Die Gefahr der Zinskontrolle
24.04.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Mit einer Zinskontrollpolitik ist die Gefahr besonders groß, dass die Zentralbanken in eine zusehends inflationäre Geldpolitik abgleiten. Die Bank von Japan verfolgt seit 2016 eine Geldpolitik der "Zinskurven-Kontrolle" (englisch: “Yield Curve Control”, kurz “YCC”), mit der sie die kurz- und langfristigen Zinsen für japanische Schuldpapiere bei etwa null Prozent hält. Dazu kauft sie vor allem Staatsanleihen. Ganz ähnlich geht die Zentralbank von Australien seit März 2020 vor. Sie hält durch Anleihekäufe den Dreijahreszins bei 0,1 Prozentpunkten. Die Europäische Zentralbank (EZB) scheint sich zusehends zu erwärmen für die Idee, nicht nur die Kurzfrist-, sondern auch die Langfristzinsen zu steuern beziehungsweise ihnen eine Obergrenze aufzuerlegen.
Neu ist die Idee der Zinskurvenkontrolle nicht. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat man sie schon einmal praktiziert: Von April 1942 bis März 1951 setzte die US-Zentralbank die Kurzfristzinsen auf 3/8 Prozent, die Langfristzinsen auf 2,5 Prozent. Der Grund: Die Amerikaner finanzierten die Kriegsausgaben vor allem durch die Ausgabe neuer Schulden, die in erheblichem Maße von der US-Zentralbank gekauft und damit monetisiert wurden; und um die Finanzierungskosten gering zu halten, wurden die Zinsen gedeckelt. Als die Zinskontrolle durch den "Treasury Accord" beendet wurde, war die Kaufkraft des Greenback um fast 40 Prozent vermindert.
Doch lässt sich aus dieser Erfahrung schlussfolgern, dass eine Politik der Zinskontrolle notwendigerweise zu hoher Inflation führen muss? Die Antwort ist nein. Denn aus einer währungshistorischen Begebenheit kann man aus logischen Gründen keine Gesetzmäßigkeit ableiten: Die historische Erfahrung kann nur zeigen, dass etwas so oder so gewesen ist, nicht aber, dass das Gesehene notwendig war, dass es nicht anders hätte verlaufen können. Auf der anderen Seite kann man der Zinskontrollpolitik aber auch keinen Unbedenklichkeitsnachweis ausstellen. Sie hat nämlich in der Tat das Potenzial, in hoher Inflation zu enden.
Eine einfache Überlegung offenbart das. Wenn eine Zentralbank eine Zinsobergrenze festlegt, dann ist das gleichbedeutend mit der Vorgabe eines Mindestkurses für Anleihen. Liegt der verkündete Mindestkurs über dem markträumenden Kurs - und damit ist zu rechnen, andernfalls bräuchte man keinen Mindestkurs -, stellt sich ein Angebotsüberhang am Anleihemarkt ein: Das Schuldenangebot steigt, während die Nachfrage nach Anleihen zurückgeht. Um zu verhindern, dass die Kurse nachgeben (und die Renditen steigen), muss die Zentralbank den Angebotsüberhang aufkaufen. Die Käufe bezahlt sie mit neu geschaffenem Geld, das die ausstehende Geldmenge erhöht.
Entscheidend für die resultierende monetäre Wirkung ist dabei, von wem die Zentralbank die Anleihen kauft. Stammen sie aus Beständen der Geschäftsbanken, stellt sich "nur" eine Ausweitung der Basisgeldmenge ein: In den Bilanzen der Banken nehmen die Anleihebestände ab, und im Gegenzug steigen die Überschussreserven der Banken. Werden hingegen die Anleihen, die die Zentralbank erwirbt, von Nichtbanken (wie zum Beispiel Versicherungen, Pensionskassen oder Privatanlegern) verkauft, nimmt die Basisgeldmenge im Bankensektor zu, und es steigen zudem auch die Geschäftsbankengeldmengen M1 bis M3.
Die gleiche Wirkung stellt sich ein, wenn die Zentralbank neu ausgegebene Staatsschulden aufkauft, wenn sie also die öffentlichen Haushalte direkt mit dem Anwerfen der elektronischen Notenpresse finanziert.
