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US-Dollar, Zins und Gold - was häufig übersehen wird

05.09.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Die große Schwierigkeit beziehungsweise Herausforderung für den Anleger ist die Frage zu beantworten: "Wann löst sich die Unterbewertung auf? Wie lange wird das noch dauern?" Auf diese Frage gibt es keine abschließend verlässliche Antwort. Doch der folgende Gedanke sollte richtungsweisend sein: Je länger es den Zentralbanken gelingt, die Öffentlichkeit Glauben zu machen, die Zinsen werden steigen, die künftige Inflation werde verringert, desto wahrscheinlicher ist auch ein Andauern der Unterbewertung des Goldpreises. (Siehe hierzu auch den Kommentar am Artikelende.)

Entsprechend gilt: Steigt das Misstrauen in US-Dollar, Euro & Co, wird ein Ansteigen des Goldpreises - das Schließen der Bewertungslücke“ - sehr wahrscheinlich. So viel lässt sich aktuell sagen: Wenn der Zusammenhang zwischen dem Goldpreis und den makroökonomischen Variablen hält, dann wird sich die Lücke irgendwann schon schließen.

Wie wenig die negativen Realzinsen bisher Eindruck auf die Privatanleger machen, zeigen die beiden Abbildungen in der rechten Spalte auf dieser Seite. Obwohl die kurzfristigen Realzinsen so negativ sind wie nie zuvor, ist das Anlagekapital, das Privatanleger in Geldmarktfonds (stellvertretend für kurzlaufende Anlageprodukte, die von Banken angeboten werden) stecken, nach wie vor hoch, es steigt jüngst sogar weiter an.

Das mag ein Indiz dafür sein, dass Anleger das Inflationsproblem nicht wirklich ernst nehmen, als vorübergehend einstufen, sich über die Folgen der negativen Realzinsen (weil sie von positiven Nominalzinsen begleitet werden) nicht im Klaren sind. Umsichtige, informierte Anleger hingegen haben gute Gründe, weiterhin physisches Gold (und Silber) im Portfolio zu halten - beziehungsweise die aktuelle Phase zu nutzen, um Positionen auf- und auszubauen. Dass der Goldpreis in den zwei letzten Jahren weniger stark auf US-Dollar und US-Zins reagiert hat, mag diese Empfehlung noch zusätzlich unterstützen.


Der Goldpreis und die US-Geldpolitik

Die US-Zentralbank (Fed) hat ihren Leitzins seit März 2022 von de facto null Prozent auf nunmehr 2,25 - 2,50 Prozent angehoben. Ende September 2022 wird eine weitere Zinserhöhung erwartet (es wird mit 0,75 Prozentpunkten gerechnet). Damit sollen die Zinserhöhungen aber noch nicht beendet sein. John Williams, Präsident der New York Fed, lies jüngst medienwirksam verlauten, der US-Zins müsse wieder positiv werden.

Das ist eine Aussage, die es in sich hat. Schließlich sind die (kurzfristigen) Zinsen in den USA seit gut 20 Jahren im Negativbereich (siehe die nachstehende Abbildung): Obwohl der US-Leitzins über weite Strecken positiv war, lag der reale Leitzins (als Nominalzins abzüglich der Konsumgüterpreisinflation) zumeist hartnäckig im negativen Territorium.


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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa.


Der "Verfall des Realzinses" im Betrachtungszeitraum von 2000 bis heute ging einher mit einem im Trend steigenden Goldpreis. Natürlich ist der Goldpreisanstieg nicht nur durch den fallenden Realzins zu erklären. Aber der negative Realzins hat zur Goldpreisentwicklung sicherlich auch beigetragen. So gesehen ist die Frage, wie es mit der US-Zinspolitik weitergeht, natürlich von allergroßer Bedeutung für die künftige Goldpreisentwicklung (sowie den Vermögenspreisen insgesamt).

Eine Rückkehr zu "normalen" Zinshöhen, zu einem positiven Realzins ist zwar nicht unmöglich, aber doch recht unwahrscheinlich. Es würde die Produktions- und Beschäftigungsstruktur, die sich in den Dekaden des negativen Realzinses aufgebaut hat, sprichwörtlich umstürzen. Gewaltige volkswirtschaftliche Kosten Produktionsausfälle, Massenarbeitslosigkeit, Kreditausfälle, Bankeninsolvenzen etc.) wären die wahrscheinliche Folge.

Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die US-Zentralbank zunächst weiterschreitet mit ihren Zinserhöhungen - und zwar so weit, bis die offizielle Inflation sich nach unten bewegt, beziehungsweise bis die Konjunktur einbricht, eine krisenhafte Entwicklung sich breitmacht - so wie zuletzt etwa ab Frühjahr/Sommer 2008 -, die dann Anlass gibt, die Geldpolitik wieder zu lockern, auf den Inflationskurs zurückzubringen.

Kurzfristig kann das den Goldpreis belasten. Aber angesichts der gewaltigen (Über-)Verschuldungslage der Weltwirtschaft birgt die US-Geldpolitik großes Erschütterungspotential. In jedem Falle erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass der US-Dollar (wie auch alle anderen ungedeckten Währungen) langfristig gesehen ihre Kaufkraft behalten werden.



Kreditausfallsorgen sind weiterhin "gezähmt"

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Quelle: Refinitiv, Kansas Fed; Graphik Degussa.


Ein Ansteigen (Fallen) der roten Linie signalisiert zunehmenden (abnehmenden) Stress in den Finanzmärkten. Die Lage auf den Finanzmärkten ist nach wie vor relativ "entspannt". Das zeigen verschiedene Finanzmarkt-Stressindikatoren. Investoren sind ganz offensichtlich wenig besorgt, dass es zu Kreditausfällen in größerem Umfang kommen wird; die Märkte sind hinreichend liquide. Man vergleiche dazu nur einem die Ausschläge 2008/2009 (globale Finanz- und Wirtschaftskrise) und Anfang 2020 (Lockdown-Krise):

In diesen Phasen stieg der "Marktstress" gewaltig an und verursachte Turbulenzen in den Finanzmärkten. Die gegenwärtig recht entspannte Lage hat einen Grund: Die Investoren gehen weiterhin davon aus, dass die US-Zentralbank, sollte es hart auf hart kommen, erneut die "Feuerwehr" spielen und die Konjunktur und/oder strauchelnde Schuldner "retten" wird. Das wiederum senkt die Kreditprämien in den Märkten ab, hält die Kredit- und Kapitalkosten relativ niedrig, begünstigt die Marktliquidität - und unterstützt auf diesem Wege den Fortgang der Konjunktur.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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