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Abrutschen in ein Inflationsregime

05.03.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Sparer und Investoren sind gut beraten, wenn sie das Inflationsproblem sehr ernst nehmen, es als eine der zentralen Herausforderungen für die Kapitalanlage in den kommenden Jahren identifizieren.

Warum soll die Inflation der Güterpreise eigentlich niedrig sein? Kann eine Volkswirtschaft nicht eben so gut mit einer Rate von 5 Prozent pro Jahr zurechtkommen anstatt mit 2 Prozent pro Jahr? Um die Kosten der Inflation und ihre Problematik zu verstehen, muss man zwischen "korrekt" und "falsch" erwarteter Inflation unterscheiden.

Wenn die Menschen die Inflation korrekt erwartet haben - sie haben mit X Prozent in einem Jahr gerechnet, und es hat sich auch eine Inflation von X Prozent eingestellt -, dann ist die Inflation dennoch mit Kosten verbunden, und diese Kosten nehmen mit steigender Inflation zu. So verursacht das Halten von Kasse den Menschen Opportunitätskosten - weil sich die Kaufkraft des Geldes im Zeitablauf entwertet und man anstelle von Geld besser andere Güter nachgefragt hätte.

Den Unternehmen entstehen "Menükosten": Sie müssen ihre Preislisten häufiger neuberechnen und anpassen. Für Konsumenten und Firmen wird es (zeit-)aufwendiger, Preisvergleiche anzustellen. Wenn die progressive Einkommensteuer nicht angepasst wird, dann stellt sich eine "kalte Progression" ein: Wenn die Nominallöhne an die Inflation angepasst werden, geraten die Arbeitnehmer unter einen höheren Grenzsteuersatz. Obwohl also ihre realen Löhne nicht zugenommen haben, müssen sie mehr Steuern zahlen.

Das ist jedoch noch nicht alles. Inflation ist im Kern eine Steuer, die dann besonders wirksam greift, wenn sie unerwartet daherkommt, wenn sie von den Menschen nicht korrekt erwartet wird, wenn sie überraschend über die Menschen hereinbricht. Dann nämlich stellen sich zusätzliche Kosten ein. Nehmen wir an, die Marktakteure rechnen mit einer Inflation von, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr, die tatsächliche Inflation beträgt aber 5 Prozent.

In einem solchen Fall sind diejenigen, die ihr Geld in Form von Bargeld, Sicht-, Termin- und Sparguthaben halten, die Geprellten. Auch die Gläubiger verlieren auf Kosten der Schuldner. Vermieter, die mit ihren Mietern langfristige Mietverträge abgeschlossen haben, verbuchen ebenfalls Verluste. Und solange die Lohnanpassung der unerwarteten Inflation zeitlich hinterherhinkt, erleiden Arbeitnehmer reale Lohneinbußen. Je höher die Überraschungsinflation ausfällt - je größer also der Unterschied zwischen tatsächlicher Inflation und der ursprünglich erwarteten Inflation ist -, desto größer ist auch der Schaden für alle, die die Inflation nicht korrekt antizipiert haben.

Und das ist in der Regel die breite Bevölkerung, insbesondere die unteren und mittleren Einkommensverdiener, die den Schäden der Überraschungsinflation meist nicht entkommen können. Man sollte übrigens nicht meinen, wer Aktien oder Häuser besitzt, könne der Inflation per se ein Schnippchen schlagen. Weit gefehlt. Die Gewinne vieler Unternehmen leiden unter Inflation, weil die Firmen nicht in der Lage sind, erhöhte Produktionskosten auf die Absatzpreise abzuwälzen, oder weil die Inflation, die die Kaufkraft der Kunden schmälert, die Nachfrage nach den angebotenen Produkten verringert.

Die Folge: Inflation geht mit einem Rückgang des Aktienkurses von so mancher Firma einher. Oder Immobilienbesitzer: Der Marktpreis ihres Hauses mag in Inflationszeiten steigen. Aber was hilft das, wenn man die Immobilie bewohnt oder sie mit einem langfristigen Vertrag vermietet hat, und plötzlich die Kosten für Instandhaltung und Erneuerung etc. in die Höhe schießen? Die Inflation begünstigt den Hausbesitzer nicht, sie schadet ihm.


Das Inflationsproblem wird größer …

Jahresinflation der Konsumgüterpreise im Euroraum in Prozent

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. Gestrichelte Linie: geschätzter unterliegender Trendverlauf.


Eurostat schätzt, dass die Inflation im Euroraum im Februar 2022 5,8 Prozent betragen hat. Besonders stark schlug dabei der Anstieg der Energiepreise zu Buche: Sie verteuerten sich um 31,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Inflation variiert stark von EU-Land zu EU-Land. Die höchste Rate zeigte sich in Litauen mit 13,9 Prozent, gefolgt von 12,4 Prozent in Estland. In Deutschland betrug die Inflationsrate 5,5 Prozent, in Frankreich 4,1 Prozent, in Italien 6,2 Prozent und in Spanien 7,5 Prozent.

Das Ansteigen der Inflation ist - also das fortgesetzte Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front - nicht die Folge stark steigender Energiepreise. Die Ursache für die Inflation ist die übermäßig stark ausgeweitete Geldmenge: Die Europäische Zentralbank hat die Euro-Geldmenge M3 seit Ende 2019 um etwa 20 Prozent erhöht, während die Wirtschaftsleistung seither kaum zugenommen hat. Es ist also dieser "Geldmengenüberhang", der es möglich macht, dass sich die steigenden Energiepreise in einem Anstieg der Güterpreise auf breiter Front übertragen können.


Wer profitiert von der Inflation? Die Antwort lautet: der Staat. Dazu muss man wissen, dass, erstens, die Inflation - also das fortgesetzte Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front - letztlich immer ein monetäres Phänomen ist. Und dass, zweitens, überall auf der Welt die Staaten das Geldproduktionsmonopol an sich gerissen und das Warengeld, das gedeckte Geld, durch ihr eigenes ungedecktes Geld ersetzt haben.

Solange der Staat es mit der inflationären Geldmengenvermehrung nicht übertreibt, kann er seine Untertanen quasi klammheimlich ausplündern - mittels einer Inflation, die von seinen Untertanen korrekt erwartet wird, aber insbesondere natürlich mit einer Inflation, die für die Menschen überraschend daherkommt.

Wenn die Inflation allerdings zu hoch ausfällt, dann werden die Menschen aufwachen und den Schwindel bemerken. Will der Staat sich dann weiterhin mittels Inflation bereichern, muss die Zentralbank zu immer höherer Inflation greifen. Das ist der Weg, der geradewegs in die Hoch- oder gar Hyperinflation führt.

Die Inflation, die sich in der westlichen Welt nun unübersehbar ihr hässliches Haupt erhebt, ist das Ergebnis des mittlerweile an seine Grenze stoßenden staatlichen Schuldgeldsystems. Die Kreditpyramide, die die Zentralbanken mit ihrem ungedeckten Geld in den letzten Dekaden aufgetürmt haben, lässt sich nur noch vor dem Kollaps bewahren, indem die Geldpolitiker die Zinsen de facto auf die Nulllinie gesetzt beziehungsweise die Realzinsen (das heißt Nominalzinsen abzüglich Inflation) unter die Nulllinie drücken und strauchelnde Schuldner mit neuem, aus dem Nichts geschaffenem Geld über Wasser halten.

Es sicherlich nicht übertrieben zu sagen, dass ein inflationäres "Weiter so" aus Sicht der Regierenden wie auch der Regierten längst als vergleichsweise vorteilhafter angesehen wird als das Beenden der Inflationspolitik und die damit verbundene Anpassungsrezession.

"Wer mit Inflation flirtet, wird von ihr geheiratet". Dieses Zitat wird dem ehemaligen Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Otmar Emminger (1911-1986), zu geschrieben. In der Tat: Wenn die Menschen der Auffassung unterliegen, mit Inflation ließen sich aufgelaufene wirtschaftliche und gesellschaftliche Fehlentwicklungen dauerhaft ausblenden oder sogar ungeschehen machen, dann werden sie wohl erst die hohen Kosten der Inflation am eigenen Leib erfahren müssen, damit ein Umdenken, eine Abkehr von der Inflationspolitik einsetzen kann.

Die Wahrscheinlichkeit ist so gesehen sehr groß, dass die westliche Welt weiter in ein Inflationsregime abrutscht, in dem Raten von 4 bis 6 Prozent oder mehr wahrscheinlicher sein werden als 2 Prozent. Sparer und Investoren sind daher gut beraten, wenn sie das Inflationsproblem sehr ernst nehmen, es als eine der zentralen Herausforderungen für die Kapitalanlage in den kommenden Jahren identifizieren.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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