Die Verkündung und Durchsetzung eines Mindestkurses für Anleihen kann nun allerdings eine schwer zu bremsende Dynamik entfalten. Je weiter der Mindestkurs der Anleihen über ihrem markträumenden Kurs liegt, je größer fällt das von der Zentralbank zu kaufende beziehungsweise zu monetisierende Schuldenvolumen aus. Und je größer die dabei entstehende Geldmengenausweitung ist, desto stärker wird auch der markträumende Anleihekurs in die Knie gehen: Steigen die Geldmengen stark an, schwindet der Marktwert der Anleihen, und die Investoren verlangen eine höhere Rendite.
Das wiederum vergrößert den Angebotsüberhang auf dem Anleihemarkt, der von der Zentralbank aufgekauft werden muss, um den Mindestkurs zu halten. Diese unheilvolle Dynamik verschärft sich, wenn die Schuldenaufnahme des Staates aus dem Ruder zu laufen droht.
Und das ist bei einer Politik der Zinskontrolle nicht von der Hand zu weisen: Können Regierungen zu günstigen Zinsen an Kredite gelangen, werden sie von dieser Gelegenheit Gebrauch machen. Sie werden nicht nur fällige Schulden durch neue ersetzen, die mit einem niedrigeren Zins ausgestattet sind, sondern sie werden vor allem auch die Neuverschuldung ausweiten.
Der Finanzhunger der Staaten ist schließlich gewaltig; das zeigt nicht nur die Erfahrung, das zeigt sich gerade auch in der aktuellen wirtschaftspolitischen Lage: Im Ausweiten der Staatsverschuldung, in der Keynesianischen Defizitpolitik, wird der Ausweg aus der Corona-Krise erblickt, der zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen soll. Hinzu kommt, dass die Staaten auch auf neue Schulden setzen wollen, um "grüne Politik" oder eine "Große Transformation" der Volkswirtschaften zu finanzieren.
Dieser Aspekt ist sehr bedeutsam, denn Befürworter einer Zinskontrollpolitik vertreten häufig die Auffassung, mit dem Verkünden eines Mindestkurses für Anleihen (also einer Zinsobergrenze) wüssten die Kapitalmärkte, woran sie sind: Die Investoren verstehen dann, dass es für sie unprofitabel ist, auf einen Zinsanstieg und damit gegen die Zentralbank zu wetten.
Daher bleiben die Anleihekurse auf dem geldpolitisch gewünschten Niveau, ohne dass die Zentralbank in größerem Umfang Anleihen aufkaufen müsste. Genau diese Einschätzung ist in Japan nicht aufgegangen. Von 2016 bis Ende 2020 stieg die Bilanzsumme der Bank von Japan von 75 Prozent des japanischen Bruttoinlandsproduktes auf 130 Prozent - weil die Bank von Japan die hohen Staatsdefizite und auch Teile der bereits ausstehenden Staatsschulden monetisieren musste, um den Zins niedrig zu halten.
Die Zinskontrollpolitik ist nicht zuletzt ein Eingeständnis der “Fiskalischen Dominanz”. Das heißt, die Finanzlage der Staaten bestimmt das Handeln der Geldpolitik. Das kann nicht nur zu Inflation führen, sondern auch allzu leicht zu hoher Inflation. Im politischen Tagesgeschäft zählt schließlich das Hier und Heute. Die künftigen Folgen, die politische Entscheidungen nach sich ziehen, finden hier meist nur geringe Beachtung. Zudem ist der politische Anreiz, die Geldmenge im Zuge von schuldenfinanzierten Ausgaben auszuweiten, ohnehin groß.
Denn es hat zunächst positive Wirkungen: Die Konjunktur wird gestützt, die Härten der Arbeitslosigkeit werden verringert, Banken- und Unternehmenspleiten abgewendet. Doch früher oder später treten die Negativwirkungen der Geldmengenausweitung - das Ansteigen der Vermögens- und/oder Konsumgüterpreise - zutage: Die Kaufkraft des Geldes schwindet, einige wenige werden besser gestellt auf Kosten vieler, die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, Verteilungskonflikte verschärfen sich, in der Gesellschaft greift Verbitterung um sich, Produktion und Beschäftigung leiden.
Mit einer Zinskontrollpolitik ist die Gefahr besonders groß, dass die Zentralbanken in eine zusehends inflationäre Geldpolitik abgleiten, nicht zuletzt weil immer niedrige Zinsen die Verschuldungspolitik der Staaten anheizen und Haushaltsreformen entmutigen.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH
Neu ist die Idee der Zinskurvenkontrolle nicht. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat man sie schon einmal praktiziert: Von April 1942 bis März 1951 setzte die US-Zentralbank die Kurzfristzinsen auf 3/8 Prozent, die Langfristzinsen auf 2,5 Prozent. Der Grund: Die Amerikaner finanzierten die Kriegsausgaben vor allem durch die Ausgabe neuer Schulden, die in erheblichem Maße von der US-Zentralbank gekauft und damit monetisiert wurden; und um die Finanzierungskosten gering zu halten, wurden die Zinsen gedeckelt. Als die Zinskontrolle durch den "Treasury Accord" beendet wurde, war die Kaufkraft des Greenback um fast 40 Prozent vermindert.
Doch lässt sich aus dieser Erfahrung schlussfolgern, dass eine Politik der Zinskontrolle notwendigerweise zu hoher Inflation führen muss? Die Antwort ist nein. Denn aus einer währungshistorischen Begebenheit kann man aus logischen Gründen keine Gesetzmäßigkeit ableiten: Die historische Erfahrung kann nur zeigen, dass etwas so oder so gewesen ist, nicht aber, dass das Gesehene notwendig war, dass es nicht anders hätte verlaufen können. Auf der anderen Seite kann man der Zinskontrollpolitik aber auch keinen Unbedenklichkeitsnachweis ausstellen. Sie hat nämlich in der Tat das Potenzial, in hoher Inflation zu enden.
Eine einfache Überlegung offenbart das. Wenn eine Zentralbank eine Zinsobergrenze festlegt, dann ist das gleichbedeutend mit der Vorgabe eines Mindestkurses für Anleihen. Liegt der verkündete Mindestkurs über dem markträumenden Kurs - und damit ist zu rechnen, andernfalls bräuchte man keinen Mindestkurs -, stellt sich ein Angebotsüberhang am Anleihemarkt ein: Das Schuldenangebot steigt, während die Nachfrage nach Anleihen zurückgeht. Um zu verhindern, dass die Kurse nachgeben (und die Renditen steigen), muss die Zentralbank den Angebotsüberhang aufkaufen. Die Käufe bezahlt sie mit neu geschaffenem Geld, das die ausstehende Geldmenge erhöht.
Entscheidend für die resultierende monetäre Wirkung ist dabei, von wem die Zentralbank die Anleihen kauft. Stammen sie aus Beständen der Geschäftsbanken, stellt sich "nur" eine Ausweitung der Basisgeldmenge ein: In den Bilanzen der Banken nehmen die Anleihebestände ab, und im Gegenzug steigen die Überschussreserven der Banken. Werden hingegen die Anleihen, die die Zentralbank erwirbt, von Nichtbanken (wie zum Beispiel Versicherungen, Pensionskassen oder Privatanlegern) verkauft, nimmt die Basisgeldmenge im Bankensektor zu, und es steigen zudem auch die Geschäftsbankengeldmengen M1 bis M3.
Die gleiche Wirkung stellt sich ein, wenn die Zentralbank neu ausgegebene Staatsschulden aufkauft, wenn sie also die öffentlichen Haushalte direkt mit dem Anwerfen der elektronischen Notenpresse finanziert.
Die Verkündung und Durchsetzung eines Mindestkurses für Anleihen kann nun allerdings eine schwer zu bremsende Dynamik entfalten. Je weiter der Mindestkurs der Anleihen über ihrem markträumenden Kurs liegt, je größer fällt das von der Zentralbank zu kaufende beziehungsweise zu monetisierende Schuldenvolumen aus. Und je größer die dabei entstehende Geldmengenausweitung ist, desto stärker wird auch der markträumende Anleihekurs in die Knie gehen: Steigen die Geldmengen stark an, schwindet der Marktwert der Anleihen, und die Investoren verlangen eine höhere Rendite.
