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Die Inflation ist kein Tsunami, dem wir hilflos ausgeliefert sind, sie ist menschengemacht

30.04.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Plötzlich sind es die gierigen Unternehmen, denen die Schuld für die steigenden Preise gegeben wird. Oder die Exporteure von Energie und Nahrungsmittel werden beschuldigt, der Grund der Misere zu sein. Wenn dabei ausgeblendet wird, dass es der Staat mit seiner Zentralbank ist, der die Verantwortung für die Inflation trägt, dann ist das besonders schlimm. Kennt die Bevölkerung nicht die wahre Ursache der Inflation, verschärfen sich die Konflikte, und die Chancen sinken, dass man die Inflationspolitik rasch beenden kann.


Jörn Gleisner: Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Polleit, dann heißt das so etwas wie "höhere" Inflation für länger?

Und dass das Inflationsproblem nicht nur den Euroraum heimsucht, sondern auch international fortan zu spüren sein wird?

Thorsten Polleit: Die Hochinflation, die in der westlichen Welt bereits ihr hässliches Haupt erhoben hat, wird zur weltweiten Plage. Ich befürchte, dass im Westen die Inflation der Güterpreise zwischen ungefähr 5 und 10 Prozent pro Jahr zur "akzeptierten Norm" wird - so wie man es in den letzten 20 Jahren beispielsweise in der Türkei beobachten konnte -, wobei ich die Wahrscheinlichkeit für eine noch heftigere Güterpreisinflation höher veranschlage als eine Rückkehr zu einer Güterpreisinflation von zwei Prozent. Die Kaufkraft vieler anderer Fiat-Währungen - dramatische Beispiele sind die Türkei und Sri Lanka, vielleicht auch schon bald der japanische Yen - kann noch stärker unter die Räder geraten.

Die Wahrscheinlichkeit für ein Extremszenario, in dem die ungedeckten Währungen wie USD-Dollar, Euro & Co ihre Kaufkraft in den kommenden fünf Jahren ganz verlieren, ist derzeit zwar nicht dominierend, sie steigt aber leider unzweifelhaft an. Wenn das Vertrauen in die Kaufkraft des ungedeckten Geldes schwindet, dann lässt es sich vermutlich kaum mehr wiedergewinnen - denn Zinserhöhungen, die den Aufwärtstrend der Inflation beenden und umkehren, sind im Grunde gar nicht mehr möglich, werden politisch gescheut. Sie würden geradewegs zum Systemzusammenbruch führen.

Und noch etwas darf ich an dieser Stelle hinzufügen: Die ökonomische Theorie weiß um die zerstörerische Kraft des staatlich monopolisierten Geldes. Dass dieses Geld - man nennt es auch Fiat-Geld - letztlich zu einer wirtschaftlichen Situation führt, in der die freie Marktwirtschaft beziehungsweise das, was von ihr noch übrig ist, ruiniert wird; in der Demagogen, die massiven Probleme der breiten Bevölkerung ausnutzend, es verstehen, die Ideen zu verbreiten, die die Freiheit der Bürger und Firmen noch weiter einschränken, und selbst totalitäre Ideen fallen dann auf fruchtbaren Boden. Die Inflation bedeutet also vor allem auch Zerstörung der freien Wirtschaft und Gesellschaft.


Jörn Gleisner: In einer Ihrer jüngsten Publikationen schreiben Sie, dass der Ukraine-Krieg die "Ent-Dollarisierung" des Weltfinanzsystems befördern wird. Ich bin interessiert von Ihnen zu erfahren, was Sie damit meinen, zumal sie ja dieser Entwicklung auch weitreichende Folgen zuschreiben.

Thorsten Polleit: Der US-Dollar ist nach wie vor, allen Unkenrufen zum Trotz, de facto die Weltwährung. Er dominiert in den weltweiten Handels- und Finanztransaktionen. Daher ist es der US-Regierung auch möglich, den Dollar außenpolitisch in Sinne einer "finanziellen Kriegsführung" einzusetzen. Die US-Regierung kann bestimmen, wer Zugang zum US-Dollar bekommt und wer nicht.

Damit lassen sich nicht nur Drogenkartelle und Terroristen bekämpfen, auch Staaten können auf diese Weise unter Druck gesetzt werden. Russland wurde jetzt vom US-Dollar-System abgeschnitten, die Währungsreserven der Bank von Russland eingefroren. Ländern, die sich nicht auf eine USamerikanische dominierte Weltordnung einlassen wollen - wie China, Russland und Indien - entgeht diese Botschaft natürlich nicht. Sie werden vermutlich versuchen, ihre Dollar-Abhängigkeit zu verringern.

Sie werden ihre Geschäfte verstärkt in nationalen Währungspaaren ausführen wollen, und sie werden nach alternativen Leitwährungen Ausschau halten. Beispielsweise arbeiten Russland, China und Indien daran, ihren Handel von der Verwendung des US-Dollar zu lösen. Das ist eine Entwicklung, die die bestehende Währungsordnung disintegriert, sich also in ihre Teile auflöst. Die internationale Arbeitsteilung und der Handel werden - wenn es keinen Ersatz für den US-Dollar als Weltrecheneinheit gibt - dadurch beeinträchtigt, Produktion und Beschäftigung geschädigt.

Der Ausstieg einer wachsenden Zahl von Ländern aus der Dollar-Währungsreserve würde insbesondere die Kaufkraft des US-Dollar und vieler anderer Währungen herabsetzen - schließlich fußen sie alle in letzter Konsequenz auf dem US-Dollar.


Jörn Gleisner: Wir sollten abschließend auch über Lösungen des Inflationsproblems sprechen. Ich weiß, Sie sind keiner, der die "Schuldmedizin" empfiehlt. Was würden Sie als Lösung vorbringen?

Thorsten Polleit: Ich empfehle, dass die Zentralbanken die Zinsen sofort kräftig anheben und das Geldmengenwachstum bremsen, damit die Inflation nicht noch schlimmer wird. Das ist zwar letztlich keine überzeugende Lösung des Inflationsproblems. Denn Zentralbanken erzeugen mit ihrem Fiat-Geld Inflation, sie bekämpfen sie nicht. Aber wenn die Zentralbanken ihr Fiat-Geld immer stärker inflationieren, wie es derzeit der Fall ist, dann befürchte ich sehr große wirtschaftliche, soziale und politische Schäden.

Meine eigentliche Empfehlung lautet: Die Menschen über die Probleme des Fiat-Geldes aufklären und sie vor allem auch von der Idee überzeugen, dass es keine überzeugenden ökonomischen und ethischen Argumente gibt, warum der Staat das Geldmonopol innehaben sollte. Dass vielmehr ein "freier Markt für Geld" die Lösung des Inflationsproblems und all seiner unerwünschten Folgen ist. Warum sollten die Menschen nicht die freie Wahl haben, ob sie US-Dollar, Euro, Schweizer Franken, japanische Yen oder aber Bitcoin, Ethereum oder digitales Gold und Silber als Geld verwenden wollen? Was spricht dagegen? Nichts.

Ich bin zuversichtlich, so darf ich an dieser Stelle sagen, dass sich diese Sichtweise letztlich durchsetzen wird. Über Nacht wird das allerdings nicht geschehen. In der Zwischenzeit empfehle ich daher: Halten Sie so wenig Fiat-Geld wie möglich. Nur so viel US-Dollar, Euro & Co auf dem Konto haben, wie Sie zur Abwicklung ihrer laufenden Zahlungsverpflichtungen benötigen. Halten sie kein Fiat-Geld für Sparzwecke, keine in Fiat-Geld denominierten Zahlungsforderungen.


Jörn Gleisner: Herr Polleit, ich bedanke mich für das Gespräch!


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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