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Herbert Saurugg: Katastrophenwinter 2022/23 - Fiktion oder bald Wirklichkeit?

29.11.2022
"Wir können die Realität ignorieren, aber nicht die Konsequenzen einer ignorierten Realität."

Dieser Beitrag zeigt ein düsteres, aber realistisches Szenario für den kommenden Winter auf, das nur für wenige Menschen vorstellbar ist. Es handelt sich jedoch um keine Vorhersage, sondern um eine Risikoabschätzung, die mögliche erwartbare Entwicklungen beschreibt. Denn das Verständnis für die Details ergibt sich stets aus der Kenntnis des Ganzen und nicht umgekehrt [vgl. Meadows (1973)], was für eine erfolgreiche Risikoreduktion und Krisenbewältigungsfähigkeit entscheidend ist. Trotz aller Sorgfalt bleibt bei einer derart hohen Anzahl von externen Faktoren und nicht rational erklärbaren Entscheidungen eine hohe Unsicherheit bezüglich des tatsächlichen Verlaufs bestehen.

Daher sollten wir die verbleibende Zeit nutzen, um zumindest jene Maßnahmen in der Krisenvorsorge, bei welchen mit minimalem Aufwand maximaler Erfolg erzielt werden kann, zu implementieren. Das Ganze immer in der Hoffnung, dass es doch anders kommen möge, aber wenn doch, dann sind wir vorbereitet. Hoffnung allein ist jedoch zu wenig!

Verantwortungsträger neigen zur Truthahn-Illusion oder meiden wider besseres Wissen die notwendige Aufklärung und Sicherheitskommunikation, um die Gesellschaft auf einen möglichen Katastrophenwinter vorzubereiten. Meist mit dem gut gemeinten Argument, dass man die Menschen nicht verunsichern möchte. Genau damit wird der Grundstein für ein chaotisches und unüberlegtes Handeln gelegt, weil Menschen unter Stresssituationen zum Tunnelblickverhalten neigen. Übertriebene "Hamsterkäufe" sind etwa ein Ausdruck davon.

Ein anderes Argument ist, dass die Menschen jetzt krisenmüde seien und man sie daher nicht mit einem weiteren Thema konfrontieren möchte. Wir haben aber nun nicht wie bisher nur eine Krise vor uns, sondern gleich mehrere schwere, die sich auch noch wechselseitig verstärken können. Daher wird es mit jedem Tag schwieriger, der Bevölkerung den Ernst der Lage zu vermitteln, ohne Überreaktionen auszulösen. Uns fehlt als Gesellschaft die fundierte Basis, um mit solchen Hiobsbotschaften umgehen zu können. Die fehlende Sicherheitskommunikation und "Geistige Landesverteidigung" der vergangenen Jahrzehnte fällt uns jetzt auf den Kopf.

Ein weiteres Zuwarten und hoffen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird, ist grob fahrlässig und verringert mit jedem Tag die gesellschaftliche Handlungs- und Krisenbewältigungsfähigkeit.

Für die zwingend notwendige gesellschaftliche Krisenfitness braucht es jetzt eine rasche und transparente sowie ehrliche Sicherheitskommunikation, die auch das anspricht, wo man noch keine Antworten hat und wo für alle Unsicherheiten bestehen. Die bisher fehlende Sicherheitskommunikation und gelebte Verantwortungsdiffusion hat bereits zu einem enormen Vertrauensverlust in die Verwaltung und Politik geführt und wird wohl weiter zunehmen.

Wie so oft ist daher das Gegenteil von gut nicht böse, sondern gut gemeint. Noch haben wir die Möglichkeit, sinnvolle Maßnahmen vorzubereiten und umzusetzen. Warten wir nicht weiter zu, sondern beginnen damit, jeder in seinem Bereich!


1. Einführung

1.1 Allgemeines


Steuert Europa und damit auch Österreich auf einen unfassbaren Katastrophenwinter zu? Derzeit gibt es zahlreiche Anhaltspunkte dafür und "schwache Signale" [vgl. Weik (20102)], die scheinbar wie vor über 100 Jahren ignoriert werden [vgl. Clark (2013)]. Wiederholen sich die Muster der Geschichte? Gut möglich. Mit Sicherheit (und damit Evidenz, wie sie von der Wissenschaft gefordert wird) werden wir es erst in den kommenden Jahren wissen. Doch dann kann es bereits zu spät sein.

In diesem Beitrag wird eine systemische Betrachtung und die Darstellung von häufig übersehenen Zusammenhängen versucht, was meistens durch ein abgetrenntes Denken in Einzelteilen ("Silodenken") passiert. Denn aus der systemischen Perspektive gilt: Das Verständnis für die Details ergibt sich stets aus der Kenntnis des Ganzen, nicht umgekehrt [vgl. Meadows (1973)].

Der Fokus liegt in diesem Beitrag vorwiegend auf der Energieversorgung und damit nur auf einem recht eingeschränkten Bereich in der derzeitigen hohen Dynamik und Unsicherheit. Auf die potenziell weitreichenden Folgen für die Wirtschaft, das Finanzsystem oder für uns als Gesellschaft insgesamt, kann nur am Rande eingegangen werden.


1.2 Kumulierende, vernetzte Krisen

Nach dem Ende des Kalten Krieges erlebten wir von 1991 bis 2008 eine sehr stabile Zeit mit einer prosperierenden Wirtschaft. Auch davor herrschte durch das „Gleichgewicht des Schreckens“ eine mehr oder weniger beständige Zeit. Diese sehr lange Phase wurde durch eine Serie von Krisen abgelöst, welche 2007 mit dem Platzen der amerikanischen Immobilienblase losgetreten wurde.

Während sich Risikoexperten der europäischen Banken noch im Sommer 2008 sicher waren, dass die amerikanische Krise keine wesentlichen Auswirkungen auf Europa haben könne, wurden sie und wir alle wenige Wochen später eines Besseren belehrt [vgl. Renn (2014)]. Obwohl der Crash erwartbar war und entsprechende Warnungen von Experten existierten [vgl. Taleb (20135)], wurden diese – wie so oft – ignoriert. Vielmehr gab man sich der Truthahn-Illusion hin, die auch in anderen Bereichen immer wieder zu beobachten ist.


Truthahn-Illusion

Ein Truthahn, der Tag für Tag von seinem Besitzer gefüttert wird, nimmt aufgrund seiner täglichen positiven Erfahrungen (Fütterung und Pflege) an, dass es der Besitzer nur gut mit ihm meinen kann. Ihm fehlt die wesentliche Information, dass diese Fürsorge nur einem Zweck dient: Der Truthahn wird verspeist. Am Tag vor Thanksgiving, bei dem die Truthähne traditionell geschlachtet werden, erlebt der Truthahn eine fatale Überraschung.

Diese Metapher wird in der systemischen Fachwelt als Synonym für den Umgang mit extrem seltenen, aber mit katastrophalen Auswirkungen behafteten Ereignissen (High Impact Low Probability (HILP)-Ereignisse [Weik (2013)], Extremereignisse ("X-Events") oder strategische Schocks [vgl. Casti (2012), Casti et al. (2017), Taleb (2013)]) verwendet. Wir verwechseln gerne das Fehlen von Beweisen mit dem Beweis für das Nichtvorhandensein solcher Ereignisse [vgl. Taleb (2013)].


2. Krisen der näheren Vergangenheit

2.1 Die Coronapandemie und ihre Folgen


Nach der amerikanischen Immobilienkrise folgte eine Krise nach der anderen: Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Staatsschuldenkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, bis Anfang 2020 mit der sich ausbreitenden Coronapandemie eine neue Dimension eingeleitet wurde: kumulierende, vernetzte Krisen, die gleichzeitig auftreten und sich wechselseitig verstärken. Die bisherige Bewältigungsstrategie: massive und stetig zunehmende staatliche Finanzinterventionen haben aber die Probleme eher hinausgeschoben und kumuliert, als gelöst, was auch an der sehr angespannten Situation im Finanzmarkt zu beobachten ist, welcher in Folge der erwartbaren Krisen ebenfalls außer Kontrolle geraten könnte.

Auch bei der Coronapandemie war man noch in vielen Bereichen bis Anfang März 2020 davon überzeugt, dass uns das nichts angehe. Überall fehlten entsprechende Vorbereitungen [vgl. Rechnungshof (2022)], obwohl es seit Jahren entsprechende Warnungen gab [vgl. etwa Deutscher Bundestag (2013)], welche mit der üblichen Truthahn-Illusion beiseitegeschoben wurden.

Dabei hatten wir noch richtig Glück, denn es kam nicht, wie erwartet wurde, zu einer enormen Mortalitätsrate, welche die Versorgung zum Erliegen bringen hätte können. Nur weil wir bisher Glück hatten, sollten wir das jedoch nicht für die Zukunft als garantiert annehmen. Ganz im Gegenteil. Die Wissenschaft warnt weiter vor neuen und heftigeren Pandemien. Haben wir aus den bisherigen Erfahrungen gelernt? Hier darf wohl berechtigter Zweifel angebracht werden, wie auch der jüngste Rechnungshofbericht feststellte [vgl. Rechnungshof (2022)].

Schwere wirtschaftliche Verwerfungen und Folgen blieben bisher aus, was wohl auf den sehr hohen finanziellen Mitteleinsatz zurückzuführen ist ("koste es, was es wolle"). Damit wurden die Probleme jedoch häufig nur in die Zukunft verschoben. Eine notwendige und sinnvolle Bereinigung ("Anpassung") hat kaum stattgefunden. Das ist zwar in bester Absicht passiert, muss aber wohl als Quick-and-Dirty-Lösung klassifiziert werden.


Aktionismus und Quick and Dirty-Lösungen

Eine Quick-and-Dirty-Lösung (QaD) konzentriert sich auf das Symptom und lässt sich sofort umsetzen, während die fundamentale Lösung die Ursache des Problems zu beseitigen versucht. QaD-Lösungen sind meist schnell angewandt, verschlimmern aber langfristig das eigentliche Problem, während fundamentale Lösungen kurzfristig oft deutliche Nachteile bringen und sich erst langfristig als vorteilhaft herausstellen [vgl. Ossimitz (2006)].

Die Folgen andere QaD-Lösungen im Rahmen der Pandemiebewältigung werden erst nach und nach sichtbar. Die massive Zunahme von psychischen Problemen oder die erhöhte Suizidrate unter Kindern und Jugendlichen sind nur ein schlimmer Teil davon, welcher nicht durch die Infektionen, sondern als wenig beachtete Nebenwirkung der Coronamaßnahmen verursacht wurden. Wenig beachtete Nebenwirkungen sind ein typisches Kennzeichen von ignorierter Komplexität.



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