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Einspruch Professor Harari: Der "freie Wille" lässt sich nicht so einfach vom Tisch wischen, verneinen

14.12.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Man kann nicht sagen "Der Mensch handelt nicht", ohne einen Widerspruch zu verursachen: Wer eine solche Aussage macht, der handelt - und widerspricht dem Gesagten. Wer verneint, dass der Mensch handelt, setzt die Gültigkeit dieser Aussage bereits voraus. Aus dem Satz "Der Mensch handelt" lassen sich weitere wahre Aussagen ableiten. Zum Beispiel: Menschen haben Ziele; sie wählen Mittel aus, um ihre Ziele zu erreichen; Mittel sind denknotwendig knapp; Handeln erfordert Zeit; und anderes mehr.

Wenn man den materialistischen Determinismus auf das menschliche Handeln anwendet, dann macht man (bewusst oder unbewusst) die Annahme, dass das Handeln des Menschen nicht voraussetzungslos ist.

Das ist - wie bereits gesagt - zunächst nicht problematisch: Wie bereits gesagt, Handeln, Wille und Wollen des Handelnden sind bedingt, sind das Ergebnis seiner individuellen Entwicklung, seines Werdens im Leben, seiner Vorgeschichte. So gesehen ist sein Handeln nicht in "völlig frei". Das heißt aber noch nicht, dass es keinen "freien Willen" gäbe!

Will man bestreiten, dass der Handelnde einen freien Willen hat, muss man davon ausgehen, dass es Faktoren (biologischer, physischer, chemischer Art innerhalb oder außerhalb des Körpers des Handelnden) gibt, die das menschliche Handeln gesetzmäßig bestimmen. Wie könnte es denn sonst sein?

Doch der Beweis dafür ist bislang nicht erbracht, und er lässt sich auch nicht erbringen. Die Erklärung dafür ist, dass der Mensch lernfähig ist: dass sich sein Wissen, seine Ideen im Zeitablauf ändern, sich ändern können. Und die Aussage, dass der Mensch lernfähig ist, lässt sich nicht widerspruchsfrei verneinen, sie gilt ebenfalls a priori.

Wer sagt "Der Mensch ist nicht lernfähig", der will damit seinem Zuhörer etwas vermitteln, was dieser noch nicht weiß, dass er aber offensichtlich fähig ist zu lernen (sonst würde der Sprecher diese Aussage ja nicht machen). Es handelt sich hier um einen performativen Widerspruch. Und wer sagt "Der Mensch ist fähig zu lernen, nicht lernfähig zu sein", der begeht einen offenen Widerspruch.

Wenn man aber nicht bestreiten kann, dass der Mensch lernfähig ist, dann kann man auch das künftige menschliche Handeln nicht schon heute wissen. Das Wissen, die Ideen des Handelnden, die sein Handeln bestimmen, können sich schließlich über die Zeit verändern. Der künftige Wissensstand des Handelnden, seine künftigen Ideen, sind heute unbekannt, und daher lässt sich aus heutiger Sicht auch das Handeln des Handelnden in der Zukunft nicht wissen.

Erkenntnistheoretisch lässt sich zeigen, dass die Ideen ein "ultimativ Gegebenes" sind, will man die Gründe für das Handeln des Handelnden erklären; dass also die Ideen keiner weiteren Erklärung, keiner "Letztbegründung" mehr zugänglich sind.

Alles, was sich sagen lässt, ist, dass eine bestimmte Person handelt, weil sie selbst sich eine bestimmte Idee (Vorstellung/Theorie) ausgewählt, sie sich zu eigen gemacht hat. Wollte man das bestreiten, müsste man den Beweis antreten, dass die Entstehung, die (Aus-)Wahl der Ideen durch interne Faktoren und/oder externe Faktoren abschließend erklärt werden kann. Aber auch das ist - auf-grund der nicht bestreitbaren (a priori) Lernfähigkeit des Handelnden - nicht möglich.


IV.

Dass die Idee des "unfreien Willens", wie es der materielle Determinismus impliziert - und wie sie Professor Harari vertritt -, logisch widersprüchlich und damit fehlerhaft ist, zeigt auch die folgende einfache Überlegung:

Person X ist Determinist, während Person Y Nicht-Determinist ist; Y meint also, es gibt einen freien Willen. Wenn, wie X meint, der Mensch keinen freien Willen hat, dann ist es absurd (unsinnig), Y davon überzeugen zu wollen, dass der Determinismus wahr ist.

Der Determinist, der den Nicht-Deterministen von seiner Position zu überzeugen sucht, verneint dadurch seine Position: Er muss ja annehmen, dass der Nicht-Determinist, den er von seiner deterministischen Sicht überzeugen will, einen freien Willen besitzt zu entscheiden, sich die Position des Deterministen zu eigen zu machen!

Weil man (1) nicht widerspruchsfrei verneinen kann, dass der Mensch handelt; und weil man (2) nicht widerspruchsfrei argumentieren kann, das menschliche Handeln sei prognostizierbar, durch bestimmte Faktoren (qualitativ/quantitativ) gesetzmäßig erklärbar, lässt sich die Idee eines "freien Willens" nicht vom Tisch wischen,
so mir-nichts-dir-nichts verneinen, wie es Professor Harari tut.

Man kann nicht sinnvoll bestreiten, dass der Handelnde (innerhalb gewisser Grenzen) den Verlauf der Ereignisse selber beeinflussen, ihnen einen anderen Verlauf geben kann im Vergleich zur Situation, in der er nicht handeln würde; und dass er in eben diesem Sinne sehr wohl einen freien Willen hat.

Der Mensch lässt sich folglich nicht als willensfreier Automat denken, der auf einen Impuls auf bestimmte Impulse stets in einer ganz bestimmten Art und Weise reagiert. Sein künftiges Handeln lässt sich (aus handlungslogischen Gründen) nicht prognostizieren und steuern im Sinne von "Wenn X, dann Y".

Dem Menschen den freien Willen abzusprechen, ist vor allem auch deshalb problematisch, weil es ihn zu einem steuer- und lenkbaren Automaten degradiert, es als richtig und möglich erscheinen lässt, die Menschen nach politischen Erwägungen zu "bewirtschaften". Und das öffnet die Tür zur Tyrannei. Man ist gut beraten, an der Idee des freien Willens festzuhalten, wenn das friedvolle und produktive Zusammenleben der Menschen das Ziel ist.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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