bis etwa 2008 tendenziell über dem Wirtschaftswachstum.Danach kehrte sich das Verhältnis um: Mittlerweile liegt der Leitzins deutlich unter der deutschen Wachstumsrate - ein Indiz, dass die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) für die deutsche Wirtschaft viel zu expansiv ist.

Die "Daumenregel" lautet: Der Nominalzins sollte sich nicht zu stark vom nominalen Wachstum der Volkswirtschaft abkoppeln. Mittlerweile ist die "Lücke" zwischen Wachstum und Zins so hoch wie nie zuvor seit der deutschen Wiedervereinigung. Der aktuelle Nullzins treibt zwar kurzfristig die Konjunktur an. Er befördert jedoch dabei gleichzeitig viele Fehlentwicklungen - die die Volkswirtschaft schädigen, und die früher oder später als Krise in Erscheinung treten. Gerade die deutsche Wirtschaft sollte daher mit großer Sorge auf die anhaltende Niedrig- und Negativzinspolitik der EZB schauen.

Deutsches BIP-Jahreswachstum und 3-Monatszins, jeweils in Prozent

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Quelle: Thomson Financials; Degussa Berechnungen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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