Der Euro stürzt ab. Physisches Gold halten
09.07.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
"Es gibt ein sicheres Zeichen der Selbsterkenntnis: wenn manan sich selbst mehr Fehler bemerkt als an anderen." - Friedrich Hebbel (1813-1863)
Der Euro hat seit Anfang 2021 bis Juni 2022 gut 18 Prozent abgewertet gegenüber dem US-Dollar, der de facto Weltleitwährung. EURUSD steht derzeit bei etwa 1,020 (Abb. a). Warum ist der Euro-Außenwert so stark gefallen (Abb. 1 a)?
Eine mögliche Erklärung ist, dass das Vertrauen der Investoren in die Zukunft des Euroraums zusehends schwindet. Die "grüne Politik" verschlechtert zudem die Prosperitätsaussichten vieler Euro-Länder, allen voran leidet Deutschland, das ökonomisch größte Euro-Teilnehmerland. Im internationalen Standortwettbewerb gerät der Euroraum mehr und mehr ins Hintertreffen. Dass Russland Europa möglicherweise nun auch noch den Gashahn zudrehen könnte, verschärft die Misere.
Quelle: Refinitiv; Graphiken Degussa.
Vor allem aber schwindet das Vertrauenskapital, das die internationalen Investoren der Europäischen Zentralbank (EZB) bislang entgegengebracht haben. Unter der Präsidentschaft von Christine Lagarde ist die EZB endgültig zu eng an die Politik herangerückt, als dass man noch hoffen könnte, die Kaufkraft des Euro werde bewahrt, die Inflation werde nur vorübergehend sein.
Die Aussicht, die EZB werde wie angekündigt die Zinsen im Juli und September anheben, wird mittlerweile in Frage gestellt - weil sich die Konjunkturdaten rapide verdunkeln. Die Mischung aus schwindender Wirtschaftskraft des Euroraums und Zweifel an der Entschiedenheit der EZB, die Inflation zu vermindern, dürften den Euro zusätzlich belasten.
Investoren und Sparer aus dem Euroraum ist zu empfehlen: Halten sie zumindest einen Teil ihres Vermögens in physischem Gold (und Silber).
Wie Abb. 1 b zeigt, war das seit Beginn der Währungsunion vorteilhaft: In Euro gerechnet ist der Goldpreis bis heute um jahresdurchschnittlich 8,7 Prozent gestiegen. Und es gibt gute Gründe zu erwarten, dass das Halten von Gold auch in den kommenden Jahren vorteilhafter sein wird als das Halten von Euro. Der aktuelle Goldpreis ist aus unserer Sicht für langfristig orientierte Anleger attraktiv, um Goldpositionen auf- und auszubauen. Zwar mag der Goldpreis weiterhin schwankungsanfällig sein, aber sehr viel spricht dafür, dass sein Langfristtrend weiter nach oben gerichtet bleibt.
Was aber ist mit dem Zins? Sind nicht die Zentralbanken dabei, die "Zinswende" einzuleiten, und sind nicht steigende Zinsen belastend für den Goldpreis? (Der Grund: Steigt der Zins, nehmen die Opportunitätskosten der Goldhaltung zu - dem Goldhalter entgehen also Erträge, die er durch das Halten von zinstragenden Papieren hätte erzielen können.)
Abb. 2 zeigt, dass die US-Zinsen seit Anfang 2020 bis heute im Trend gestiegen sind, und dass der Goldpreis ebenfalls im Trend zugelegt hat. Wie erklärt sich das? Nun, der Blick auf die Nominalzinsen greift vermutlich zu kurz. Es kommt vielmehr auf den Realzins - den Nominalzins abzüglich der (offiziellen) Inflationsrate - an.
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa.
Die Graphiken in der linken Spalte zeigen unumwunden: Seit mehr als 20 Jahren fällt der Realzins und steigt der Goldpreis. Ein leichtes Ansteigen der Nominalzinsen mag den Anstieg des Goldpreises zeitweise gebremst haben, es hat jedoch den trendmäßigen Preisanstieg des gelben Metalls nicht verhindert. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralbanken die negativen Realzinsen wieder auf oder über die Nulllinie bringen, ist recht gering.
Die Verschuldungslage der Volkswirtschaften lässt das im Grunde gar nicht mehr zu. Wenn die Finanzmärkte erkennen, dass der Raum für Zinssteigerungen begrenzt ist, dass er geringer ist, als es viele derzeit denken, hat der Goldpreis auch wieder gute Chancen, kräftig anzuziehen.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH