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Die Geschäftsgrundlage des Euro schwindet

15.02.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Aus Sicht der Finanzmärkte werden die politischen Veränderungen in Europa eine Neubewertung des Euro und der ihm innewohnenden Risiken erforderlich machen. Das wird die EZB vermutlich dazu verleiten, noch stärker als bisher in die Kapitalmärkte einzugreifen.

Das Schicksal des Euro hängt zwar nicht allein, aber doch zu einem ganz wesentlichen Teil von der Bereitschaft der Deutschen ab, ihren Geldbeutel aufzumachen. An der "deutschen Nibelungentreue" zum Euro gab es auf den Finanzmärkten bislang nie Zweifel. Alle Bundesregierungen in Berlin haben ja stets alles unterstützt, alles durchgewinkt, was erforderlich war, um den Euro zu verteidigen.

Keine Rechnung für den deutschen Steuerzahler war den Regierungspolitikern zu groß: ob Kreditvergabe an Griechenland, "Europäischer Stabilitätsmechanismus", Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), Geldmengenvermehrung a la Anleihekäufe durch die EZB, Bankenunion etc. Weil die Deutschen de facto ihre finanzielle Leistungsfähigkeit der Euro-Staatengemeinschaft anheimgestellt hatten, konnten alle bisherigen Probleme - allen voran die Banken- und Staatsschuldenkrise - aufgefangen werden.

Doch nun scheint sich die politische Lage im wirtschaftlich bedeutendsten Land des Euroraums zu ändern. Wie bereits in anderen Ländern Europas gerät nun auch das deutsche "Altparteiensystem" aus den Fugen. Immer stärker tritt eine Spaltung der bisher doch so harmonisch anmutenden Bundesrepublik zutage. Dabei handelt es sich aber nicht einfach um eine Spaltung zwischen "Mitte", "Links" und "Rechts", nicht um eine Spaltung zwischen "demokratisch" und "undemokratisch", wie es medial vermittelt wird.

Vielmehr ist eine Revolte gegen das "Establishment", gegen die "herrschende Elite" in Gang gekommen. Eine immer noch relativ geringe, aber wachsende Zahl von Menschen lehnt sich auf gegen wirtschaftliche und politische Missstände, deren Ursache sie bei den "politisch Verantwortlichen" verorten. Im Kern ist es also ein Konflikt zwischen Netto-Staatsprofiteuren und Netto-Staatsverlierern, der zum Ausbruch kommt. Auch in Deutschland kommt damit eine Welle an, die in den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien schon vieles umgerissen und weggespült hat.

Doch vielleicht beruhigt sich die Lage ja auch wieder. Wenn zum Beispiel die deutsche Bundeskanzlerin ihre Macht an einen Nachfolger weiterreicht, und es ihm dann gelingt, eine neue, eine breite Koalitionsregierung zu formieren. Doch das ist nicht sehr wahrscheinlich. Denn wenn es sich tatsächlich um eine Spaltung zwischen Netto-Staatsprofiteuren und Netto-Staatsverlierern handeln sollte, wie voranstehend vermutet, wird weit mehr erforderlich sein, als nur neue Mehrheitsverhältnisse unter den Altparteien herbeizuverhandeln.

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Wie immer aber der Konflikt in Deutschland auch ausgehen mag: Die Finanzmärkte können sich nicht mehr blind auf die unbedingte Gebefreude der Deutschen verlassen. Egal wer sich auf der Regierungsbank in Berlin niederlassen wird. Ein "Weiter so" bei der Euro-Rettung wird auf Dauer nicht funktionieren. Zwar wird keine Regierung in Berlin es wagen, den "Stecker zu ziehen" und dem Euro jedwede finanzielle Unterstützung seitens der deutschen Steuerzahler und Sparer Knall auf Fall zu entziehen.

Aber - und das ist für die Finanzmärkte das Entscheidende - eine unbedingte Weiterzahlerei der Deutschen an den Rest der Eurogemeinschaft wird eben doch unwahrscheinlicher. Und damit ändert sich die Risikobewertung von Investitionen innerhalb des Euroraums; und es ändert sich auch die Risikoposition des Euroraums innerhalb des internationalen Währungssystems. Welche Konsequenzen wird das haben?

Die EZB wird "Feuerwehr" spielen und stärker denn je in die Euro-Finanzmärkte eingreifen: Wenn sich beispielsweise Investoren aus Anleihen zurückziehen, wird sie mehr Anleihen kaufen, um die Zinsen niedrig zu halten; oder wenn Investoren Euro-Banken kein Geld mehr leihen wollen, wird die EZB einspringen. Alles läuft darauf hinaus, dass die EZB die Geldmenge - und damit auch die Güter-preise - immer stärker inflationieren wird.

Denn eines dürfte klar sein: Kreditausfälle von Euro-Staaten und -Banken im großen Stile kann das Euro-System nicht verkraften - sie könnten dem Euro den Garaus machen. Daran aber haben die EZB-Räte kein Interesse. Ihnen ist ein inflationierter Euro vermutlich immer noch lieber als ein Euro, der sich durch Banken- und Staatspleiten in Luft auflöst, der für eine Preisdeflation sorgt und dadurch die Euro-Währungsunion sprengt.

Eine ungeliebte Wahrheit tritt zutage: Die Geschäftsgrundlage des Euro schwindet. So etwas wie die "Vereinigten Staaten von Europa" wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Gut so. Die Zukunft Europas liegt nicht in der Verwirklichung der Zentralstaatsidee, sondern im Rückbau zu einer Freihandelszone souveräner Staaten. Das hält zwar durchaus die Möglichkeit offen, dass alle Menschen in Europa mit einer einheitlichen Währung wirtschaften wollen.

Aber die EZB mit ihrem Euro ist dann fehl am Platze: Beide sind politisierte, supranationale Kreaturen. Sie sind nicht das Ergebnis der ökonomischen Vernunft, sondern einer politischen Ideologie. In einem Europa des Freihandels ist der Euro in seiner jetzigen Form als ungedecktes Papiergeld, herausgegeben von einer Zentralbank, ein Fremdkörper, dem wohl kein dauerhafter Bestand beschienen sein wird.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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