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Über Sozialismus, Konservativismus und Liberalismus

13.10.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
Der Liberalismus steht wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, soweit sie im Einklang mit der Achtung und Wahrung der individuellen Freiheit stehen, positiv gegenüber. Er hat nicht - anders als der Konservativismus - Angst vor dem Fortschritt und den Veränderungen, die damit verbunden sind. Der Liberalismus hat zudem ein grundlegend positives Menschenbild. Nicht in dem Sinne, dass alle Menschen gut sind, und dass sie stets alles richtig machen. Sondern vielmehr in dem Sinne, dass der Respekt vor Privateigentum, Gleichheit vor dem Recht, freie Märkte und Wettbewerb unverzichtbar und ausreichend sind, um ein friedvolles und prosperiendes Zusammenleben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

Der Konservative hingegen hat Scheu, sich auf die spontanen Kräfte des freien Marktes zu verlassen. Er befürwortet vielmehr Ordnung durch obrigkeitliche Lenkung. Beispielsweise sollen staatliche Behörden Märkte regulieren, beaufsichtigen und überwachen. Das wiederum setzt den gutnaiven Glauben an eine "höhere Elite" voraus, deren verantwortungsvolles Wirken unerwünschte Fehlentwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft abhält.

Diese wenigen Gedanken mögen bereits genügen, um zu verdeutlichen, was Hayek in seinem Aufsatz zum Ausdruck bringt, und um erkennen zu können, welche Relevanz dieser Aufsatz für die aktuellen Geschehnisse dies- und jenseits des Atlantiks hat. Denn es hat sich Widerstand formiert gegen die Politiken und Interessengruppen, die in den letzten Jahrzehnten eine zusehends interventionistische-sozialistische Orientierung von Wirtschaft und Gesellschaft herbeigeführt und vorangetrieben haben (das sind die "politischen Globalisten"), und die - was ihre extremen Kräfte betrifft - auf die Zerschlagung der letzten verbliebenen freiheitlich-kapitalistischen Elemente abzielen.

Die bislang wohl augenscheinlichste Revolte gegen den politischen Globalismus, gegen das "Establishment", gegen die "Elite von Davos" findet in den Vereinigten Staaten von Amerika unter der Amtsführung von US-Präsident Donald J. Trump statt. Auch der "Brexit" lässt sich als das Bestreben der Briten interpretieren, sich der Machtausdehnung eines alles und jeden kontrollieren wollenden Staatskartells namens EU entziehen zu wollen.

Im Lager der Opposition haben nun allerdings vielerorts konservative Denker und Parteien die Meinungshoheit errungen. Sie pochen zum Beispiel auf die Unverletzlichkeit der nationalen Souveränität ein, fordern die Sicherung der eigenen Grenzen. Man könnte meinen, damit stünden sie in gewisser Weise auch auf liberal-libertärem Boden. Und in der Tat gibt es ja hier durchaus Gemeinsamkeiten. Doch die kommen eher zufällig als systematisch zustande. Und das ist eine wichtige Einsicht.

Die Grundprinzipien, die die (echten klassischen) Liberalen leiten, fordern zum Beispiel den Rückbau des Staates auf seine ureigene Funktion: den Schutz des Einzelnen und seines Eigentums vor Übergriffen von innen und außen; sie weisen alle Staatstätigkeit, die darüber hinausgeht, als inakzeptabel zurück. Es geht ihnen folglich nicht wie den Konservativen darum, bestehende Ämter und Posten mit "besseren" und "wohlmeinenderen" Personen zu besetzen, sondern die Staatsmacht im wahrsten Sinne zu entmachten: den Staat zu verkleinern, ihn zurück- und abzubauen.

Denn aus Sicht des Liberalismus ist der Verlust der Freiheit, das Vordringen sozialistischer Ideen, wie sie heute in der westlichen Welt unübersehbar geworden sind, kein "Betriebsunfall", sondern sie sind eine unweigerliche Folge des Staates und der politischen Dynamiken, die er freisetzt. Kurz gesprochen: Aus Sicht der echten Liberalen lässt sich der Staat - der territoriale Zwangsmonopolist mit der Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte in seinem Territorium - nicht zähmen. Vielmehr meinen sie, dass selbst aus einem Minimalstaat ein Maximalstaat wird.

Die größten Bedenken, die die Liberalen gegenüber den Konservativen erheben, sind daher, dass die Konservativen das Übel nicht bei der Wurzel packen; dass ihre Gegenwehr gegen den Verlust der Freiheit zu kurz greift. Diese Sorgen sind keinesfalls an den Haaren herbeigezogen. Denn die linken Programme, die heute in die Tat umgesetzt werden, konnten gewissermaßen jahrzehntelang gedeihen und reifen unter duldender, vielfach sogar fördernder konservativer Hoheit.

Denn, wie Hayek schon deutlich gemacht hat, der Konservativismus bildet keine harte intellektuelle Verteidigungslinie heraus gegen das Vordringen von sozialistischen Bestrebungen. Er wird von ihnen vielmehr mitgezogen. Auch wenn er Bremswirkung entfaltet: Der Konservativismus ist kein Bollwerk gegen den Sozialismus. Das allein kann nur der Liberalismus (oder Libertarismus) leisten. Dass der Konservativismus die politische Linke immerhin abbremst, mag man zwar schon als ein Verdienst zu werten.

Doch der Konservativismus kann und wird die Freiheit des Einzelnen letztlich nicht bewahren können. Das liegt ganz einfach daran, dass der Konservativismus über keine "Kompassnadel" verfügt, die ihn auf Kurs hält, ihn, wenn er auf Abwege gerät, wieder zum "richtigen" Ausgangspunkt zurückführen kann.

Der Konservativismus kennt - anders als der Liberalismus - keine unverrückbaren Grundprinzipien, für deren Geltung und Bewahrung er eintritt, damit die Freiheit des Einzelnen in der Gemeinschaft Bestand hat - wie zuallererst der unbedingte Respekt vor dem Eigentum und die Gleichheit eines jeden vor dem Recht. Wer also wünscht, dass die individuelle Freiheit gewahrt bleibt, beziehungsweise verlorenes Territorium zurückgewonnen wird, der findet im klassischen Liberalismus seinen Verbündeten.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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