Kohlekraftwerke: Der "Squeeze out" hat begonnen
20.01.2020 | Robert Rethfeld
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Die Abwärtstendenz des Börsenstrompreises der Jahre 2010 bis 2016 lässt sich gut durch den Preisverfall von Steinkohle erklären, genauso wie der anschließende Anstieg. Der erneute Preisrückgang ab dem Herbst 2018 (Halbierung von 100 auf 50 US-Dollar pro Tonne) hält an, was den Börsenstrompreis drückt.Entwicklung von Börsenstrompreis und CO2-Zertifikatepreis
Die EU-Kommission wird angesichts des 1,5 Grad-Ziels darauf bedacht sein, den CO2-Senkungspfad einzuhalten. Der Preis für CO2-Zertifikate wird deshalb eher steigen. Dieser Anstieg muss nicht dramatisch sein, um spürbare Effekte zu erzielen. Schon der aktuelle Preis induziert die gewünschte Lenkungswirkung.
Jedes zusätzlich gebaute Kraftwerk erhöht das Angebot und drückt so tendenziell den Börsenstrompreis (bei gleicher Nachfrage). Umgekehrt ist es, wenn Kraftwerkkapazitäten aus dem Markt genommen werden. Ende 2022 geht das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz. 8 Gigawatt Grundlast müssen dann auf andere Art und Weise produziert werden. Gleichzeitig werden Ende 2022 mehr Wind- und PV-Kapazitäten zur Verfügung stehen. Erste Kraftwerks-Stromspeicher auf Lithium-Ionen-Basis dürften installiert sein.
Der Erdgaspreis dürfte niedrig bleiben, da die USA weiter auf den Weltmarkt drängen und so auch Russland unter Druck setzen, den Gaspreis niedrig zu halten. Im Gegensatz zum Zeitraum nach Fukushima ist die Abschaltung der Atomkraftwerke langfristig geplant und stellt damit keine Überraschung dar. Auch wird das Wachstum der Kohlenachfrage auf dem Weltmarkt tendenziell zurückgehen, was - bei gleichbleibendem Angebot - negative Auswirkungen auf den Kohlepreis hat.
Wie wir weiter oben gezeigt haben, korrelieren der Börsenstrompreis und der Kohlepreis positiv. Alles in allem sollte der Börsenstrompreis seine Seitwärtsbewegung fortsetzen beziehungsweise mittelfristig eher weiter sinken.
Kraftwerksbetreiber könnten bestrebt sein, vermehrt GuD-Kraftwerke einzusetzen, da diese etwa zwei Drittel sauberer arbeiten als Braunkohlekraftwerke. In Großbritannien ist dies der Fall: Gaskraftwerke machen etwa 42% des Strommixes aus, Kohle nur noch etwa fünf Prozent. In Deutschland - (Gas 10,5%, Braunkohle 19,7%, Steinkohle 9,4%) ist der Anteil erneuerbarer Energien mit 46,1% allerdings deutlich höher als in Großbritannien. Zudem importieren die Briten etwa 8% des benötigten Stroms (hauptsächlich aus Frankreich).
In Südaustralien ist ein von Tesla gelieferter Stromspeicher mit einer Kapazität von 129 MWh und einer Leistung von 100 MW in Betrieb. Einer Investition von 60 Mio. US-Dollar stehen bereits im ersten Jahr des Betriebs Kosteneinsparungen in Höhe von 20 bis 30 Mio. Dollar gegenüber. Die Einsparung wurde durch vermiedene Stromausfälle und durch die Reduktion so genannter Redispatches erzielt. Redispatches sind Eingriffe zur Anpassung der Leistungseinspeisung von Kraftwerken, um Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen.
In Kalifornien (Moss Landing) baut Tesla eine Batterie mit einer Kapazität von 730 MWh und einer Leistung von 182,5 MW. Die Anlage soll Ende 2020 in Betrieb gehen. Allerdings wird die vorerst größte Anlage eine Solar-plus-Speicher-Anlage in Florida sein. Das "FPL Manatee Energy Storage Center" soll Ende 2021 mit 409 MW Leistung ans Netz gehen (Speicherkapazität von 900 MWh). Die Anlage wird nicht von Tesla geliefert, es gibt viele andere Anbieter.
Die Kraftwerk-Speicher-Kombination wird zwei alte Gaskraftwerke ersetzen. 409 MW liegen im Bereich einer durchschnittlichen, konventionellen Kraftwerksleistung. Eine ganze Reihe weiterer Solar-/Wind-plus-Speicher sind in den USA in Planung.
Interessant ist auch die Geschichte in Oxnard (Kalifornien), wo die Bürger gegen die Errichtung eines Gaskraftwerks protestierten, das an einem beliebten Standabschnitt entstehen sollte. Das Projekt wurde verhindert. Stattdessen wird nahe dem Ort jetzt ein 195 MW-Stromspeicher platziert, der mit einem Solarpark gekoppelt ist. Generell ist in den USA die Tendenz erkennbar, alte Gaskraftwerke durch neue Solar-plus-Speicher-Kraftwerke zu ersetzen.
Exkurs: Auch unsere eigene Haus-PV-Anlage ist ja ein (Kleinst-) Solar-plus-Speicher-Kraftwerk (Speicherkapazität 13,5 kWh, Leistung 5 kW). Es funktioniert tadellos.
In Deutschland kosten Redispatch-Maßnahmen die Kraftwerks-/Netzbetreiber mehr als eine Milliarde Euro jährlich. Dieser Betrag sollte durch die geplanten Nord-Süd-Stromautobahnen gesenkt werden. Der Aufbau einer relevanten Speicherkapazität kann den Betrag weiter reduzieren beziehungsweise dazu beitragen, dass er im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien trotz Stromautobahnen nicht wieder ansteigt.
Der Zeitpunkt ist nicht mehr fern, an dem an einzelnen Tagen die Leistung der erneuerbaren Energien ausreicht, um den gesamten Strombedarf Deutschlands zu decken (höchster Anteil bisher: 77% am 22. April 2019). Je höher deren Anteil, desto stärker sind ausgleichende Speicherkapazitäten gefragt. Kraftwerksbetreiber schauen im Zuge der Planung neuer Wind-, Solar-, und Gaskraftwerke eine bis zwei Dekaden nach vorn. Daher wird es nicht mehr lange dauern, bis auch deutsche Versorger in Speicherlösungen investieren, ob Lithium-Ionen- oder Wasserstoffspeicher. Der „Business Case“ rechnet sich allein schon über vermiedene Redispatch-Kosten.
Hinzu kommt der Umstand, dass sich Braun- und Steinkohlekraftwerke schon jetzt nicht mehr rechnen und die Atomkraftwerke in Kürze abgeschaltet werden. Der Business Case kann demnach nur aus modernen GuD-Kraftwerken oder aus den Erneuerbaren Energien plus Speicher kommen. Aber selbst die bisher solide wirtschaftliche Grundlage für GuD-Kraftwerke ist nicht mehr sicher, wie das Beispiel USA zeigt.
Mittelfristig werden weitere Solar- und Windkapazitäten und auf den Markt kommen, sowohl im Onshore- als auch und besonders im Offshore-Wind-Bereich. Die erneuerbaren Energien werden - einem CO2-Zertifikatepreis auf dem aktuellen Niveau vorausgesetzt - in Verbindung mit dem Ausbau von Speicherkapazitäten (Lithium-Ionen, Wasserstoff) ein Team bilden, das einen Kohleausstieg Deutschlands weit vor 2038 nicht nur ermöglichen, sondern marktwirtschaftlich geradezu erzwingen wird.
© Robert Rethfeld
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