Der perfekte Sturm
13.05.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Es ist kein Geheimnis, dass Inflation den überschuldeten Staaten in die Hände spielt. Inflation entwertet die reale Schuldenlast des Staates, wehrt ihren Bankrott ab. Und die staatseigene Zentralbank wird, vor die Wahl gestellt, den Staat zahlungsunfähig werden zu lassen oder die Inflation in die Höhe zu treiben, sich absehbar gegen ersteres und für zweiteres entscheiden.Daher sollte man sich als Anleger nicht an die Unschuldsvermutung klammern und auf ihrer Grundlage die künftige Geldpolitik und Inflationsentwicklung abschätzen. Schon jetzt deutet die zu zögerliche Zinswende, die die großen Zentralbanken in Aussicht stellen, an, wohin die Reise geht: Dass gegen die Inflation nicht entschieden genug vorgegangen wird, dass die eigentlich notwendigen Zinshöhen ausbleiben, so dass die Inflation in den kommenden Jahren viel höher ausfallen wird, als es den Bürgern und Unternehmern lieb sein kann. Es ist zu befürchten, dass die Inflation von den Zentralbanken erzeugt wurde, um zu bleiben.
Die wachsenden Probleme im Fiat-Geldsystem haben vermutlich Rückkoppelungseffekte auf die Wirtschafts- und auch die Außenpolitik der Staaten. Hat eine Volkswirtschaft bereits lange mit Fiat-Geld operiert, wird der Anreiz groß, bei Finanz- und Wirtschaftskrisen "große Opfer" zu leisten, um das System über Wasser zu halten, vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
Beispielsweise wird die Konjunktur durch schuldenfinanzierte Ausgaben in Gang gehalten, werden Unternehmen und Arbeitsplätze subventioniert, Banken mit neuem Eigenkapital ausgestattet, Regulierungen verschärft, Kapitalverkehrskontrollen und Preiskontrollen eingeführt etc. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik richtet sich auf den Erhalt des Fiat-Geldsystems aus, andere Ziele - wie den Erhalt der bürgerlichen und unternehmerischen Freiheiten - werden vernachlässigt beziehungsweise aufgegeben.
Die Volkswirtschaft "verformt" sich in eine Art Befehls- und Lenkungswirtschaft. Wachsende wirtschaftliche und finanzielle Probleme geben Regierungen Anreize, durch außenpolitische Abenteuer von ihrer heimischen Verantwortung abzulenken und zu Lösungen zu greifen, die unter normalen Bedingungen keine Zustimmung bei der Bevölkerung finden würden.
Militärische Konflikte eignen sich dafür besonders gut. Sie schaffen Notsituationen, in denen der Zweck die Mittel zu heiligen scheint. Sie machen vor allem den Rückgriff auf die Inflationspolitik opportun. In der Inflation wird zwar ein Übel gesehen, aber dieses Übel erscheint der Öffentlichkeit nunmehr akzeptabel zu sein, um ein noch größeres Übel abzuwenden. Spätestens in Notsituationen wird die Zentralbank zur unerschöpflichen Finanzierungsquelle staatlicher Ausgabenpolitik, und die Inflation wird zur unvermeidbaren Begleiterscheinung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens.
Es ist bekanntlich schwer für eine Volkswirtschaft, sich von der Inflationspolitik, hat man sie erst einmal begonnen, wieder abzukehren. Das lässt sich gut und in Echtzeit beobachten an den zögerlichen Zinserhöhungen der großen Zentralbanken der Welt. Diese Zögerlichkeit hat einen Grund: Die Zinsentwicklung ist von ganz entscheidender Bedeutung für das Weltfinanz- und -wirtschaftssystem. Die Verschuldung im Welt-Fiat-Geldsystem befindet sich nämlich auf einem sehr hohen Niveau: Ende 2021 erreichte die globale Verschuldung einen Rekordstand von 303 Billionen US-Dollar, so das International Institute for Finance (IIF), das waren etwa 351 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes.
Diese Verschuldungslast hat sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter aufgebaut, begleitet von im Trendverlauf sinkenden Zinsen: Im Fiat-Geldsystem senkt die Zentralbank die Marktzinsen im Zeitablauf immer weiter ab, damit der Boom, den sie anfänglich durch die Ausgabe von neuem Geld in Gang gesetzt hat, weitergeht, nicht zusammenbricht. Die Zinsen werden von Krise zu Krise auf immer niedrigere Niveaus geschleust. Der Spielraum, die Zinsen unter den herrschenden Verschuldungsbedingungen anzuheben, ist mittlerweile vermutlich nicht mehr allzu groß, soll eine erneute Rezession verhindert werden.
Das Beunruhigende dabei ist: Die US-Zentralbank und auch alle anderen Zentralbanken der Welt kennen die "richtige Zinshöhe" nicht. Sie folgen vielmehr einem "Versuch-und-Irrtumspfad". Treffen sie den richtigen Zins nicht, gibt es Probleme. Entweder wird die Inflation befeuert, wenn der Zins zu niedrig bleibt; oder das Finanz- und Wirtschaftssystems erleidet eine Bruchlandung, weil der Zins zu hoch gesetzt wird.
Aus unserer Sicht steigt die Wahrscheinlichkeit einer Bruchlandung, wenn die US-Zentralbank ihren Leitzins über das Niveau von 2,5 bis 3,0 Prozent hinaus anzieht. Wie weit sie letztlich geht, um die Kreditkosten in die Höhe zu setzen, hängt von den Wachstums- und Beschäftigungseinbußen, von Kursverlusten in den Aktien- und Häusermärkten ab, die durch die Zinsanhebung entstehen. Das führt zur Kernfrage: Wie groß ist der Schmerz, den die Volkswirtschaften aushalten können und wollen? Anders gefragt: Wie stark kann und darf die Rezession in einem Fiat-Geldsystem ausfallen, um die Inflation zu senken?
Die Leidensfähigkeit der westlichen Wohlfahrtsstaaten ist eher gering zu veranschlagen, und die Akzeptanz für die weitreichenden strukturellen Veränderungen in den Volkswirtschaften, die eine große Rezession, ein Bust, unweigerlich herbeiführen würde, dürfte nicht sonderlich groß sein. Wenn unter diesen Bedingungen die Zentralbanken nicht unbeirrt und unbedingt das Ziel verfolgen, die Inflation niedrig zu halten, ist der Einstieg in ein Inflationsregime kaum mehr abwendbar.
Die Zentralbankräte stehen längst unter der "Fiscal Dominance", und das wird die Inflation zum Dauerproblem machen: Die Staatsschulden sind so groß geworden, dass die finanziellen Interessen der Staaten die Geldpolitik quasi diktieren. Wie es so weit kommen konnte?
Der sogenannte Interventionismus - er steht für die Idee, der Staat dürfe und solle quasi nach Belieben in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben eingreifen - ist nahezu überall in der westlichen Welt zum Politikideal aufgestiegen. Der Interventionismus sorgt dafür, dass sich der Staat immer weiter ausbreitet in Wirtschaft und Gesellschaft, dass er vor allem auch auf Verschuldung und die Ausgabe von inflationärem Geld setzen kann, um seine Ausgaben zu finanzieren.
Die Idee des Interventionismus liegt letztlich auch weltumspannenden Vorhaben wie dem "Great Reset", der "Großen Transformation" zugrunde, denen zufolge die Geschicke der Menschen auf dem Planeten nicht dem System der freien Märkte überlassen werden dürfen, sondern dass sie vielmehr von zentraler, staatlicher Stelle zu planen und zu steuern sind.
Der Interventionismus sorgt für wachsende geopolitische Spannungen, ausufernde Staatsverschuldung, steigende Fiat-Geld-Inflation, schwindendes Vertrauen in die freie Marktwirtschaft. Er erzeugt gewissermaßen die Zutaten, aus denen nur allzu leicht ein "perfekter Sturm" entstehen kann: die vielleicht bislang schwerste Finanz-, Wirtschafts- und Gesellschaftskrise des Westens.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH