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Eine kurze Anatomie der Geldwertzerrüttung

26.11.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Aber auch bei der Besteuerung von Kapitalerträgen profitiert der Staat von der Inflation (beziehungsweise bei Überraschungsinflation). Nehmen wir an, die Jahresinflation beträgt 10 Prozent. Nehmen wir weiterhin an, ihre Aktie steigt von 100 auf 110 Euro. Im Grunde haben sie real nichts gewonnen, der Aktienkursanstieg hat sie lediglich für die Geldentwertung entschädigt; die 110 Euro sind real so viel Wert wie ihre ursprünglichen 100 Euro.

Aber der Staat besteuert ihren Kursgewinn bei Verkauf mit, sagen wir, 25 Prozent. Das heißt, sie besitzen nach Steuern nicht mehr 110 Euro, sondern nur noch 107,50 Euro - und die 107,50 Euro sind aufgrund der 10 Prozent Inflation real weniger Wert als die ursprünglichen 100 Euro. Der Staat ist reicher geworden auf Ihre Kosten. (Sie müssten also eine Investitionsrendite erzielen, die höher ist also die Inflation, um in realer Rechnung keine Verluste zu erleiden.)


V.

Inflation, ganz besonders die Hochinflation, sorgt für wirtschaftliche, vor allem aber auch für soziale und politische Probleme. Sie wiederum sind quasi das ideale Gelegenheitsfenster, die der Staat für seine Zwecke - dazu gehört insbesondere größer und mächtiger zu werden - nutzt. Der Staat spielt sich zum "Wohltäter" auf:

Öffentlichkeitswirksam subventioniert er die verteuerten Energierechnungen der Haushalte und Unternehmen, gewährt Wohngeld, senkt Steuern, die er jedoch durch eine inflationäre Geldmengenausweitung "gegenfinanziert", so dass für Konsumenten und Produzente keine "echte" Entlastung eintritt. Und geraten Unternehmen, die für den Staat als bedeutsam erachtet werden, in Probleme, werden auch diese subventioniert.

Der Staat kann auch zu Preiskontrollen greifen: Höchstpreise für besonders knappe Güter erlassen, Mindestpreise für überreichlich vorhandene Güter festlegen. Auf diese Weise lässt sich zwar die Inflationsstatistik beschönigen (die ausgewiesenen Inflationszahlen fallen niedriger aus, als sie ohne staatliches Dazutun ausfallen würden). Aber die Folgen von Inflation und Preiskontrollen für das Wirtschaften sind geradezu verheerend: Die nachgefragten Gütermengen stehen nicht zur Verfügung. Sie müssen "zugeteilt", rationiert werden. Das erfordert Willkür, Aufsicht, Vorschriften, Abschreckung, Drohung und bei Missachtung der Vorgaben Bestrafung.

Bei Inflation und Preiskontrollen kommt es sprichwörtlich zu Chaos. Der Nachfrageüberhang nach den Gütern bewirkt keinen Preisanstieg, gibt also den Unternehmen keinen Anreiz, die Produktion auszudehnen. Im Grunde weiß kein Unternehmer mehr, welche Güter besonders dringlich sind, welche Bedürfnisse zuerst befriedigt werden sollen. Die unnötigsten Dinge können dann produziert werden (Pudelmützen im Sommer), während die Erzeugung von wichtigen Gütern (Medikamente, Rohrleitungen) zum Erliegen kommt.


VI.

Eine inflationäre Entwicklung befördert die Verstaatlichungstendenz von Wirtschaft und Gesellschaft: Der Staat dringt vor zu Lasten der Freiheiten von Konsumenten und Produzenten. Das, was von der freien Wirtschaft und Gesellschaft noch übrig ist, kommt zusehends unter die Räder. Die Menschen sparen weniger oder gar nicht mehr, auch die Investitionstätigkeit geht zurück. Wachstum und Beschäftigung leiden, der materielle Wohlstand der Menschen sinkt. Der politische Verteilungskampf über das zusehends unzureichende Güterangebot verschärft sich.

Die Menschen stehen sich zusehends argwöhnisch und feindlich gegenüber. Die Geschädigten suchen nach Entschädigung. Sündenböcke werden ausgemacht: Die Regierenden und ihre Berater geben die Schuld angeblich gierigen Unternehmern, die die Preise ihrer Güter verteuern; oder übertriebenen Lohnabschlüssen der Gewerkschaften, die die Firmen veranlassen, ihre Waren zu erhöhten Preisen anzubieten; oder Ölscheichs, die das Ölangebot verknappen und so den Ölpreis und dadurch die Güterpreise auf breiter Front ansteigen lassen.

Doch die wahre Ursache der Güterpreisinflation, die Geldmengeninflation, wird meist geflissentlich ignoriert beziehungsweise sogar verneint. Wenn die Menschen aber die wahre Ursache der Inflation nicht verstehen, dann wird es ihnen schwerfallen, die Inflation zu stoppen. Gleichzeitig erlaubt es das "Wissensdefizit" den Regierenden, die Inflationspolitik länger und heftiger durchzuführen - im Vergleich zu einer Situation, in der die Regierten die wahre Ursache der Inflation kennen. Was entsteht daraus?

Sehr wahrscheinlich so etwas wie eine Befehls- und Lenkungswirtschaft. Das heißt, die Produktionsmittel (Maschinen, Fahrzeuge, Fabriken) verbleiben formal im Besitz der Privaten (wenngleich Schlüsselbereiche wie Energie und Transport zusehends in staatliche Hände gelangen).

Aber der Staat (und die Sonderinteressengruppen, die ihn für ihre Zwecke einzuspannen gedenken) bestimmen maßgeblich (durch Weisungen und Gesetze), was produziert werden kann, unter welchen Bedingungen die Produktion stattzufinden hat, und wer was wann zu welchem Preis kaufen kann. Die Inflation hilft mit, die freie Wirtschaft und Gesellschaft (beziehungsweise was davon noch übrig ist) gewissermaßen still und heimlich, zu Grabe zu tragen. Das macht sie so besonders gefährlich.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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