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Der große Reset vs. Der große Reset

09.12.2020  |  John Mauldin
Beim Baseball gibt es eine Situation, in der ein Base-Runner zum Schlagmal rennt und nicht sieht, was hinter ihm passiert. Vollkommen auf sein Spiel konzentriert, weiß er nicht, ob der Outfielder einen Ball wirft, der das Schlagmal zuerst erreichen wird. Daher kommt die englische Phrase "out of left field." (dt. aus heiterem Himmel kommen)

COVID-19 kam tatsächlich wie aus heiterem Himmel. Ja, wir wussten, dass Virusausbreitungen und Pandemien möglich waren. Die meisten hatten so etwas schon einmal durchlebt. Wir sahen jedoch nicht voraus, wann und wo es auftreten würde. Doch es veränderte rasch den Verlauf der Geschichte.

Oder tat es das? Im Großen und Ganzen vielleicht nicht. Weltverändernde Trends waren bereits in Bewegung und setzen sich fort. Die Pandemie mag Ereignisse verzögern oder wahrscheinlicher beschleunigen, doch nicht aufhalten. Beispielsweise denke ich, dass der große Reset noch immer kommen wird. Ich erwartete zuvor, dass wir zumindest die 2020er Jahre durchleben könnten, bevor wir die Schuldenwand erreichen. Nun bin ich mir da nicht mehr so sicher. Diese Pandemie und Rezession könnten uns schneller in diese Richtung befördert, weil die Schulden nun schneller wachsen.

Heute werde ich einige Gedanken über den großen Reset mit einigen historischen Analysen vermischen, die ich kürzlich entdeckt habe. Das führt zu einer verstörenden Prognose, auch wenn wir die Pandemie wahrscheinlich Ende nächsten Jahres hinter uns haben werden. Es wird andere Herausforderungen geben.


"Umgestaltung" des Kapitalismus

Wann immer ich den großen Reset erwähne, bitten mich die Leute um eine Erklärung, wie genau er aussehen wird. Das kann ich nicht beantworten, weil ich nichts "genau" weiß. Der große Reset ist einfach mein Begriff für klimatische Ereignisse, die unsere weltweiten Schuldenlasten auflösen werden, während zeitgleich langsames Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und soziale Unruhe gehandhabt wird. Das könnte auf vielerlei Weise passieren, einige Möglichkeiten sind besser als andere. Doch ich glaube daran, dass es eine Art Resolution geben wird. Der gegenwärtige Kurs ist nicht nachhaltig.

Eine weitere Quelle der Verwirrung ist die Tatsache, dass ich nicht der Einzige bin, der diesen Begriff verwendet. Andere verwendeten ihn für ihre eigenen Zwecke. Sie kennen wahrscheinlich das World Economic Forum, zu dessen jährliche Treffen in Davos, in der Schweiz, die weltweit Reichen und Mächtigen kommen, um unsere Probleme zu diskutieren/lösen. Das sagen sie zumindest. Irgendwie werden die Probleme, die sie besprechen, niemals gelöst, also ist es eine gute Frage, was genau dort getan wird. Es ist jedoch eine großartige Möglichkeit, die Elite kennenzulernen.

Nun, im Geiste von "Lass niemals eine gute Krise ungenutzt" sieht das WEF die Pandemie als eine Gelegenheit, den Kapitalismus zu resetten. Wirklich. Gründer Klaus Schwab sagt dies ziemlich offen:

COVID-19-Lockdowns mögen allmählich nachlassen, doch die Besorgnis um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aussichten der Welt nehmen nur weiter zu. Es gibt guten Grund zur Sorge: ein scharfer Wirtschaftsabschwung hat bereits begonnen und wir könnten der schlimmsten Depression seit den 1930er Jahren gegenüberstehen. Doch obgleich dieses Resultat wahrscheinlich ist, ist es nicht unvermeidbar.

Um ein besseres Resultat zu erhalten, muss die Welt gemeinsam agieren und alle Aspekte unserer Gesellschaften und Wirtschaften - von Bildung, bis hin zu gesellschaftlichen Verträgen und Arbeitsbedingungen - rasch umstrukturieren. Jedes Land, von den Vereinigten Staaten bis hin zu China, muss teilnehmen und jede Branche, von Öl, Gas und Technologie, muss transformiert werden. Kurz gesagt: Wir brauchen einen "Großen Reset" des Kapitalismus.


Das WEF bezeichnet diese Bemühung als "Große Reset-Initiative." Nur so: Das hat nichts mit meinem Konzept des großen Resets zu tun. Tatsächlich denke ich, dass ihr Vorschlag die Version, die ich kommen sehe, noch weiter verschlimmern würde. Ich stimme zu, dass der Kapitalismus vom rechten Pfad abgekommen ist und einige Anpassungen benötigt; und nicht nur kleinere Änderungen. Der aktuelle Morast des Kapitalismus und des Lobbyismus ist abscheulich. Doch "alle Aspekte unserer Gesellschaften und Wirtschaften rasch umstrukturieren" klingt unheilvoll. Vor allem von Leuten, die bereits nominal die Weltwirtschaft leiten.

Des Weiteren schlagen sie tatsächlich vor, dass wir unsere Leben ändern sollten, während die Reichen so weitermachen, vielleicht ein paar mehr Steuern bezahlen, während der Großteil der Veränderung diejenigen betrifft, die am unteren Ende der Nahrungskette stehen. Und natürlich werden keine Details erwähnt.

Wenn man anfängt, über den Reset der edukativen und gesellschaftlichen Kontrakte sowie Arbeitsbedingungen zu sprechen, dann spricht man von einer radikalen, gesellschaftlichen Agenda. Ich denke, dass wir deutliche Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur dieses Landes brauchen werden. Das ist es, was die aktuelle Politik uns mitteilt. Zu viele Menschen auf beiden Seiten spüren, dass die aktuellen, "gesellschaftlichen Kontrakte", nicht funktionieren. Einkommens- und Vermögensungleichheit sind sehr real. Ich bin nicht überzeugt, dass ein "Großer Reset" im Stil des WEF die Antwort ist.

Glücklicherweise denke ich nicht, dass das WEF sonderlich weit kommen wird. Es ist wahrscheinlicher, dass dies ein weiteres Beispiel der reichen, mächtigen Elite ist, ihr Gewissen mithilfe falscher Bemühungen zu erleichtern, den Massen zu helfen und sich dabei selbst reicher und mächtiger zu machen.

Das echte Problem mag einfacher sein: Wir haben zu viele Menschen, die zur "Elite" gehören. Die Geschichte zeigt, dass das selten gut endet.


Überschüssige Elite

In der Dezember-Ausgabe des Magazins "The Atlantic" gibt es ein faszinierendes Interview mit Peter Turchin, einem Professor an der University of Connecticut, mit einigen einzigartigen Ideen über die Menschheitsgeschichte.

Turchin ist tatsächlich Zoologe. Er verbrachte seine anfängliche Karriere mit der Analyse von Populationsdynamiken. Warum beheimatet eine Spezies von Käfern einen bestimmten Wald und warum verschwindet sie aus diesem? Er entwickelte einige allgemeine Prinzipien für derart Dinge und fragte sich, ob dies auch für Menschen gelten würde. Das zu beantworten, setzte Daten voraus, also begann er, die Menschheitsgeschichte zu studieren.

Etwas, das ein wiederkehrendes Muster ist, wie Turchin bemerkte, bezeichnet er als "Überproduktion der Elite." Das passiert, wenn die vorherrschende Klasse einer Gesellschaft schneller wächst als die Anzahl benötigter Herrscher. (Für Turchin scheint die "Elite" nicht nur aus politischen Führungspersonen, sondern auch führenden Unternehmen, Universitäten und anderen großen Institutionen zu bestehen.) Wie "The Atlantic" beschreibt:

Eine Möglichkeit, wie eine herrschende Klasse wachsen kann, ist biologisch - denken Sie an Saudi-Arabien, wo Prinzen und Prinzessinnen schneller geboren werden, als königliche Rollen für sie erschaffen werden können. In den Vereinigten Staaten findet eine Überproduktion der Elite durch wirtschaftliche und edukative Aufwärtsmobilität statt: Mehr und mehr Menschen werden reich und mehr und mehr gebildet. Weder das eine noch das andere klingt schlecht.

Doch möchten wir, dass jeder reich und gebildet ist? Die Probleme beginnen, wenn das Geld und Harvard-Titel wie royale Titel in Saudi-Arabien behandelt werden. Wenn viele Leute sie haben, doch nur einige echte Macht besitzen, dann werden sich diejenigen, die keine Macht haben, letztlich gegen diejenigen wenden, die welche haben...

Elitäre Jobs multiplizieren sich nicht so schnell wie die Elite es tut. Es gibt nur 100 Senatssitze, doch mehr Menschen als jemals zuvor haben genug Geld oder Abschlüsse, zu denken, sie sollten das Land führen.

"Es gibt nun eine Situation, in der ein Großteil der Elite um dieselbe Position kämpft, und ein Teil von ihnen wird zur Gegenelite werden", so erklärte Turchin.


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