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Das Zeitalter von Boom und Bust ist nicht vorbei

16.02.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Beachten Sie das "Sicherheitsnetz"

Durch die Kontrolle der Marktzinsen haben die Zentralbanken ein "Sicherheitsnetz" unter die Volkswirtschaften und Finanzmärkte gespannt. Da die Zentralbanken der Öffentlichkeit signalisiert haben, dass sie sich für eine prosperierende Wirtschaft und insbesondere für die Gewährleistung der "Finanzmarktstabilität" verantwortlich fühlen, können die Investoren zwei und zwei zusammenzählen: Sollten die Volkswirtschaften oder Finanzmärkte an den Rand des Zusammenbruchs geraten, können die Investoren erwarten, dass die Zentralbanken einschreiten und die drohende Krise mit allen Mitteln bekämpfen. Diese Sichtweise ermutigt Investoren, neue Risiken einzugehen, ihre Investitionen zu verstärken.

Das "Sicherheitsnetz" der Zentralbanken ist nicht nur ein machtvolles Instrument zur Aufrechterhaltung des Booms, sondern auch eine sehr subtile, heimliche Intervention an den Kapitalmärkten. Denn es führt zu einem vollständig manipulierten Finanzmarkt: Die Preise fallen höher und die Renditen niedriger aus, als es die ungehinderten Marktkräfte rechtfertigen. Das Sicherheitsnetz der Zentralbanken läuft folglich auf eine Manipulation des Marktes in größtmöglichem Umfang hinaus. Die Volkswirtschaften geraten in ein "Spiegelsaal-Regime", in dem Verbraucher und Unternehmen verwirrt werden und falsche Entscheidungen treffen.

Unter solchen Bedingungen kann der Boom allerdings viel länger anhalten als in einem Szenario, in dem die freien Marktkräfte ihre Arbeit tun dürfen: die Preise für Finanzanlagen sowie die Inflations-, Kredit- und Liquiditätsprämien entsprechend den realen Gegebenheiten festzulegen. Das heutige Marktumfeld ist jedoch ein ganz anders: Die Zentralbanken haben mit ihrem Versuch zu verhindern, dass der gegenwärtige Boom in einen weiteren Bust umschlägt, die wichtige Rolle, die die Finanzmärkte und die Marktzinsen in einem System des freien Marktes spielen, nachhaltig außer Kraft gesetzt.


Die Rolle des Urzinses

Es wäre jedoch ein Fehler, daraus zu schließen, ein Boom könne auf ewig aufrechterhalten werden, indem die Zentralbanken den Zins auf oder gar unter die Nulllinie drängen. Der Grund: Die moderne Wirtschaft, die auf Arbeitsteilung und komplexer "Umwegsproduktion" beruht, kann ohne einen (realen) positiven Marktzins nicht existieren. Dies ist eine überaus wichtige Einsicht, die sich aus der Zeitpräferenztheorie des Zinses ableitet. Das Wort Zeitpräferenz bedeutet, dass der handelnde Mensch die frühere Befriedigung eines Bedürfnisses höher bewertet als die Befriedigung desselben Bedürfnisses zu einem späteren Zeitpunkt.

Die Manifestation der Zeitpräferenz ist der Urzins. Er repräsentiert den Wertabschlag, den ein in der Zukunft verfügbares Gut im Vergleich zum gleichen, sofort verfügbaren Gut erleidet. Die Zeitpräferenz des handelnden Menschen und damit auch sein Urzins sind aus logischen Gründen immer und überall positiv. Beide mögen sich zwar der Nulllinie nähern, aber sie können niemals die Nulllinie erreichen, geschweige denn negativ werden. Nun wissen wir auch, was passieren würde, wenn die Zentralbank den Marktzins auf die Nulllinie oder darunter senkt: Die moderne Marktwirtschaft würde zerfallen. Die Begründung dafür lautet:

Jeder handelnde Mensch trägt sozusagen einen positiven Urzins in sich. Wenn der Marktzins auf null sinkt, würde niemand mehr seine Ersparnisse in zeitraubende Produktionsprozesse stecken. Die kapitalistische Arbeitsteilung endet. Kapitalverzehr setzt ein. Die Menschen wären nicht bereit, ihre Ersparnisse für Ersatz- oder Neuinvestitionen anzubieten. Sie würden sie einfach "unter ihrer Matratze" horten. Durch eine Senkung des Marktzinses auf null würden die Zentralbanken die Marktwirtschaft mit ihrer Arbeitsteilung, wie wir sie heute kennen, zerstören. Die Volkswirtschaft fällt in eine primitive Subsistenzwirtschaft zurück.


Das Endspiel

In den letzten Jahren haben sich die großen Zentralbanken der Welt auf eine Politik konzentriert, die ausgewählte Marktrenditen künstlich niedrig hält, insbesondere die für Staatsschulden, Hypothekenschulden und Bankschulden. Die Folgen solcher Maßnahmen sind nun jedoch zunehmend auch auf anderen Vermögensmärkten zu spüren. Denn die Investoren suchen nach Rendite. Wenn sich mit Staats-, Hypotheken- und Bankschulden nichts mehr verdienen lässt, fragen sie beispielsweise verstärkt Aktien und Immobilien nach.

Die Folge: Die Preise für diese Vermögenswerte steigen, und das verringert ihre künftigen Renditen. Mit anderen Worten: Die Nullzinspolitik der Zentralbanken zieht alle Arten von Renditen mit nach unten.

Das kann noch eine ganze Weile so weitergehen. Aber wenn erst einmal alle Marktzinsen auf null abgesunken sind, beginnt das Problem. Die Kreditmärkte kommen zum Erliegen. Kreditnehmer können ihre fällig werdenden Schulden nicht mehr verlängern, und kein Investor ist bereit, neue Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Boom droht in einen Bust umzuschlagen. Um den Zusammenbruch der Schuldenpyramide zu verhindern, greifen die Zentralbanken als "Lender of last resort" ein und finanzieren alle Kreditnehmer in Not. Das Ergebnis ist Hochinflation. Denn ohne einen positiven Marktzins gibt es Kapitalverzehr, und wirtschaftliche Regression setzt ein. Die Menschen werden ins Elend gestürzt.

Die Anwendung der ÖKT auf die realen Entwicklungen bringt folgende Erkenntnisse: Die Zentralbanken haben nichts getan, um den Boom- und-Bust Zyklus zu beenden. Stattdessen verlängern ihre besonders skrupellosen Eingriffe in die Kreditmärkte den aktuellen Boom. Und es wäre falsch anzunehmen, dass durch die Senkung der Marktzinsen auf null ein ewiger Boom geschaffen werden kann. Eine solche Geldpolitik ist vielmehr selbstzerstörerisch: Sobald alle Marktzinsen auf null gedrückt sind, bricht das kapitalistische Wirtschaftssystem zusammen. Dann - spätestens - wird der Boom definitiv in einen Bust münden.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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