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Das Ende steigender Kapitalmarktzinsen

09.12.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Bleiben hingegen die Zinssteigerungen hinter den Anforderungen der Investoren zurück (weil die Inflation zu hoch ist, der Realzins zu tief im Negativbereich verharrt), kann es brenzlig werden. Und zwar dann, wenn die Anleger erkennen, dass die Fed den Zins nicht weiter anheben kann, ohne dadurch Finanzmärkte und Wirtschaft zu "crashen". Der US-Dollar - und mit ihm vermutlich auch alle anderen großen Fiatwährungen auf der Welt - stünden dann wohl vor dem Absturz: Zur Finanzierung der offenen Rechnungen, so das Kalkül der Anleger, wird die Fed immer mehr neues Geld ausgeben, die Kaufkraft des Greenback immer stärker herabsetzen.

In diesem Zusammenhang sei betont, dass das fortschreitende Auftürmen der Schulden, für die das Fiatgeldsystem sorgt, ein Absinken der Zinsen im Zeitablauf erfordert. Das heißt, die Abfolge der Konjunkturzyklen ist begleitet von einem Trend fallender Zinsen. Die Reaktion der Zentralbank auf eine Krise besteht daher auch im sofortigen Absenken der Zinsen. Ist die Krise überwunden, hebt die Zentralbank die Zinsen zwar auch wieder an, aber sie erhöht die Zinsen nicht auf das Vorkrisenniveau. In der voranstehenden Abbildung soll das illustriert werden. Hier ist die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe von 1962 bis Anfang Dezember 2022 zu sehen.

Gut zu erkennen ist der Zinssenkungstrend, der zu Beginn der 1980er Jahre einsetzte. Fast wie mit dem Lineal gezogen, sind die US-Zinsen über die Zeit auf immer niedrigere Niveaus abgesunken. Deutlich zu sehen ist auch der "Ausbruch", der Anstieg der Zinsen seit März 2022. Er hat den langfristigen Abwärtstrend nach oben hin durchbrochen. Das besagt, dass jetzt die Kreditnehmer für neue und fällig werdende Kredite höhere Zinsen zu bezahlen haben als bisher, während die Gesamtverschuldung weitaus höher ist als noch vor wenigen Jahren.

Der Schluss liegt auf der Hand, dass das Fiatgeldsystem unter diesen Bedingungen - steigende Schulden, einhergehend mit steigenden Zinsen - nicht dauerhaft wie bisher fortgeführt werden kann. Wenn es aber das erklärte Ziel ist, das Fiatgeldsystem zu erhalten, dann wird die Fed nicht umhinkommen, die Zinsen bald wieder abzusenken, sie wieder auf die Bahn zu steuern, die durch den langfristigen Abwärtstrend näherungsweise vorgezeichnet ist. So gesehen ist die eingangs geschilderte Erwartung auf den Finanzmärkten, dass der Hochpunkt im aktuellen Zinserhöhungszyklus bei den Langfristzinsen bereits überschritten sein könnte, dass nun die Zinsen wieder absinken werden, durchaus nachvollziehbar.

Abschließend noch ein etwas gewagter(er) Gedanke: Verlängert man den Zinstrend in der obenstehenden Graphik "bis zum Ende", stößt man in einigen Jahren (im hier betrachteten Fall etwa 2034) auf die Nulllinie. Und genau dorthin wird man die Zinsen führen müssen, wenn das Fiatgeldsystem, so lange es eben geht, aufrechterhalten werden soll. Der Weg dorthin wäre sehr wahrscheinlich von negativen Realzinsen begleitet, von einer schrumpfenden Kaufkraft des Geldes. Sollte es wirklich soweit kommen, dass der Zins die Nulllinie erreicht, wäre allerdings die moderne arbeitsteilige Volkswirtschaft sprichwörtlich zu Ende.

Ohne einen positiven (Nominal-)Zins hört das Wirtschaften, wie wir es im neuzeitlichen Westen kennen, auf. Ohne Zins wird niemand bereit sein, seine Ersparnisse für eine gewisse Zeit auszuleihen. Investoren finden keine Fremdmittel mehr, um ihre Projekte in die Tat umzusetzen. Das Sparen hört auf, das, was nicht aus dem laufenden Einkommen konsumiert wird, wird gehortet. Der Kapitalstock der Volkswirtschaft wird sprichwörtlich verkonsumiert, und ist er erst einmal aufgebraucht, wird er nicht wieder erneuert, Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen bleiben aus.

Ohne Zins fällt eine Volkswirtschaft in "vorkapitalistische Zeiten" zurück - die Gesundheit, die Existenz, das Überleben größter Teile der Weltbevölkerung wäre vermutlich nicht mehr zu gewährleisten. Dass es tatsächlich möglich ist, zumindest ausgewählte Zinsen zeitweise auf oder gar auch unter die Nulllinie zu bringen, hat die jüngste Vergangenheit gezeigt. Eine Wiederholung ist gut denkbar, wenn dabei die Inflation nicht völlig aus dem Ruder läuft. Doch es wäre ein unheilvoller Zinssenkungstrend, den das Festhalten am Fiatgeldsystem erzwingt.


Ausgewählte Notenbankzinsen - und realer 2-Jahreszins in Prozent*

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. *Nominalzins abzüglich der Jahresveränderung der Konsumgüterpreise.


Sie fragen sich: Warum zeigen wir Ihnen die Abbildungen (a) bis (e)? Antwort: Sie sollen Ihnen zeigen, dass die Realzinsen - die Nominalzinsen nach Abzug der Inflation - chronisch negativ sind. Das heißt: Die Zentralbanken in den großen Währungsräumen entwerten das Geld, und damit entwerten sie auch die Bankguthaben und Staatsschuldpapiere, die viele Menschen für ihre Altersvorsorge halten. Daher: Halten sie nur so wenig wie möglich US-Dollar, Euro & Co, minimieren sie, wenn möglich, ihre Kassenhaltung in diesen Währungen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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