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Der inflationäre Boom ist auf Sand gebaut

20.09.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Peter Rohner: Was belastet den Euro zusätzlich zu den tiefen Realzinsen?

Thorsten Polleit: Die globalen Machtverhältnisse verschieben sich. Die Vormachtstellung der USA wird in Frage gestellt, Europa ist der große Verlierer. Der Krieg, genauer: die Sanktionen des Westens schneiden Europa von günstigen Energiequellen ab. Das hat langfristige Konsequenzen, weil es einen gewaltigen Standortnachteil bedeutet gegenüber den USA und China. Es wird vermutlich zu einer massiven Verlagerung der Produktion kommen und zu einem Kapitalabfluss. Auch das wird den Euro unter Druck setzen.


Peter Rohner: Werden die Kosten der Inflation unterschätzt?

Thorsten Polleit: Inflation wirkt wie eine Steuer, macht die Besteuerten ärmer. Sie trifft die sozial Schwächsten am härtesten, denn sie können ihr kaum oder gar nicht entkommen. In Deutschland haben sich die Gaspreise verzehnfacht. Wenn diese Preissteigerungen bei den Konsumenten so ankommen, sind vermutlich viele Haushalte und Firmen ruiniert. Vor allem ist zu beachten: Die Inflation verbittert die Menschen, weil sie Not und Leid schafft. Sündenböcke werden gesucht. Inflation bringt also sozialpolitischen Sprengstoff, wie die Bilder aus Indien, Sri Lanka oder Peru zeigen.


Peter Rohner: Dort sind auch viel mehr Leute arbeitslos. In Westeuropa aber herrscht vielerorts Vollbeschäftigung. Es wird zwar alles teurer, aber dafür hat man noch einen Job.

Thorsten Polleit: Das stimmt. Wir befinden uns nach wie vor in einem inflationären Boom. Aber der ist natürlich auf Sand gebaut. Er kann nicht ewig so weitergehen. Der inflationäre Boom basiert auf Überraschungsinflation. Er hält nur, solange die Inflation noch höher ist, als wir erwarten. Aber wenn man diese Dynamik nicht stoppt, wird sie zu einer immer höheren Inflation, und aus Hochinflation wird dann irgendwann Hyperinflation.


Peter Rohner: Wie können sich Anleger am besten gegen die Inflation absichern?

Thorsten Polleit: Um es vorauszuschicken: Leider werden nicht alle in Inflationszeiten ungeschoren davonkommen. Einige ja, aber nicht alle. Inflation bewirkt eine Umverteilung: Die einen gewinnen auf Kosten der anderen. Herrscht Inflation, ist es zudem extrem schwer, das Richtige zu tun, weil man nicht im Voraus weiss, welche Assets in Inflationsphasen profitieren und welche nicht. Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass das Kaufen und Halten von Anleihen für die nächsten Jahre kein kluges Investment sein wird. Man kann höchstens versuchen, Anleihen aktiv zu handeln. Verluste werden dem Anleger vermutlich auch Sicht-, Termin- und Sparguthaben bei Banken bescheren.


Peter Rohner: Oft werden Aktien als Mittel gegen Inflation propagiert.

Thorsten Polleit: In einem lesenswerten Aufsatz aus den Siebzigerjahren beschreibt Investorenlegende Warren E. Buffett, wie die meisten Geschäftsmodelle bei steigender Inflation Probleme bekommen. Wenn die Kosten steigen, müssen die Unternehmen diese weitergeben können. Aber das ist vielfach schwierig, wenn gleichzeitig wegen des Kaufkraftverlusts die Nachfrage zurückgeht. Vor allem kapitalintensive Branchen geraten in Schwierigkeiten. Sie werden gezwungen, neues Kapital aufzunehmen. Ihre Fremdkapitalkosten steigen, es gibt eine Verwässerung für Altaktionäre. Beides ist häufig nicht gut für den Aktienkurs.


Peter Rohner: Welche Aktien bzw. Unternehmen sind besser geschützt?

Thorsten Polleit: Unternehmen mit unersetzlichen Gütern stehen besser da, wenn die Inflation hoch ist. Dass sind solche Firmen, die über Wettbewerbsvorteile verfügen: Sie stellen Produkte her, auf die die Konsumenten nicht verzichten können. Und Konkurrenten sind nicht in der Lage, diesen Markterfolg zu durchkreuzen. Im Grunde ist jetzt "Stock-Picking" gefragt.


Peter Rohner: Negative Realzinsen sollten doch den Goldpreis in die Höhe treiben. Dennoch ist der Goldpreis seit März von 2000 $ auf 1750 $ pro Unze gefallen. Wir erklären Sie sich das?

Thorsten Polleit: Die Entwicklung ist auf den ersten Blick vielleicht enttäuschend: Die Geldmengenausweitung der letzten Jahre hätte einen viel höheren Goldpreis erwarten lassen. In der Tat: Der langfristige Zusammenhang zwischen Geldmenge, Realzinsen und Kreditmarktkonditionen spricht für einen Goldpreis von derzeit etwa 2.200 US-Dollar pro Feinunze. Warum ist der Preis nicht dort?

Meine Interpretation: Gold ist derzeit viel zu billig. Sein Preis wird aber früher oder später wieder anziehen - und dem Anleger eine attraktive Rendite bescheren. An dieser Stelle will ich noch erwähnen: Der durchschnittliche Anstieg des Goldpreises betrug in den vergangenen zwanzig Jahren etwa 8% pro Jahr. Das Gold hat also dem Anleger nicht nur einen Inflationsschutz gegeben, sondern auch einen realen Wertzuwachs. Ich denke, dass wird auch in den kommenden Jahren der Fall sein.


Peter Rohner: Wie beurteilen Sie die Aussichten von Minen-Aktien?

Thorsten Polleit: Das Geschäftsmodell der Minenunternehmen ist nicht sonderlich attraktiv. Explorationserfolge sind unsicher, das Ganze ist sehr kapitalintensiv. Bis das Gold gefördert ist, fallen erhebliche Kosten an für Maschinen, Löhne und Energie. In einer Inflationsphase wie aktuell kommen Minenunternehmen rasch in Bedrängnis. Beispielsweise weil die Produktionskosten stark ansteigen, das Gold aber noch nicht gefördert ist. Entweder verschulden sich die Formen oder sie geben neue Aktien aus. Beides ist meist nicht förderlich für den Aktienkurs.


Peter Rohner: Dann doch lieber Gold.

Thorsten Polleit: Es ist etwas anderes, ob Sie Gold kaufen oder Goldaktien. Bei den Minenaktien gehen die Anleger ein betriebswirtschaftliches Risiko ein. Man muss sich auf das Management verlassen, im schlimmsten Fall kann das Unternehmen Pleite gehen. Man braucht sehr gute Kenntnisse, um mit Minenunternehmen erfolgreich Investitionen tätigen zu können. Physisches Gold ist, wie ich es gern bezeichne, das "Grundgeld der Menschheit". Es trägt kein Pleiterisiko. Es ist aus meiner Sicht sinnvoll, zumindest einen Teil des Anlagevermögens in physischem Gold zu halten. Das gelbe Metall ist nicht zuletzt eine Versicherung, die im Fall der Fälle greift.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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