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Die "Realkasse", nicht die "Nominalkasse" zählt

04.09.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Die Marktakteure schrauben daraufhin ihre Inflationserwartungen und entsprechend die Preisvereinbarungen in ihren Verträgen in die Höhe. Dabei berücksichtigen sie die "Erwartungsfehler", die ihnen zuvor unterlaufen sind. Mit anderen Worten: Die Menschen lassen sich nicht dauerhaft täuschen von der Zentralbank, sie lernen dazu. Die Zentralbank muss daher, wenn sie mit der Geldmengenausweitung einen positiven Realkasseneffekt erzeugen will, die Zuwachsraten der Geldmengen immer weiter erhöhen.

Will also die Zentralbank die mit der Inflation verbundenen Wirkungen aufrechterhalten - beispielsweise Konjunkturanschub, Entschuldung der Staaten, Umverteilung von Einkommen und Vermögen -, muss sie zu immer mehr "Überraschungsinflation" greifen. Doch das wird das Vertrauen in das Geld schwinden lassen, die Inflationserwartungen der Menschen immer weiter in die Höhe treiben. Am Ende eines solchen Prozesses steht, wenn er nicht gestoppt wird, die Hyperinflation: Die Herabsetzung der Kaufkraft des Geldes mit zunehmenden Raten, an deren Ende im Extremfall sogar der Ruin der Währung steht.

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. (1) Nominale Geldmengen dividiert durch die nationalen Konsumgüterpreisindizes. USA: Geldmenge M2; Euroraum: Geldmenge M3. Anmerkungen: Die reale Geldmenge beschreibt - vereinfacht gesagt - die für die Güternachfrage verfügbare Kaufkraft. Eine steigende reale Geldmenge ließe demnach vermuten, dass dadurch - gegebenenfalls mit einer Zeitverzögerung - die Konjunktur belebt beziehungsweise die Güterpreise einen Auftrieb erfahren. Entsprechend wäre davon auszugehen, dass ein Rückgang der realen Geldmenge die Wirtschaft bremst und den Auftrieb der Güterpreise senkt beziehungsweise die Güterpreise unter Abwärtsdruck setzt.



Wo stehen wir?

Der "Realkasseneffekt" hilft zu verstehen, in welche Phase sich die westlichen Volkswirtschaften befinden. Mit Blick auf die voranstehende Graphik dürfte die aktuelle Situation mit der in Phase 4 charakterisiert sein: Nach der gewaltigen Geldmengenausweitung ab Anfang 2020 steigen nunmehr die Güterpreise stärker an, als die Geldmengen zunehmen. Die Realkassen nehmen ab. Das zeigt Abb. 1 für die USA (a) und den Euroraum (b). Wie hier zu erkennen ist, sind die Raten der realen Geldmengenausweitung am aktuellen Rand negativ geworden. Das heißt, die Realkassen schrumpfen, und zwar weil die Güterpreise stärker gestiegen sind, als die Geldmengen zugenommen haben.

Die Konjunkturen werden dadurch gedämpft. Und so paradox es angesichts der aktuell himmelhohen Preissteigerungsraten auch scheint: Der Rückgang der Realkassen wirkt einem weiteren Güterpreisauftrieb entgegen. Anders gesprochen: Die aktuelle Phase, die die Volkswirtschaften aktuell durchlaufen, ist "restriktiv". Perspektivisch gesehen, wirkt die Geldpolitik also bereits in die "richtige" Richtung. Natürlich stellt sich sogleich die Frage: Was werden die Zentralbanken machen? Vor allem drei mögliche Szenarien sind in Betracht zu ziehen.

Das "beste Szenario", mit dem man rechnen könnte, wäre wohl eines, in dem die Zentralbanken mit (leichten) Zinserhöhungen die Konjunkturen zwar, aber nicht aus der Bahn werfen. Die Inflation bliebe hier zunächst sehr hoch, ginge aber nach und nach zurück, weil die Zinserhöhungen die Kredit- und Geldmengenausweitung im Zaume halten und der Realkasseneffekt Konjunktur und Preisauftrieb abbremst. Auf den "Inflationsschock" folgt sozusagen nach und nach eine Normalisierung der Inflation.

Im "schlechten Szenario" kommt es zum Zusammenbruch der Konjunktur und des Finanzmarktes: Die Zentralbanken ziehen die Zinsen mächtig an, die Kredit- und Geldmengenausweitung lässt stark nach. Es kommt zu einer "Stabilisierungsrezession", in deren Folge auch der Inflationstrend bricht, die Inflationsraten nachgeben. Allerdings birgt dieses System eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen "Systemkollaps", weil das Fiatgeldsystem eine derartige Bereinigung, verbunden mit Kredit- und Zahlungsausfällen, vermutlich nicht mehr vertragen kann.

Das dritte Szenario wäre eine zeitlich variierende Mischung aus beiden. Die Zentralbanken heben zunächst die Leitzinsen weiter an, und die Konjunkturen geben nach. Zunehmende Produktions- und Arbeitsplatzverluste sowie drohende Kreditausfälle stellen sich dann jedoch als eine ernste Bedrohung für die Systemarchitektur heraus. Daraufhin schwenken die Zentralbanken wieder auf eine abwartende Politik ein, unterlassen weitere Zinserhöhungen, beginnen mit der Kreditmarktstützung (wie zum Beispiel in Form von Anleihekäufen).

Die Inflation steigt hier zwar nicht weiter an, aber sie geht auch nicht mehr auf ihre ursprüngliche Höhe von ungefähr 2 Prozentpunkten zurück, sondern bleibt merklich darüber - zwischen, sagen wir, 5 und 10 Prozent. Die vorherrschende Hochinflation setzt sich also fest, erweist sich nicht als vorübergehend. Wird aber die erhöhte Inflation zur "Norm", steigt die Notwendigkeit für die Zentralbank, bei der nächsten Krise für eine noch höhere (Überraschungs-)Inflation zu sorgen, damit die gewünschten Effekte - wie Konjunkturbelebung, reale Schuldenreduktion und Umverteilung - herbeigeführt werden (können). Die Grundlage für eine Eskalation des Inflationsproblems wäre gelegt.


Folgen für Anleger

Was bedeutet das für den Anleger? Angesichts der voranstehenden Überlegungen ist es wahrscheinlich, dass die großen Zentralbanken der Welt sich auf einen gewissen "Trade Off" zwischen Inflationsverringerung und Konjunktur- beziehungsweise Systemstützung einlassen werden: Man wird "Abstriche" beim Inflationsziel hinnehmen, um eine schwere Rezession zu vermeiden. Damit ist und bleibt die Inflation eine zentrale Bedrohung für das Anlagekapital.

Anleger sollten daher vor allem ihre Kassenhaltung minimieren: Die Kassenhaltung auf die notwenige Transaktionskasse sowie eine Vorsichtskasse beschränken. Denn die Kaufkraft von Sicht-, Termin- und Spareinlagen sowie Geldmarktfonds und Anleihen werden in den kommenden Jahren weiterhin sehr wahrscheinlich schwinden. Physische Gold- und Silberpositionen bieten sich als Ersatz für insbesondere Bankguthaben, aber auch Rentenanlagen, die mit Langfristorientierung gehalten werden, an.

Aktien sind zudem eine weiterhin zu empfehlende Anlageklasse. Zu beachten ist hier allerdings: In einem inflationären Umfeld ist mit zunehmenden Staatseingriffen (Preiskontrollen, Energierationierung, Exportrestriktionen etc.) zu rechnen. Ein solches Umfeld kann sich daher für so manches Unternehmensmodell als schädlich erweisen, die Gewinnaussichten schmälern oder gar die Unternehmensexistenz kosten. Aktienanlagen sind daher mit besonderer Um- und Vorsicht zu tätigen, vor allem mit Blick auf mögliche staatliche Einflussnahmen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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