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Was Sie immer schon über Inflation wissen wollten

03.06.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Wenn die Grenzsteuersätze unverändert bleiben (und das ist regelmäßig der Fall), müssen sie eine höhere Steuer auf ihre real unveränderten Löhne zahlen. Das heißt, die Inflation sorgt für eine steigende reale Steuerlast der Arbeitnehmer. Der Staat wird auf diese Weise reicher auf Kosten der Privatwirtschaft. Im Englischen bezeichnet man diese Wirkung als "Bracket Creep": als heimliche schleichende Steuererhöhung.

Die Inflation bewirkt vor allem dann eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen, wenn sie unerwartet kommt. Nehmen wir an, die Zentralbank verspricht der Öffentlichkeit, dass die Inflation der nächsten Jahre bei 2 Prozent liegen wird. Wenn die Menschen dieser Ankündigung Vertrauen schenken, berücksichtigen sie in ihren Verträgen (für Löhne, Mieten, Zinsen etc.) eine Inflation von 2 Prozent.

Tritt die Inflation wie erwartet ein, gehen die Pläne der Marktakteure auf (vom Cantillon-Effekt, der hier natürlich ebenfalls wirkt, sei an dieser Stelle abgesehen). Nehmen wir weiter an, die Marktakteure haben ihren Verträgen eine Inflation von 2 Prozent zugrunde gelegt. Die Zentralbank sorgt daraufhin aber für eine Inflation von, sagen wir, 4 Prozent. In einem solchen Fall profitieren beispielsweise Schuldner auf Kosten der Gläubiger, oder Arbeitgeber stellen sich besser zu Lasten der Arbeitnehmer.

Ein fortgesetzter Missbrauch mit dieser sprichwörtlichen "Überraschungsinflation" ist besonders heikel. Dazu muss man wissen, dass es ökonomische Theorien gibt, die besagen, man könne mit einer höheren (unerwarteten) Inflation die Konjunktur beleben. Diese Idee ist als "Phillips-Kurve" bekannt, und ihr zufolge sinkt die Arbeitslosigkeit bei steigender Inflation (und umgekehrt).

Allerdings lässt sich dieser Effekt nur dann erzielen, wenn - wie vorangehend erklärt - es zur Überraschungsinflation kommt: Wenn also die Zentralbank für eine Inflation sorgt, die die von den Marktakteuren erwartete Inflation übersteigt. Bemerken aber die Menschen, dass sie getäuscht wurden, werden sie fortan eine höhere Inflation erwarten als die, die die Zentralbank ihnen verspricht. Will die Zentralbank unter diesen Bedingungen die Konjunktur weiter durch höhere Inflation beleben, muss sie erneut für Überraschungsinflation sorgen.

Um die Konjunktur zu beleben, wird die Zentralbank die Inflationserwartungen der Marktakteure immer wieder enttäuschen müssen. Beispiel: Erwarten die Marktakteure 4 Prozent Inflation, muss die Zentralbank die Inflation auf 6 Prozent treiben. Erwarten daraufhin die Marktakteure eine Inflation von 8 Prozent, wird die Zentralbank die Inflation auf 10 Prozent treiben. Es ist leicht zu erkennen, dass eine Politik des Versprechens und wiederholten Täuschens geradewegs in eine Hoch- und Hyperinflation führen wird. Die Inflation für konjunkturpolitische Zwecke einzusetzen, ist das eine. Sie wird aber - wie die leidvolle Währungsgeschichte zeigt - vor allem zur Staatsfinanzierung eingesetzt.

Bei der Finanzierung seiner Ausgaben geht der Staat in der Regel wie folgt vor. Er besteuert Bürger und Unternehmer bis zu einer gewissen Grenze. Die überschreitet er meist nicht, da ihm ansonsten politische Proteste und Abwanderung von Menschen und Kapital drohen. Ganz besonders attraktiv ist es für den Staat, sich zu verschulden. Im Regelfall leihen schließlich die Bürger dem Staat ihr Geld freiwillig, vor allem dann, wenn sie dafür einen Zins bekommen.

Wird die Kreditqualität des Staates als gut angesehen, hat er in der Regel keine Probleme, Schulden aufzuhäufen, seine fälligen Schulden durch neue Schulden zu finanzieren und immer mehr neue Schulden aufzunehmen. Und wenn der Staat beziehungsweise seine Zentralbank auch noch das Geldmonopol besitzen, ist die staatliche Schuldenfinanzierung besonders einfach.

Die Zentralbank privilegiert nämlich die Staatsanleihen, indem sie sie als Pfand für ihre Kreditvergabe an Geschäftsbanken akzeptiert. Das senkt die Rendite der Anleihen und verbilligt die Schuldenfinanzierung des Staates. Doch was passiert, wenn der Staat zu viele Schulden gemacht hat, und er die Steuerschraube nicht noch fester anziehen kann und will, und wenn es ihm auch nicht möglich ist, im Kapitalmarkt Käufer für Schuldpapiere zu finden?

In diesem Fall ist absehbar, dass die staatseigene Zentralbank einspringt. Sie wird die neu ausgegebenen Staatsanleihen kaufen und sie mit neu geschaffenem Geld bezahlen. In einer solchen Situation, in der der Staat droht zahlungsunfähig zu werden, wird die Zentralbank - die ja mit dem Staat auf das Engste verbandelt ist - sich nicht verweigern, zu Inflationspolitik zu greifen.

Die Erfahrung zeigt in der Tat: Wenn es erst einmal zu einer staatlichen Überschuldung gekommen ist, dann brechen alle Dämme. Darum wurde im Vorfeld der Einführung des Euro ein Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbart. Er sollte dafür sorgen, dass die Staaten sich nicht in eine Überschuldungssituation manövrieren. Doch bekanntlich hat das nicht funktioniert.

Und im Zuge der Coronakrise haben die EU-Finanzminister den Pakt im März 2020 sogar ganz ausgesetzt. Jeder Staat kann nun so viele neue Schulden machen, wie er will. Die Neuverschuldung ist jetzt besonders verlockend, weil die Europäische Zentralbank (EZB) die Renditen für Euro-Staatsanleihen heruntermanipuliert hat, die Kreditkosten für die Staaten extrem gering sind; die Rendite für deutsche Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit etwa beträgt derzeit etwa minus 0,20 Prozent.

Es sind allerdings nicht allein die sehr hohen Staatsschulden, die den Weg in die (hohe) Inflation weisen. Auch die Schulden von Privaten, Banken und Unternehmen sind mittlerweile sehr hoch. Im ersten Quartal 2021 belief sich die globale Kreditlast auf 289 Billionen US-Dollar und entsprach damit 360 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, so zeigen die Zahlen des Institute for International Finance (IIF).

Aus der allgemein hohen Verschuldung erwächst ein Anreiz, das Schuldenproblem mit Inflation lösen zu wollen: Vor die Wahl gestellt, Pleite zu gehen oder mit neuem Geld die fälligen Rechnungen zu bezahlen, wird sich eine hoch verschuldete Volkswirtschaft sehr wahrscheinlich für Inflation und gegen Pleitewellen entscheiden. Insbesondere weil die Inflation zunächst Erleichterung bringt, und die Kosten der Inflation erst später zutage treten.


Ursache(n) der Inflation

Was aber ist die Ursache von Inflation? Es gibt zwei Erklärungen, die als Antwort auf diese Frage vorgebracht werden. Da gibt es auf der einen Seite die keynesianisch orientierten Ökonomen, die sagen, dass Inflation entsteht, wenn die Wirtschaft besonders stark wächst; wenn es also Knappheit gibt, wie es derzeit beispielweise bei Baustoffen zu beobachten ist, dann steigen die Preise für diese Güter. Auf der anderen Seite gibt es die monetaristisch orientierten Ökonomen, die steigende Inflation mit einer Ausweitung der Geldmenge erklären und somit Inflation als ein monetäres Phänomen ansehen. Welche ist nun aber die richtige Inflationserklärung?


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