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"Das Inflationsproblem ist viel größer als die meisten glauben"

23.10.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Jörn Gleisner: Aber die US-Zentralbank (Fed) hat doch nun angekündigt, zumindest etwas den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Sie will doch den Geldmengenzuwachs reduzieren und auch die Zinsen im kommenden Jahr anheben. Ist das vielleicht der Kurswechsel?

Thorsten Polleit: Eine kosmetische Änderung der Geldpolitik ist durchaus möglich. Schließlich müssen die Geldpolitiker zeigen, dass sie etwas gegen die Preisinflation unternehmen wollen. Und zudem müssen sie auch die Hoffnung wachhalten, dass die Zinsen irgendwann wieder angehoben werden. Ansonsten droht dem Kreditmarkt das Aus, und dann gerät das Fiat-Geldsystem ins besonders schwieriges Fahrwasser.

Aber eine Rückkehr zu "normalen Zinshöhen" halte ich dennoch für sehr unwahrscheinlich. Die Zinsen nach Abzug der Preisinflation werden nicht wieder über die Nulllinie gehoben. Die "Finanzielle Repression" geht weiter, wird sich verschärfen, die Preisinflation steigt. Sie mag zwar aus statistischen Gründen zeitweilig etwas nachgeben in den kommenden Monaten, aber mittel- und bis langfristig zeigt der Trend der Preisinflation nach oben.


Jörn Gleisner: Verstehe ich Sie richtig, Sie sagen, die Preisinflation wird jetzt von den Zentralbanken eingesetzt beziehungsweise in die Höhe getrieben, um das Fiat-Geldsystem vor dem Kollaps zu bewahren, und dabei setzt man auf einen negativen Realzins?

Thorsten Polleit: Ja, und um das zu verstehen, ist es sinnvoll, sich das große Bild in Erinnerung zu rufen. Das Fiat-Geldsystem hat, so lässt sich wohl sagen, zu einer Überschuldung geführt. Die Entschuldung wird nun durch negative Realzinsen praktiziert. Dazu erzeugen die Zentralbanken eine Inflation, die höher ist als die Inflation, die man den Menschen in Aussicht gestellt hat. Denn nun verrichtet die Inflation ihr Täuschungswerk, die Gläubiger zu enteignen, die Schuldner zu begünstigen.

Hinzu kommt, dass sich die Gesellschaftspolitik immer offensichtlicher verabschiedet von der freien Marktwirtschaft beziehungsweise den wenigen Resten, die davon noch übrig sind. Kollektivistische-sozialistische Ideen feiern Renaissance - beispielsweise in das Gewand der "grünem Politik" gehüllt -, und gutes Geld, niedrige Inflation steht ihnen im Wege.


Jörn Gleisner: Die Zentralbanken sollen ja, so steht es zumindest geschrieben, politisch unabhängig sein. Sie denken dennoch, sie werden sich beteiligen an einer inflationären Finanzierung der, sagen wir, "Großen Transformation"?

Thorsten Polleit: Zu befürchten ist, dass die Zentralbanken nun vollends unter die Fuchtel der Staaten geraten sind. Denn nicht wenige Staaten sind mittlerweile so hoch verschuldet, dass die Geldpolitik auf die Belange der Staaten abgestellt werden müssen; man nennt das auch "Fiskalische Dominanz".

Indem die Zentralbanken die Staatshaushalte finanzieren, werden beispielsweise die wahren Kosten der "grünen Politik" vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Und die steigende Inflation, für die die Geldmengenflut sorgt, kommt den kollektivistischensozialistischen Bestrebungen, die die Große Transformation vorantreibt, durchaus gelegen. Inflation schafft Bedürftige und treibt sie dem Staat in die Arme, die sich von ihm Besserung versprechen.

Man sollte daher nicht verwundert sein, wenn die Staatsdefizite bis auf weiteres sehr hoch bleiben und die Zentralbanken die Staatsschulden aufkaufen und mit neuem Geld bezahlen. Besonders problematisch ist dabei: Zum einen werden mit dem neuen Geld Staatsausgaben finanziert, die absehbar eine relativ geringe Produktivität haben - zumal die "grüne Politik" sehr wahrscheinlich das Wirtschaftswachstum herabsetzen, nicht befördern wird.

Das erhöht den inflationären Preisdruck. Zum anderen werden die Regierungen ihre neu gewonnene Hoheit über die Notenpressen so schnell nicht wieder abgeben wollen. Gerade der Zugriff der Regierungen auf den Zentralbanken lässt erwarten, dass sich ein gewaltiges Inflationsproblem aufbaut.


Jörn Gleisner: Viele Menschen werden sich nun vermutlich fragen, wie hoch die Inflation denn künftig ausfallen wird, und vor allem, was man als Anleger machen kann und sollte, um dem Inflationsproblem zu entgehen?

Thorsten Polleit: Das hohe Geldmengenwachstum - ich sagte bereits, in den USA liegt die Jahresrate bei 13%, im Euroraum bei knapp 8% - treibt sowohl die Konsumgüterpreise als auch die Vermögenspreise (wie Aktien und Häuser) in die Höhe. In welcher Höhe welche Preise dabei noch steigen werden, lässt sich jedoch nicht mit Gewissheit sagen. Eine Rückkehr zur 2-Prozentmarke bei der Konsumgüterpreiseinflation ist jedoch sehr unwahrscheinlich.

Preissteigerungen für Konsumgüter von 4, 5 oder 6 Prozent für die kommenden Jahre würden mich nicht überraschen. Vor allem aber die Vermögenspreisinflation wird sich wahrscheinlich fortsetzen. Das Ergebnis von all dem liegt auf der Hand: Dass das Halten von Geld - ob in Form von Bargeld oder Buchgeld - wird zum Verlustgeschäft, und gleiches gilt für das Halten von klassischen Anlageklassen wie Geldmarkt- und Rentenfonds.

Eine der großen Herausforderungen für die Anleger ist die Geldentwertung, sei es nun in Form von Konsumgüterpreis- und/oder Vermögenspreisinflation. Wer das Geld den Zentralbankräten vertraut, wird das Nachsehen haben. Leider gibt es keine Zauberformel, die für alle und jeden eine Lösung bereithält, um unbeschadet der Inflationspolitik der Zentralbanken zu entkommen. Aber einige Leitlinien lassen sich nennen.

Eine Möglichkeit besteht in der Diversifikation: Streuen Sie die Anlageklassen Aktien und Immobilien international; halten Sie physisches Gold und Silber als Teil der liquiden Mittel; nehmen sie eine Langfristorientierung ein, damit sie im Auf und Ab der Märkte keine kurzsichtigen Entscheidungen treffen und Verluste erleiden; und sehen sie zu, dass ihre Kosten für die Konten- und Depotführung sowie für ihre Transaktionen möglichst niedrig sind.


Jörn Gleisner: Herr Polleit, ich danke Ihnen für das Interview!


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH




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