Das wiederum vergrößert den Angebotsüberhang auf dem Anleihemarkt, der von der Zentralbank aufgekauft werden muss, um den Mindestkurs zu halten. Diese unheilvolle Dynamik verschärft sich, wenn die Schuldenaufnahme des Staates aus dem Ruder zu laufen droht.
Und das ist bei einer Politik der Zinskontrolle nicht von der Hand zu weisen: Können Regierungen zu günstigen Zinsen an Kredite gelangen, werden sie von dieser Gelegenheit Gebrauch machen. Sie werden nicht nur fällige Schulden durch neue ersetzen, die mit einem niedrigeren Zins ausgestattet sind, sondern sie werden vor allem auch die Neuverschuldung ausweiten.
Der Finanzhunger der Staaten ist schließlich gewaltig; das zeigt nicht nur die Erfahrung, das zeigt sich gerade auch in der aktuellen wirtschaftspolitischen Lage: Im Ausweiten der Staatsverschuldung, in der Keynesianischen Defizitpolitik, wird der Ausweg aus der Corona-Krise erblickt, der zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen soll. Hinzu kommt, dass die Staaten auch auf neue Schulden setzen wollen, um "grüne Politik" oder eine "Große Transformation" der Volkswirtschaften zu finanzieren.
Dieser Aspekt ist sehr bedeutsam, denn Befürworter einer Zinskontrollpolitik vertreten häufig die Auffassung, mit dem Verkünden eines Mindestkurses für Anleihen (also einer Zinsobergrenze) wüssten die Kapitalmärkte, woran sie sind: Die Investoren verstehen dann, dass es für sie unprofitabel ist, auf einen Zinsanstieg und damit gegen die Zentralbank zu wetten.
Daher bleiben die Anleihekurse auf dem geldpolitisch gewünschten Niveau, ohne dass die Zentralbank in größerem Umfang Anleihen aufkaufen müsste. Genau diese Einschätzung ist in Japan nicht aufgegangen. Von 2016 bis Ende 2020 stieg die Bilanzsumme der Bank von Japan von 75 Prozent des japanischen Bruttoinlandsproduktes auf 130 Prozent - weil die Bank von Japan die hohen Staatsdefizite und auch Teile der bereits ausstehenden Staatsschulden monetisieren musste, um den Zins niedrig zu halten.
Die Zinskontrollpolitik ist nicht zuletzt ein Eingeständnis der “Fiskalischen Dominanz”. Das heißt, die Finanzlage der Staaten bestimmt das Handeln der Geldpolitik. Das kann nicht nur zu Inflation führen, sondern auch allzu leicht zu hoher Inflation. Im politischen Tagesgeschäft zählt schließlich das Hier und Heute. Die künftigen Folgen, die politische Entscheidungen nach sich ziehen, finden hier meist nur geringe Beachtung. Zudem ist der politische Anreiz, die Geldmenge im Zuge von schuldenfinanzierten Ausgaben auszuweiten, ohnehin groß.
Denn es hat zunächst positive Wirkungen: Die Konjunktur wird gestützt, die Härten der Arbeitslosigkeit werden verringert, Banken- und Unternehmenspleiten abgewendet. Doch früher oder später treten die Negativwirkungen der Geldmengenausweitung - das Ansteigen der Vermögens- und/oder Konsumgüterpreise - zutage: Die Kaufkraft des Geldes schwindet, einige wenige werden besser gestellt auf Kosten vieler, die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, Verteilungskonflikte verschärfen sich, in der Gesellschaft greift Verbitterung um sich, Produktion und Beschäftigung leiden.
Mit einer Zinskontrollpolitik ist die Gefahr besonders groß, dass die Zentralbanken in eine zusehends inflationäre Geldpolitik abgleiten, nicht zuletzt weil immer niedrige Zinsen die Verschuldungspolitik der Staaten anheizen und Haushaltsreformen entmutigen.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH