Der perfekte Sturm
13.05.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Wachsende geopolitische Spannungen, ausufernde Staatsverschuldung, steigende Fiat-Geld-Inflation, schwindendes Vertrauen in die freie Marktwirtschaft: Das sind Zutaten, aus denen nur allzu leicht eine schwere Finanz-, Wirtschafts- und Gesellschaftskrise im Westen erwachsen kann.
Der "perfekte Sturm" bezeichnet ein verheerendes Unwetter, das selten eintritt, und für dessen Auftreten zahlreiche Bedingungen zusammenkommen müssen. So gesehen ist es vielleicht nicht zu weit hergeholt, wenn man sagt, dass einige Entwicklungen im Gange sind, aus denen, wenn sie in unglücklicher Weise zusammentreffen, so etwas wie ein "perfekter Sturm" im Weltfinanz- und -wirtschaftssystem erwachsen könnte.
Die Neuordnung der politischen Machtverhältnisse auf der Welt ist seit geraumer Zeit im Gange, hat nun aber Fahrt aufgenommen. Weil Staaten und Staatenverbände dabei nicht nur gemeinsame Interessen, sondern vor allem auch konfliktäre Ziele verfolgen, verläuft sie alles andere als spannungsfrei ab. Der Ukraine-Krieg birgt unverkennbar militärisches Eskalationspotential nicht nur für Europa. Denn er ist längst zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Westen unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika und Russland geworden, wenn nicht gar zwischen der NATO und der Russland-China-Allianz.
Dass China seine wirtschaftliche und vor allem auch seine ideologische Einflusssphäre nicht nur in Asien, sondern insbesondere auch in der westlichen Welt zu erweitern sucht, ist hinlänglich bekannt. Chinas Strategie wurde spätestens unter der US-Präsidentschaft von Donald J. Trump in den öffentlichen Blick gerückt. Die US-Administration von Joe Biden hat die von Trump erlassenen Handels- und Technologierestriktionen gegenüber China übernommen.
Eine eigene China-Strategie wird sie zwar erst in Kürze vorstellen, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass man wohl nicht stärker konfrontativ vorgehen wird, sondern vielmehr darauf setzen wird, dass sich China durch die eigenen Politikfehler (Technologieregulierung, steigende Energiekosten, Abfluss von Auslandskapital, Immobilienmarktkrise, "Zero-COVID") selbst schwächt und sein Expansionsdrang nachlässt.
Gleichzeitig geht der Westen, unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika, in anderer Weise in die Offensive, sucht seine Einflusssphäre auf dem Globus weiter auszubauen. Das zumindest legt der Vortrag der britischen Außenministerin, Liz Truss, nahe, den sie am 27. April 2022 im Mansion House, London, gehalten hat. Die US-linientreue britische Position verdient an dieser Stelle Erwähnung: Truss plädierte für eine "globale NATO", die "global" auf Bedrohungen von Aggressoren reagieren müsse.
Sie vertritt damit die Idee einer globalen Ausdehnung der NATO, die letztlich vor allem eine an China gerichtete Kampfansage ist. Obwohl diese Idee bisher nur auf dem Papier steht, entspricht sie doch recht genau der herrschenden Logik der interventionistischen US-Außenpolitik, die seit Jahrzehnten mit militärischen Machtmitteln betrieben wird.
Die Dinge werfen ihre Schatten voraus: Dass der Angriff Russlands auf die Ukraine viel mehr als ein regional begrenzter Krieg ist, zeigt die zunehmende finanzielle und vor allem militärische Unterstützung der NATO-Staaten für die Ukraine. Der Krieg versetzt die USA in die Lage, Russland als geopolitischen Machtfaktor zurückzudrängen, indem es militärisch und wirtschaftlich überfordert wird; und nicht zuletzt indem das politische Ansehen der Putin-Regierung im In- und Ausland verschlechtert, die Kooperation mit Russland quasi unmöglich gemacht wird.
In der westlichen Welt nehmen die staatlichen Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft seit Jahr und Tag zu. Mit den zunehmenden geopolitischen und geomilitärischen Konfrontationspotentialen verstärkt sich dieser Trend. Das geht unweigerlich zu Lasten des freien Wirtschaftens (oder dem wenigen, welches noch davon übrig ist). Beispielsweise werden Investitionen weltweit nicht mehr vorwiegend aufgrund relativer Kostenvorteile getätigt, sondern politische Risikofaktoren spielen eine verstärkte Rolle bei den Investitionsentscheidungen: beispielsweise Risiken, die aus einer möglichen Sanktionierung eines Landes erwachsen; oder Risiken, die aus einem militärischen Konflikt resultieren.
Das wiederum verschlechtert die Effizienz der internationalen Arbeitsteilung und des Güterhandels. Das ist problematisch, schließlich ist gerade die Arbeitsteilung die Quelle für den weltweiten Wohlstand. Und werden die internationale Arbeitsteilung und der Handel erschwert, steigt auch die Gefahr für Konflikte.
Menschen, die sich arbeitsteilig national und auch über Grenzen hinweg organisieren, erkennen sich als gegenseitig nützlich zur Erreichung ihrer persönlichen Ziele an. Sie entwickeln ein Interesse am gegenseitigen Wohlergehen. Deshalb werden Menschen, die die produktive Wirkung der Arbeitsteilung und des Handels verstanden haben, auch keine Kriege gegeneinander führen.
Hingegen sind es Staaten (wie wir sie heute kennen), die immer wieder für Kriege sorgen. Sei es, um ihre Macht auszuweiten, sei es mit dem Ziel, nicht von anderen Staaten übertrumpft zu werden; es können auch Sonderinteressengruppen sein, die den Staat für ihre Zwecke einspannen, und die militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele einsetzen lassen. Die wachsenden Spannungen zwischen den großen Staaten und staatlichen Machtblöcken - für die letztere selbst sorgen! - sind daher kein gutes Omen für Wachstum, Beschäftigung und Frieden auf der Welt.
Eine Verschlechterung der Wachstums- und Beschäftigungsaussichten ist ein handfestes Problem für das heute weltweit vorzufindende Fiat-Geldsystem. Lässt das Wirtschaftswachstum plötzlich nach, oder schrumpft die Wirtschaft, verschlechtert sich die Schuldentragfähigkeit der Volkswirtschaften. Das ist leicht einzusehen: Wachstumsverluste verschlechtern die Kreditqualität in den Bilanzen der Banken.
Müssen Schuldner die Hand heben, und kommt es zu Kreditausfällen, schwinden die Reserven der Kreditinstitute. Reichen die Reserven zur Verlustdeckung nicht aus, wird ihr Eigenkapital aufgezehrt. Das wiederum lässt die Geldhäuser vorsichtiger werden bei der Neukreditvergabe. Die Erhältlichkeit von Krediten verschlechtert sich, die Kreditkosten steigen an. Versiegt aber der Zustrom neuer Kredite, und steigen die Kredit- und Kapitalkosten, kippt der Wirtschaftsaufschwung in einen Abschwung, vielleicht sogar in eine Rezession ab.
Man erinnere sich an dieser Stelle nur einmal an die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Gegen Ende eines fulminanten Kredit-Booms begann die Fed im Juni 2004 die Zinsen zu erhöhen. Der Kredit-Boom platzte, als die Zinsen immer weiter stiegen, spätestens mit der Pleite der US-Investment-Bank Lehman Brothers am 15. September 2008. Was folgte war eine gewaltige Kreditkrise: Investoren fürchteten, dass Schuldner ihren Schuldendienst nicht mehr wie vereinbar leisten könnten.
Der Kreditmarkt kollabierte daraufhin, die Liquidität in den Märkten trocknete aus, die Aktienkurse stürzten in die Tiefe, die Wirtschaft fiel in eine Rezession. Um den Bust abzuwehren, senken die Zentralbanken die Zinsen - unter großer Zustimmung der breiten Öffentlichkeit -, um den Kreditfluss wiederherzustellen, die Kredit- und Geldmengen auszuweiten. Aus dem "Bust" sollte ein neuer "Boom" werden.
Doch mittlerweile ist dieses Vorgehen, den Bust mit der Ausgabe von immer neuem Geld abzuwehren und in einen neuen Boom umzumünzen, zum Problem geworden: Die Inflation der Konsumgüterpreise hat stark zugelegt, ist in der westlichen Welt bereits alarmierend hoch. Im April 2022 lag sie in den Vereinigten Staaten von Amerika bei 8,3 Prozent, im Euroraum im April bei 7,5 Prozent, in Deutschland bei 7,8 Prozent. Angesichts des Inflationsproblems hat die US-Zentralbank (Fed) den Leitzins bereits zwei Mal angehoben, andere Zentralbanken haben nachgezogen oder werden es wahrscheinlich noch tun.
Der "perfekte Sturm" bezeichnet ein verheerendes Unwetter, das selten eintritt, und für dessen Auftreten zahlreiche Bedingungen zusammenkommen müssen. So gesehen ist es vielleicht nicht zu weit hergeholt, wenn man sagt, dass einige Entwicklungen im Gange sind, aus denen, wenn sie in unglücklicher Weise zusammentreffen, so etwas wie ein "perfekter Sturm" im Weltfinanz- und -wirtschaftssystem erwachsen könnte.
Die Neuordnung der politischen Machtverhältnisse auf der Welt ist seit geraumer Zeit im Gange, hat nun aber Fahrt aufgenommen. Weil Staaten und Staatenverbände dabei nicht nur gemeinsame Interessen, sondern vor allem auch konfliktäre Ziele verfolgen, verläuft sie alles andere als spannungsfrei ab. Der Ukraine-Krieg birgt unverkennbar militärisches Eskalationspotential nicht nur für Europa. Denn er ist längst zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Westen unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika und Russland geworden, wenn nicht gar zwischen der NATO und der Russland-China-Allianz.
Dass China seine wirtschaftliche und vor allem auch seine ideologische Einflusssphäre nicht nur in Asien, sondern insbesondere auch in der westlichen Welt zu erweitern sucht, ist hinlänglich bekannt. Chinas Strategie wurde spätestens unter der US-Präsidentschaft von Donald J. Trump in den öffentlichen Blick gerückt. Die US-Administration von Joe Biden hat die von Trump erlassenen Handels- und Technologierestriktionen gegenüber China übernommen.
Eine eigene China-Strategie wird sie zwar erst in Kürze vorstellen, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass man wohl nicht stärker konfrontativ vorgehen wird, sondern vielmehr darauf setzen wird, dass sich China durch die eigenen Politikfehler (Technologieregulierung, steigende Energiekosten, Abfluss von Auslandskapital, Immobilienmarktkrise, "Zero-COVID") selbst schwächt und sein Expansionsdrang nachlässt.
Gleichzeitig geht der Westen, unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika, in anderer Weise in die Offensive, sucht seine Einflusssphäre auf dem Globus weiter auszubauen. Das zumindest legt der Vortrag der britischen Außenministerin, Liz Truss, nahe, den sie am 27. April 2022 im Mansion House, London, gehalten hat. Die US-linientreue britische Position verdient an dieser Stelle Erwähnung: Truss plädierte für eine "globale NATO", die "global" auf Bedrohungen von Aggressoren reagieren müsse.
Sie vertritt damit die Idee einer globalen Ausdehnung der NATO, die letztlich vor allem eine an China gerichtete Kampfansage ist. Obwohl diese Idee bisher nur auf dem Papier steht, entspricht sie doch recht genau der herrschenden Logik der interventionistischen US-Außenpolitik, die seit Jahrzehnten mit militärischen Machtmitteln betrieben wird.
Die Dinge werfen ihre Schatten voraus: Dass der Angriff Russlands auf die Ukraine viel mehr als ein regional begrenzter Krieg ist, zeigt die zunehmende finanzielle und vor allem militärische Unterstützung der NATO-Staaten für die Ukraine. Der Krieg versetzt die USA in die Lage, Russland als geopolitischen Machtfaktor zurückzudrängen, indem es militärisch und wirtschaftlich überfordert wird; und nicht zuletzt indem das politische Ansehen der Putin-Regierung im In- und Ausland verschlechtert, die Kooperation mit Russland quasi unmöglich gemacht wird.
In der westlichen Welt nehmen die staatlichen Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft seit Jahr und Tag zu. Mit den zunehmenden geopolitischen und geomilitärischen Konfrontationspotentialen verstärkt sich dieser Trend. Das geht unweigerlich zu Lasten des freien Wirtschaftens (oder dem wenigen, welches noch davon übrig ist). Beispielsweise werden Investitionen weltweit nicht mehr vorwiegend aufgrund relativer Kostenvorteile getätigt, sondern politische Risikofaktoren spielen eine verstärkte Rolle bei den Investitionsentscheidungen: beispielsweise Risiken, die aus einer möglichen Sanktionierung eines Landes erwachsen; oder Risiken, die aus einem militärischen Konflikt resultieren.
Das wiederum verschlechtert die Effizienz der internationalen Arbeitsteilung und des Güterhandels. Das ist problematisch, schließlich ist gerade die Arbeitsteilung die Quelle für den weltweiten Wohlstand. Und werden die internationale Arbeitsteilung und der Handel erschwert, steigt auch die Gefahr für Konflikte.
Menschen, die sich arbeitsteilig national und auch über Grenzen hinweg organisieren, erkennen sich als gegenseitig nützlich zur Erreichung ihrer persönlichen Ziele an. Sie entwickeln ein Interesse am gegenseitigen Wohlergehen. Deshalb werden Menschen, die die produktive Wirkung der Arbeitsteilung und des Handels verstanden haben, auch keine Kriege gegeneinander führen.
Hingegen sind es Staaten (wie wir sie heute kennen), die immer wieder für Kriege sorgen. Sei es, um ihre Macht auszuweiten, sei es mit dem Ziel, nicht von anderen Staaten übertrumpft zu werden; es können auch Sonderinteressengruppen sein, die den Staat für ihre Zwecke einspannen, und die militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele einsetzen lassen. Die wachsenden Spannungen zwischen den großen Staaten und staatlichen Machtblöcken - für die letztere selbst sorgen! - sind daher kein gutes Omen für Wachstum, Beschäftigung und Frieden auf der Welt.
Eine Verschlechterung der Wachstums- und Beschäftigungsaussichten ist ein handfestes Problem für das heute weltweit vorzufindende Fiat-Geldsystem. Lässt das Wirtschaftswachstum plötzlich nach, oder schrumpft die Wirtschaft, verschlechtert sich die Schuldentragfähigkeit der Volkswirtschaften. Das ist leicht einzusehen: Wachstumsverluste verschlechtern die Kreditqualität in den Bilanzen der Banken.
Müssen Schuldner die Hand heben, und kommt es zu Kreditausfällen, schwinden die Reserven der Kreditinstitute. Reichen die Reserven zur Verlustdeckung nicht aus, wird ihr Eigenkapital aufgezehrt. Das wiederum lässt die Geldhäuser vorsichtiger werden bei der Neukreditvergabe. Die Erhältlichkeit von Krediten verschlechtert sich, die Kreditkosten steigen an. Versiegt aber der Zustrom neuer Kredite, und steigen die Kredit- und Kapitalkosten, kippt der Wirtschaftsaufschwung in einen Abschwung, vielleicht sogar in eine Rezession ab.
Man erinnere sich an dieser Stelle nur einmal an die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Gegen Ende eines fulminanten Kredit-Booms begann die Fed im Juni 2004 die Zinsen zu erhöhen. Der Kredit-Boom platzte, als die Zinsen immer weiter stiegen, spätestens mit der Pleite der US-Investment-Bank Lehman Brothers am 15. September 2008. Was folgte war eine gewaltige Kreditkrise: Investoren fürchteten, dass Schuldner ihren Schuldendienst nicht mehr wie vereinbar leisten könnten.
Der Kreditmarkt kollabierte daraufhin, die Liquidität in den Märkten trocknete aus, die Aktienkurse stürzten in die Tiefe, die Wirtschaft fiel in eine Rezession. Um den Bust abzuwehren, senken die Zentralbanken die Zinsen - unter großer Zustimmung der breiten Öffentlichkeit -, um den Kreditfluss wiederherzustellen, die Kredit- und Geldmengen auszuweiten. Aus dem "Bust" sollte ein neuer "Boom" werden.
Doch mittlerweile ist dieses Vorgehen, den Bust mit der Ausgabe von immer neuem Geld abzuwehren und in einen neuen Boom umzumünzen, zum Problem geworden: Die Inflation der Konsumgüterpreise hat stark zugelegt, ist in der westlichen Welt bereits alarmierend hoch. Im April 2022 lag sie in den Vereinigten Staaten von Amerika bei 8,3 Prozent, im Euroraum im April bei 7,5 Prozent, in Deutschland bei 7,8 Prozent. Angesichts des Inflationsproblems hat die US-Zentralbank (Fed) den Leitzins bereits zwei Mal angehoben, andere Zentralbanken haben nachgezogen oder werden es wahrscheinlich noch tun.