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Über das Bestreben, Bargeld abzuschaffen und digitales Zentralbankgeld einzuführen

13.08.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Handeln erfordert den Einsatz von Mitteln. Mittel sind knapp. Zeit ist ein Mittel und damit knapp. Weil Handeln Zeit erfordert (zeitloses Handeln lässt sich nicht widerspruchsfrei denken), bevorzugt der Handelnde eine kürzere Wartezeit bis zur Erfüllung seiner Ziele gegenüber einer längeren. Folglich wertet er das Gegenwartsgut höher als das Gut in der Zukunft (unter sonst gleichen Umständen). Der Wertabschlag, den das Zukunftsgut gegenüber dem Gegenwartsgut erleidet, ist der Urzins.

Der Urzins ist immer und überall positiv. Er kann nicht - und zwar aus handlungslogischen Gründen - auf null oder gar unter null fallen. Und daher kann auch der Marktzins nicht auf null oder gar unter null fallen.

In einem freien Markt, in dem die Menschen freiwillig miteinander kooperieren, ließe sich ein negativer Marktzins nur durch geistige Umnachtung der Marktakteure erklären; oder aber durch Lug und Betrug oder durch Zwang und Gewalt erklären beziehungsweise herbeiführen (wobei man sich dann aber nicht mehr in einem freien, sondern in einem gehemmten Markt befindet).

Das Argument, man müsse Bargeld abschaffen, um der Geldpolitik den nötigen Spielraum für eine Negativzinspolitik zu verschaffen, mag vielleicht auf den ersten Blick plausibel klingen, kann aber einer handlungslogischen Überlegung nicht standhalten; es eignet sich nicht, die Bargeldabschaffung zur Ermöglichung einer Negativzinspolitik zu rationalisieren.

Bargeld verdient vielmehr einen besonderen Schutz. Es ist so etwas wie geprägte Freiheit, hat wichtige Eigenschaften wie insbesondere die Anonymität. Bargeld schützt in besonderer Weise vor staatlichen Übergriffen, beziehungsweise erlaubt es den Bürgern, ihnen auszuweichen. Auf die Dienste des Bargeldes, vor allem seine Schutzfunktion, können freie Menschen nicht verzichten.


IV.

Im Zeitalter der Digitalisierung gerät das Bargeld aus einem weiteren Grund unter Druck. Man sagt richtigerweise, dass es nicht digital (eindeutig), sondern analog (mehrdeutig) ist, dass es nicht virtuell (durch Computer erzeugt, der Möglichkeit nach vorhanden), sondern real ist (es befindet sich in der physischen Lebenswirklichkeit). Bargeld haftet daher das Etikett "althergebracht" und "nicht mehr zeitgemäß" an.

Mit Blick auf "Industrielle Revolution 4.0" und "Smart Economy" gibt es verstärkten Bedarf nach vollautomatischen, programmierbaren Zahlungsdiensten. Zu nennen sind hier zum Beispiel Anwendungen im Bereich des "Internet of Things" (IoT), innovativer Geschäftsmodelle ("Pay-per-Use") oder Machine-to-Machine-Payments (M2M).

Programmierbare Zahlungsdienste stellen Effizienzgewinne und neue Geschäftsmodelle und Märkte in Aussicht, und es wird daher nach einem passenden digitalen Geld gerufen (auch wenn noch gar nicht abschließend klar ist, welchen Anteil derartige Zahlungen am gesamten ‚herkömmlichen‘ Zahlungsvolumen erreichen werden). Der größte Funktionsnutzen bei der Abwicklung programmierbarer Zahlungen wird derzeit tokenisiertem Geschäftsbankengeld, vor allem aber digitalem Zentralbankgeld
beigemessen.

Der Grund: Der Markt für Geld ist staatlich monopolisiert. Der Staat setzt ein Regelwerk, dem die Konkurrenz zum staatlichen Geld zu gehorchen hat, und das bislang erfolgreich Geld-Innovationen fernhält.

Die staatlichen Zentralbanken haben es daher recht einfach, die neuen Transaktionserfordernisse eigenmächtig dahingehend zu interpretieren, dass vor allem die Ausgabe eines - und zwar ihres eigenen - digitalen Zentralbankgeldes wünschenswert und voranzutreiben sei. Derzeit arbeiten Zentralbanken in 87 Ländern (die etwa 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren) daran, Bürgern und Firmen digitales Zentralbankgeld zugänglich zu machen. Neun Länder haben bereits digitales Zentralbankgeld emittiert.

Was ist digitales Zentralbankgeld? Im Kern handelt es sich um nichts anderes als ein Geldguthaben, das Privatmann und Privatfrau (direkt oder indirekt) bei der Zentralbank unterhalten. Bisher bekommen nur Ausgewählte Konten bei der Zentralbank: Geschäftsbanken, staatliche Stellen, manchmal auch Großunternehmen. Mit digitalem Zentralbankgeld öffnet sich die Zentralbank gewissermaßen für das Massengeschäft.

Das Adjektiv "digital" klingt vermutlich für viele Ohren positiv, als Synonym für innovativ, zukunftsträchtig, modern. Anders ist die Zustimmung, die von vielen Seiten dem digitalen Zentralbankgeld entgegengebracht wird, wohl nicht zu erklären. Digitales Zentralbankgeld ist jedoch keine wirkliche "Innovation". Es unterscheidet sich kategorial von digitalen Kryptoeinheiten (wie Bitcoin und Ethereum oder Stablecoins wie Tether, USD Coin oder Binance USD).

Betrachten wir zu Beispiel Bitcoin, so stellen wir fest, dass er dezentral organisiert ist, dem Zugriff des Staates entzogen und mengenmäßig begrenzt ist. Der Bitcoin ist somit ein konzeptioneller Gegenentwurf zum staatlichen Geldmonopol beziehungsweise zum staatlichen Fiat-Geld.

Ein genauer Blick auf die Folgen, die mit der Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld verbunden sein werden, muss vielmehr für Ernüchterung sorgen.

Man sollte nicht meinen, digitales Zentralbankgeld sei "besseres Geld". Es ist vielmehr Fiat-Geld. Und das Fiat-Geld leidet bekanntlich unter einer Reihe von ökonomischen und ethischen Defekten: (1.) Es ist inflationär; (2.) es begünstigt wenige auf Kosten vieler (ist "sozial ungerecht"); (3.) es verursacht Finanz- und Wirtschaftskrisen; (4.) es treibt die Volkswirtschaften in die Überschuldung; und (5.) es lässt den Staat über alle Maße anwachsen auf Kosten der Freiheit von Bürgern und Unternehmern.

Die Probleme, für die das Fiat-Geld sorgt, werden daher nicht durch die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld gelöst - weil digitales Zentralbankgeld Fiat-Geld ist. Nicht nur bleiben die Fiat-Geldprobleme ungelöst, vielmehr werden dadurch neue, gewichtige Probleme heraufbeschworen. Ich komme darauf gleich noch zu sprechen. Zunächst noch einige Anmerkungen zur Ausgestaltung des digitalen Zentralbankgeldes.


V.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, digitales Zentralbankgeld zu gestalten. Beispielsweise kann es in Form von Kontoguthaben (bei der Zentralbank oder bei Finanzintermediären) oder als Token (in "Wallets") bereitgestellt werden; es kann mit oder ohne Zins versehen werden; Zahlungen in digitalem Zentralbankgeld können betragsmäßig begrenzt oder unbegrenzt sein; jeder kann Zugang zum digitalen Zentralbankgeld erhalten oder nur Ausgewählte; der Wechselkurs zwischen digitalem Zentralbankgeld und Bargeld und Geschäftsbankengeld kann auf 1:1 oder auch auf einen anderen politisch bestimmten Kurs festgesetzt werden.

Eine besonders wichtige Frage lautet an dieser Stelle: Wie kommen Sie und ich in den Besitz von digitalem Zentralbankgeld? Auf zwei Wegen.

Der erste Weg: Sie zahlen ihr Bargeld bei ihrer Bank ein. Das so erhaltene Giroguthaben tauschen sie 1:1 in digitales Zentralbankgeld. Entweder indem sie es an die Zentralbank oder an einen Finanzintermediär überweisen, die ihnen digitales Zentralbankgeld gutschreiben, entweder auf dem Konto, das sie bei der Zentralbank oder beim Finanzintermediär unterhalten, oder indem sie ihnen das digitale Zentralbankgeld direkt in ihre "Wallet", in ihr digitales Portemaine, überweisen. Ganz ähnlich läuft es ab, wenn sie ihr Geschäftsbankengeld in digitales Zentralbankgeld eintauschen.


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