Gas gegen Rubel? Es geht um viel mehr
17.04.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die "finanzielle Kriegsführung" mit dem US-Dollar befördert die Tendenz der "Ent-Dollarisierung" weltweit.
Im Jahr 2021 hat Russland Waren und Dienstleistungen im Betrag von knapp 550 Mrd. US-Dollar exportiert. Davon entfielen gut 181 Mrd. US-Dollar auf Ölexporte und etwa 63 Mrd. US-Dollar auf Erdgas - die Ölexporte sind für Russland also fast dreimal so bedeutsam wie die Gasexporte. Die öffentlichen Rufe nach einem Embargo für russische Energieträger sind in den letzten Tagen immer lauter geworden - also Reaktion des Westens auf den anhaltenden kriegerischen Angriff der Russen auf die Ukraine.
Derartige Sanktionen sind jedoch nicht frei von Nebenwirkungen. Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Europäische Union etwa 27 Prozent ihrer Ölimporte und gut 40 Prozent der Gasimporte aus Russland bezieht. Für Deutschland fällt die Abhängigkeit noch stärker aus: 40 Prozent der deutschen Ölimporte und etwa 55 Prozent des Gases stammen aus Russland.
Fließt kein Öl und strömt kein Gas mehr nach Europa, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zu schweren wirtschaftlichen Schäden kommt: Rezession, Massenarbeitslosigkeit, Industriesterben, Mangel, Hochinflation. Es mag eine bittere Erkenntnis sein, aber kurzfristig gibt es keinen Ersatz für die fossilen Energieträger aus Russland. Eine Abnabelung, die eine schwere Selbstschädigung verhindert, braucht Zeit.
Die wachsende Energieabhängigkeit, die die europäischen Staaten in den letzten Dekaden gegenüber Russland aufgebaut haben, lässt sich nicht im Handumdrehen und ohne große wirtschaftliche Verwerfungen aus der Welt schaffen. Das weiß auch Präsident Vladimir Putin. Auf die harten Sanktionen des Westens hat er jüngst geantwortet und ein Dekret unterzeichnet, wonach russisches Gas ab dem 1. April 2022 in Rubel und nicht in Euro zu bezahlen ist.
Dieser Währungswechsel sollte vermutlich zum einen den Außenwert des Rubels stärken. Zum anderen wäre es gewissermaßen prestigeträchtig für Putin gewesen, die Europäer zur Verwendung der russischen Währung zu zwingen. Doch die Europäer haben das abgelehnt. Für sie wäre es in der Tat problematisch, an ausreichend Rubel zu gelangen. Der Markt für Rubel ist nicht besonders groß, dauerhaft große Euro-Beträge lassen sich nicht in die russische Währung eintauschen, ohne dadurch eine merkliche Aufwertung des Rubels herbeizuführen und dadurch die Gasrechnungen in Europa stark zu verteuern.
Alternativ wäre den Gasimporteuren nur der Weg geblieben, sich bei russischen Banken in Rubel zu verschulden. Sich aber in ein derartiges Fremdwährungsschuldverhältnis gegenüber Russland zu begeben, wäre natürlich ebenfalls keine Option gewesen.
Putin ist mittlerweile von seinem Plan abgerückt und hat einem für alle halbwegs gesichtswahrenden und akzeptablen Vorgehen zugestimmt: Russisches Gas kann weiterhin in Euro bezahlt werden. Die Euro-Beträge sind dabei auf Konten der in Luxemburg ansässigen Gazprombank-Tochter ("Bank GPB International S.A") zu überweisen.
Dort wird den Gaskäufern ein zusätzliches Rubelkonto eingerichtet, und die Gazprombank konvertiert die Euro-Beträge in russische Rubel. Sodann werden die Rubelbeträge den russischen Gasexporteuren (Gazrom, Rosneft) gutgeschrieben. Die Gasimporteure in Europa zahlen wie bisher weiterhin mit Euro, und mit dem Umtausch in Rubel haben sie nichts zu tun. Das Wechselkursrisiko tragen die russischen Gasexporteure. Durch dieses Umtauschmanöver eröffnet sich Präsident Putin zwei Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit: Gazprombank reicht die Euro weiter an die Zentralbank von Russland und erhält von ihr im Gegenzug neu geschaffene Rubel, die sie auf die Konten der russischen Gasexporteure bei russischen Banken überweist. Dabei ist der Wechselkurs zwischen dem Rubel und den Auslandswährungen natürlich bedeutsam. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine stand der Wechselkurs des Rubels gegenüber dem US-Dollar (USD/RUB) bei etwa 80.
Danach wertete der Rubel drastisch ab, fiel in der Spitze auf 177 USD/RUB. Mittlerweile hat er wieder auf 85 USD/RUB aufgewertet. Da der Rubel derzeit sanktionsbedingt nicht offiziell im Devisenmarkt gehandelt wird, ist zu vermuten, dass die Zentralbank von Russland den Rubel-Wechselkurs auf die Vorkriegs-Parität zurück bugsiert hat. So bleiben die Erlöse der russischen Gasexporteure unverändert.
Die zweite Möglichkeit: Gazprombank behält die Euro-Guthaben, und die Zentralbank von Russland stellt Gazprombank die Rubel, mit denen die russischen Gasexporteure bezahlt werden, per Kredit zu Verfügung. Das hätte für Russland den Vorteil, dass Gazprombank, die nicht wie die Zentralbank von Russland durch Sanktionen vom internationalen Interbanken-Zahlungsverkehr (SWIFT) abgeschnitten ist, ihre Fremdwährungsguthaben, die sie aus laufenden Gasverkäufen erhält, zu Zahlungszwecken weltweit einsetzen kann.
Gazprombank könnte beispielsweise auf Rechnung der russischen Regierung Transaktionen in Euro durchführen mit Ländern wie China und Indien, dort Güter kaufen - dringend benötigte Technologien, Konsumartikel, Waffen - oder die Euro in zum Beispiel Gold eintauschen, um die eigenen Währungsreserven zu stärken. Die finanziellen Sanktionen, die man gegenüber Russland verhängt hat, könnten auf diese Weise aber wohl nicht ausgehebelt werden. Denn der Großteil der russischen Währungsreserven - Ende Februar 2022 beliefen sie sich auf 617,1 Mrd. US-Dollar - bleibt durch die Sanktionen eingefroren.
Das betrifft die in westlichen Währungen denominierten Bankguthaben und Wertpapiere, allen voran in US-Dollar und Euro. Verfügbar für die Russen sind hingegen nach wie vor ihre bei chinesischen Banken gehaltenen, auf chinesischen Renminbi lautenden Guthaben sowie die physischen Goldbestände - insgesamt sind das schätzungsweise gut 30 Prozent oder in US-Dollar ausgedrückt etwa 185 Mrd. US-Dollar.
Diese Beträge können für internationale Transaktionen eingesetzt werden. Als Transaktionspartner verbleiben die Länder, die sich nicht den westlichen Sanktionen angeschlossen haben. Das zählen neben China und Indien vor allem Belarus, Brasilien, Indonesien, Mexiko, Serbien, Südafrika, Türkei und andere. So haben China und Indien bereits angekündigt, weiterhin Rohstoffe aus Russland beziehen zu wollen.
Indien und Russland, so wurde gemeldet, wollen fortan ihren bilateralen Handel in den nationalen Währungen, also ohne Einbindung des US-Dollar, abwickeln. Russland akzeptiert bereits seit langem den chinesischen Renminbi zur Bezahlung seiner Exporte an China. Die Internationale Währungsfonds (IWF) erblickt in den Folgewirkungen der harten Russlandsanktionen nun eine Gefahr für die "Dollar-Dominanz", befürchtet, dass die immer noch herausragende und unangefochtene Stellung des Greenbacks im internationalen Währungssystem geschwächt wird.
Nicht nur könnte der US-Dollar in Handels- und Finanztransaktionen durch nationale Währungspaare oder auch durch Alternative wie Krypoteinheiten und Stablecoins abgewickelt werden. In der Tat: Müssen Anleger befürchten, dass auch ihre US-Dollar-Anlagen vielleicht von der US-Regierung durch Sanktionen belegt werden können, werden sie ihre Greenback-Nachfrage einschränken. Das bestehende globale Finanzsystem würde disintegrieren, mit negativen Folgen für Produktion und Beschäftigung.
Hinter der Formel "Gas gegen Rubel" - eine Gegensanktion Russlands auf die Sanktion des Westens - verbirgt sich folglich viel mehr, als es beim ersten Blick scheint. Es geht dabei nicht nur um die Energieversorgung und -sicherheit Europas, um das Überleben seiner Wirtschaft, seiner politischen Stabilität.
Es geht letztlich vor allem auch um die künftige Stellung des US-Dollar als de facto Weltreservewährung, auf der letztlich die wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung der Vereinigten Staaten in der Welt ruht, die die Hegemonie des Westens trägt. Putins Angriffskrieg in der Ukraine und die nunmehr in Gang gekommene Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen setzt geopolitische Fliehkräfte frei, die Eskalation und leider nicht Deeskalation bringen.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH
Im Jahr 2021 hat Russland Waren und Dienstleistungen im Betrag von knapp 550 Mrd. US-Dollar exportiert. Davon entfielen gut 181 Mrd. US-Dollar auf Ölexporte und etwa 63 Mrd. US-Dollar auf Erdgas - die Ölexporte sind für Russland also fast dreimal so bedeutsam wie die Gasexporte. Die öffentlichen Rufe nach einem Embargo für russische Energieträger sind in den letzten Tagen immer lauter geworden - also Reaktion des Westens auf den anhaltenden kriegerischen Angriff der Russen auf die Ukraine.
Derartige Sanktionen sind jedoch nicht frei von Nebenwirkungen. Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Europäische Union etwa 27 Prozent ihrer Ölimporte und gut 40 Prozent der Gasimporte aus Russland bezieht. Für Deutschland fällt die Abhängigkeit noch stärker aus: 40 Prozent der deutschen Ölimporte und etwa 55 Prozent des Gases stammen aus Russland.
Fließt kein Öl und strömt kein Gas mehr nach Europa, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zu schweren wirtschaftlichen Schäden kommt: Rezession, Massenarbeitslosigkeit, Industriesterben, Mangel, Hochinflation. Es mag eine bittere Erkenntnis sein, aber kurzfristig gibt es keinen Ersatz für die fossilen Energieträger aus Russland. Eine Abnabelung, die eine schwere Selbstschädigung verhindert, braucht Zeit.
Die wachsende Energieabhängigkeit, die die europäischen Staaten in den letzten Dekaden gegenüber Russland aufgebaut haben, lässt sich nicht im Handumdrehen und ohne große wirtschaftliche Verwerfungen aus der Welt schaffen. Das weiß auch Präsident Vladimir Putin. Auf die harten Sanktionen des Westens hat er jüngst geantwortet und ein Dekret unterzeichnet, wonach russisches Gas ab dem 1. April 2022 in Rubel und nicht in Euro zu bezahlen ist.
Dieser Währungswechsel sollte vermutlich zum einen den Außenwert des Rubels stärken. Zum anderen wäre es gewissermaßen prestigeträchtig für Putin gewesen, die Europäer zur Verwendung der russischen Währung zu zwingen. Doch die Europäer haben das abgelehnt. Für sie wäre es in der Tat problematisch, an ausreichend Rubel zu gelangen. Der Markt für Rubel ist nicht besonders groß, dauerhaft große Euro-Beträge lassen sich nicht in die russische Währung eintauschen, ohne dadurch eine merkliche Aufwertung des Rubels herbeizuführen und dadurch die Gasrechnungen in Europa stark zu verteuern.
Alternativ wäre den Gasimporteuren nur der Weg geblieben, sich bei russischen Banken in Rubel zu verschulden. Sich aber in ein derartiges Fremdwährungsschuldverhältnis gegenüber Russland zu begeben, wäre natürlich ebenfalls keine Option gewesen.
Putin ist mittlerweile von seinem Plan abgerückt und hat einem für alle halbwegs gesichtswahrenden und akzeptablen Vorgehen zugestimmt: Russisches Gas kann weiterhin in Euro bezahlt werden. Die Euro-Beträge sind dabei auf Konten der in Luxemburg ansässigen Gazprombank-Tochter ("Bank GPB International S.A") zu überweisen.
Dort wird den Gaskäufern ein zusätzliches Rubelkonto eingerichtet, und die Gazprombank konvertiert die Euro-Beträge in russische Rubel. Sodann werden die Rubelbeträge den russischen Gasexporteuren (Gazrom, Rosneft) gutgeschrieben. Die Gasimporteure in Europa zahlen wie bisher weiterhin mit Euro, und mit dem Umtausch in Rubel haben sie nichts zu tun. Das Wechselkursrisiko tragen die russischen Gasexporteure. Durch dieses Umtauschmanöver eröffnet sich Präsident Putin zwei Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit: Gazprombank reicht die Euro weiter an die Zentralbank von Russland und erhält von ihr im Gegenzug neu geschaffene Rubel, die sie auf die Konten der russischen Gasexporteure bei russischen Banken überweist. Dabei ist der Wechselkurs zwischen dem Rubel und den Auslandswährungen natürlich bedeutsam. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine stand der Wechselkurs des Rubels gegenüber dem US-Dollar (USD/RUB) bei etwa 80.
Danach wertete der Rubel drastisch ab, fiel in der Spitze auf 177 USD/RUB. Mittlerweile hat er wieder auf 85 USD/RUB aufgewertet. Da der Rubel derzeit sanktionsbedingt nicht offiziell im Devisenmarkt gehandelt wird, ist zu vermuten, dass die Zentralbank von Russland den Rubel-Wechselkurs auf die Vorkriegs-Parität zurück bugsiert hat. So bleiben die Erlöse der russischen Gasexporteure unverändert.
Die zweite Möglichkeit: Gazprombank behält die Euro-Guthaben, und die Zentralbank von Russland stellt Gazprombank die Rubel, mit denen die russischen Gasexporteure bezahlt werden, per Kredit zu Verfügung. Das hätte für Russland den Vorteil, dass Gazprombank, die nicht wie die Zentralbank von Russland durch Sanktionen vom internationalen Interbanken-Zahlungsverkehr (SWIFT) abgeschnitten ist, ihre Fremdwährungsguthaben, die sie aus laufenden Gasverkäufen erhält, zu Zahlungszwecken weltweit einsetzen kann.
Gazprombank könnte beispielsweise auf Rechnung der russischen Regierung Transaktionen in Euro durchführen mit Ländern wie China und Indien, dort Güter kaufen - dringend benötigte Technologien, Konsumartikel, Waffen - oder die Euro in zum Beispiel Gold eintauschen, um die eigenen Währungsreserven zu stärken. Die finanziellen Sanktionen, die man gegenüber Russland verhängt hat, könnten auf diese Weise aber wohl nicht ausgehebelt werden. Denn der Großteil der russischen Währungsreserven - Ende Februar 2022 beliefen sie sich auf 617,1 Mrd. US-Dollar - bleibt durch die Sanktionen eingefroren.
Das betrifft die in westlichen Währungen denominierten Bankguthaben und Wertpapiere, allen voran in US-Dollar und Euro. Verfügbar für die Russen sind hingegen nach wie vor ihre bei chinesischen Banken gehaltenen, auf chinesischen Renminbi lautenden Guthaben sowie die physischen Goldbestände - insgesamt sind das schätzungsweise gut 30 Prozent oder in US-Dollar ausgedrückt etwa 185 Mrd. US-Dollar.
Diese Beträge können für internationale Transaktionen eingesetzt werden. Als Transaktionspartner verbleiben die Länder, die sich nicht den westlichen Sanktionen angeschlossen haben. Das zählen neben China und Indien vor allem Belarus, Brasilien, Indonesien, Mexiko, Serbien, Südafrika, Türkei und andere. So haben China und Indien bereits angekündigt, weiterhin Rohstoffe aus Russland beziehen zu wollen.
Indien und Russland, so wurde gemeldet, wollen fortan ihren bilateralen Handel in den nationalen Währungen, also ohne Einbindung des US-Dollar, abwickeln. Russland akzeptiert bereits seit langem den chinesischen Renminbi zur Bezahlung seiner Exporte an China. Die Internationale Währungsfonds (IWF) erblickt in den Folgewirkungen der harten Russlandsanktionen nun eine Gefahr für die "Dollar-Dominanz", befürchtet, dass die immer noch herausragende und unangefochtene Stellung des Greenbacks im internationalen Währungssystem geschwächt wird.
Nicht nur könnte der US-Dollar in Handels- und Finanztransaktionen durch nationale Währungspaare oder auch durch Alternative wie Krypoteinheiten und Stablecoins abgewickelt werden. In der Tat: Müssen Anleger befürchten, dass auch ihre US-Dollar-Anlagen vielleicht von der US-Regierung durch Sanktionen belegt werden können, werden sie ihre Greenback-Nachfrage einschränken. Das bestehende globale Finanzsystem würde disintegrieren, mit negativen Folgen für Produktion und Beschäftigung.
Hinter der Formel "Gas gegen Rubel" - eine Gegensanktion Russlands auf die Sanktion des Westens - verbirgt sich folglich viel mehr, als es beim ersten Blick scheint. Es geht dabei nicht nur um die Energieversorgung und -sicherheit Europas, um das Überleben seiner Wirtschaft, seiner politischen Stabilität.
Es geht letztlich vor allem auch um die künftige Stellung des US-Dollar als de facto Weltreservewährung, auf der letztlich die wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung der Vereinigten Staaten in der Welt ruht, die die Hegemonie des Westens trägt. Putins Angriffskrieg in der Ukraine und die nunmehr in Gang gekommene Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen setzt geopolitische Fliehkräfte frei, die Eskalation und leider nicht Deeskalation bringen.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH