Was Sie immer schon über Inflation wissen wollten
03.06.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Angesichts einer immer stärker kollektivistisch-sozialistischen orientierten Wirtschaftspolitik und Bestrebungen, das Weltwirtschaftssystem einem "Großen Neustart" zu unterziehen, ist die Wiederkehr dauerhaft hoher Inflation nicht von der Hand zu weisen. Höhere Inflation erleichtert es dem Staat, seinen Zielen näherzukommen. Ihre Folgen eröffnen ihm weitgespannte Eingriffsmöglichkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft. Beispielsweise kann er Höchstpreise für zum Beispiel Nahrungsmittel, Mieten und Energie erlassen, um die Preisinflation und die damit verbundenen sozialen Härten einzudämmen. Mit weitreichenden Folgen: Höchstpreise (die unter den markträumenden Preisen liegen) sorgen für Angebotsknappheit, Schwarzmärkte, Korruption etc. Ihre Durchsetzung erfordert staatliche Überwachung und Bestrafung bei Verstössen. Es wäre der Abschied von dem wenigen, was von der freien Marktwirtschaft noch übrig ist, und die Errichtung einer Befehlsund Lenkungswirtschaft.
Höhere Inflation bedingt, dass die Zentralbanken für ein erhöhtes Geldmengenwachstum sorgen, dass sie die Geldmenge nicht mehr mit Raten von etwa 5 Prozent pro Jahr ausweiten, sondern um ungefähr 10 Prozent pro Jahr (indem sie zum Beispiel ausstehende Schuldenpapiere aufkaufen).
Wenn die Zentralbanken dabei gleichzeitig die Zinsen sehr niedrig halten (was sie durch Schuldpapierkäufe erreichen können), werden die ausstehenden Schulden entwertet; und fällige Schulden lassen sich durch neue Schulden, die einen negativen Realzins tragen, ersetzen. Das Ganze führt dazu, dass sich die Volkswirtschaft auf eine erhöhte Inflation einstellt beziehungsweise lernen muss, nicht mit 2 bis 5 Prozent Geldentwertung, sondern mit 5 bis 10 Prozent zu leben.
Es wäre nicht das erste Mal, dass der Staat sein Geldmonopol grob missbraucht, eine wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung begünstigt, durch die der Geldwert immer stärker unter die Räder kommt. Ludwig Erhard (1897-1977) formulierte diese Erfahrung in eindrücklichen Worten: "Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen."
Wie auch das Zukunftsszenario für die Preisinflation auch aussehen mag: Der Anleger ist gut beraten, nicht darauf zu verlassen, dass die Kaufkraft von US-Dollar, Euro und Co bewahrt bleibt. Das war - wie am Beispiel des Euro gezeigt - schon in den vergangenen Jahrzehnten nicht der Fall. Sehr wahrscheinlich wird sich der Kaufkraftverlust des Geldes in den kommenden Jahren noch verschärfen.
Für das weltweit ungedeckte Papiergeldsystem gibt es auch ein extremes Negativszenario: Hyperinflation. Sie entsteht, wenn die Menschen erkennen, dass die Geldmenge unablässig und mit steigenden Zuwachsraten von den Zentralbanken ausgeweitet wird, und wenn sich zudem die Erwartung bei den Marktakteuren festsetzt, dass die sich beschleunigende Geldmengenvermehrung kein Ende mehr nehmen wird. Wie gesagt, ein Extremszenario.
Die meisten Staaten scheuen es, weil es ihre Hoheit über das Geld zerstören und damit eines ihrer schärfsten Instrumente entmachten kann. Viele Beispiele zeigen, dass es möglich ist, dass die Zentralbank für lange Zeit für eine recht hohe Preisinflation sorgt, ohne dass dadurch die Währung sogleich vor dem Aus steht; siehe hierzu nachfolgende kursiv formatierten Ausführungen.
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa.
Von Anfang 2007 bis April 2021 betrug das jahresdurchschnittliche Wachstum der Geldmenge M3 in der Türkei 18,8 Prozent, das der Konsumgüterpreise 9,9 Prozent. Ein "Praxisbeispiel", das zeigt, dass auch vergleichsweise hohe Preisinflation auch recht lange Zeit andauern kann, dass sie nicht notwendigerweise sofort und gleich zum Aus einer Währung führen muss.
Allerdings zeigt das Beispiel auch: Von Anfang 2018 bis April 2021 hat sich das Geldmengenwachstum auf gut 26,3 Prozent, die Preisinflation auf 14,8 Prozent pro Jahr im Durchschnitt beschleunigt. Das wiederum legt den Schluss nahe: Wenn die Preisinflation nicht beendet wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Preisinflation weiter an Fahrt gewinnt - so dass am Ende, wenn eine Volkswirtschaft sich nicht von der Politik der Inflation abkehrt, tatsächlich Hyperinflation stehen kann.
Welches Szenario auch in den kommenden Jahren letztlich die Oberhand gewinnen wird: Man kann es aus heutiger Sicht nicht mit Gewissheit wissen. Dennoch: Anleger sind gut beraten, nicht darauf zu vertrauen, dass die Kaufkraft des Geldes - ob US-Dollar, Euro, chinesischer Renminbi oder britisches Pfund - erhalten bleibt. Vielmehr wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Preisinflation zunimmt und der Geldwert immer stärker unter die Räder kommt - und zwar in dem Maße, in dem die Verschuldung der Volkswirtschaft in die Höhe getrieben wird; und leider kennen die Staaten derzeit nur eine Politik: Die Verschuldung der Volkswirtschaften in die Höhe zu treiben.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH