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Die Bedeutung des Zinses für das menschliche Handeln

16.03.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Zentralbanken manipulieren den Zins. Viele Menschen bemerken es vielleicht (noch) nicht: Aber die volkswirtschaftlichen und vor allem auch gesellschaftlichen Schäden dieser Zinsmanipulation sind gewaltig.

Nein, es gibt keine Protestmärsche gegen die Niedrig- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB); keine nächtlichen Fackelzüge, die mahnen wollen vor der drohenden Altersarmut durch die Zinszerstörung; nirgendwo ist eine medienwirksame Anti-Nullzins-Aktivistin à la Greta Thunberg zu sehen. Warum ergreift kaum jemand Partei für den geschundenen Zins? Ist die Sache mit dem Zins zu kompliziert?

Vielleicht. Aber vielleicht ist der Grund auch der: Eine ideologische Zinsfeindschaft hat sich in den Köpfen der Menschen eingenistet. Sie hält den Widerstand gegen Null- und Negativzinspolitik klein. Und sie macht es möglich, dass die Zentralbanken damit davonkommen, sich des Zinses bemächtigt zu haben und ihn, nach und nach, auf oder sogar unter die Nulllinie zu zwängen.

Wer aber um die Bedeutung des Zinses für das menschliche Handeln weiß, dem kann die gesellschaftliche Tragödie, die durch die Null- und Niedrigzinspolitik verursacht wird, nicht verborgen bleiben.

Denn der Zins ist Ausdruck des menschlichen Wertens und Handelns. Er steht für den Wertabschlag, den ein Zukunftsgut gegenüber einem Gegenwartsgut erleidet: Der Apfel heute ist wertvoller als der Apfel, über den man erst in einem Jahr verfügen kann. Bildet sich der Zins auf dem freien Markt, bringt er Sparen, Investieren und Konsumieren in Einklang und ermöglicht so wachsenden materiellen Wohlstand. Heutzutage ist der Zins aber längst kein reines Marktphänomen mehr. Er wird von der Zentralbank diktiert. Und die sorgt dafür, dass der Zins niedriger ausfällt als bei einer Zinsbildung im freien Markt. Das ist in einem ungedeckten Papiergeldsystem besonders einfach.

In diesem System wird neues Geld per Kredit sprichwörtlich "aus dem Nichts", ohne das Vorhandensein von entsprechenden Ersparnissen, geschaffen und über den Kreditmarkt in den Wirtschaftskreislauf eingespeist. Das senkt den Marktzins ab - beziehungsweise es senkt den Marktzins unter das Niveau, das sich einstellen würde, wenn es keine künstliche Ausweitung des Kreditangebots gäbe. Wer glaubt, die künstliche Kreditausweitung zum Absenken des Marktzinses hätte vielleicht doch etwas
Gutes, der irrt gewaltig.

Wohlstand entsteht, indem gespart und investiert wird, Unternehmer neue Dinge entwickeln und produzieren. Wird der Zins aber heruntermanipuliert, steigt der Konsum und das Sparen nimmt ab - und damit sinken auch die Investitionsmöglichkeiten, die den künftigen Wohlstand befördern. Das Herunterdrücken des Zinses hat überaus weitreichende Wirkungen: Es wertet den Gegenwartskonsum auf gegenüber dem Zukunftskonsum.


Auf der Nulllinie angekommen:

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Quelle: Thomson Financial; Graphik Degussa.


Das Hier und Heute wird noch wichtiger "gemacht" als das Morgen. Die Zentralbankzinspolitiken führen so eine - in den Worten von Friedrich Nietzsche (1844-1900) - "Umwertung aller Werte" herbei. Das zeigt sich in vielen Ausprägungen. Beispielsweise steigen die Bewertungsniveaus für Aktien, Grundstücke und Häuser. Für deren Preise sind nämlich die Barwerte, die sich aus den abgezinsten künftigen Zahlungen errechnen, entscheidend, und die steigen bei fallenden Zinsen an. Wohlgemerkt: Derartige Preissteigerungen sind nur Symptome einer Ursache - und zwar der zinspolitisch veränderten Wertvorstellungen der Menschen.

Die Zinsdrückerei wertet beispielsweise auch das Leben auf Pump - das zeitliche Vorziehen der Konsummöglichkeiten - aus Sicht vieler Menschen auf. Sparsamkeit gerät aus der Mode, "Dauerschuldnerei" wird moralisch akzeptabel. Letztlich läuft all das auf einen Kapitalverzehr hinaus: Der Gegenwartskonsum erfolgt zusehends auf Kosten der künftigen Konsummöglichkeiten. Wenn das Gleich und Sofort immer wichtiger wird, weil die Zinsen künstlich gesenkt werden, leiden auch Tugenden und kulturelle Errungenschaften. Nach dem Motto: Lieber weniger "Arbeitsleid" auf sich nehmen und mehr Freizeit genießen.

Gut denkbar ist, dass noch viele weitere Folgen auftreten: Dass das Leben kurzatmiger wird, die Sitten sich eintrüben, die Familie an Attraktivität verliert, die Ästhetik verkommt. Die Zentralbank führt durch das Herabsenken des Zinses also nicht nur eine großangelegte Täuschung herbei: Den Menschen wird eine Reichtumsillusion vorgegaukelt, sie werden über die wahren Knappheitsbedingungen in die Irre geführt, ihre Konsum-, Spar und Investitionsentscheidungen fehlgelenkt.

Die Zinsherunterdrückerei hat auch dezivilisierende, entkultivierende Folgen. Die Niedrig- und Negativzinspolitik zielt darauf ab, das Werten und Handeln der Menschen in einer Weise zu manipulieren, dass das Umwerten aller Werte - für die die Zinsabsenkungspolitik seit Jahrzehnten sorgt - ungehemmt weitergehen kann.

Wer meint, die Niedrig- und Nullzinspolitik helfe, die Volkswirtschaften gesunden zu lassen, sitzt einer Unwahrheit auf, ganz ähnlich wie es George Orwell in "1984" formuliert hat: "Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke." Es gibt vermutlich kein wirksameres und gleichzeitig auch subtileres Mittel, den Menschen die Orientierung zu nehmen und die wirtschaftlichen und freiheitlichen Grundlagen der Gesellschaft zu unterwandern, als die Macht des Zinses in die Hand von staatlichen Monopol-Zentralbanken zu legen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


Erschienen in eigentümlich frei, Nr. 191, S. 38.



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