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Inverse Zinskurve und Rezessionssorgen

19.03.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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(1) Steigende Zinsen verteuern die Kreditfinanzierung. Unternehmen bemerken, dass sich viele Investitionen bei erhöhten Kreditkosten nicht mehr rechnen. Konsumenten müssen feststellen, dass sie sich steigende Zinskosten (beispielsweise für Hypothekar- oder Autokredite) nicht mehr leisten können. Entsprechend nimmt die Kreditnachfrage ab, es wird weniger investiert und konsumiert, die Wirtschaftsleistung nimmt ab.

(2) Steigende Zinsen führen zu einem Preisverfall von zum Beispiel Aktien und Immobilien. Bei Aktien etwa werden die künftig erwarteten Gewinne mit einem nunmehr erhöhten Zins abdiskontiert. Das senkt den Barwert der Aktie und damit auch ihren Kurswert an der Börse. Zusätzlich führen steigende Zinsen zu erhöhten Zinsaufwendungen bei den Firmen, die ihren Gewinn schmälern, und auch das führt zusätzlich zu niedrigeren Barwerten der Aktien und entsprechend zu geringeren Börsenkursen. Ganz ähnlich verhält es sich bei Immobilien: Auch hier senkt ein steigender Zins den Barwert der Mieteinnahmen und damit den Gesamtwert von Häusern und Grundstücken.

An dieser Stelle sei kurz anhand eines Zahlenbeispiels aufgezeigt, wie stark die jüngsten Zinserhöhungen der Zentralbanken wirken. Betrachten wir eine Anleihe mit einem Nennwert in Höhe von 100 Euro, die ein Zinscoupon von 1 Prozent trägt, und die eine Laufzeit von zehn Jahren hat. Liegt der Marktzins bei 1 Prozent, so beträgt der Barwert der Zins- und Tilgungszahlung(en), die den Marktpreis der Anleihe bestimmen, 100 Euro. Steigt der Marktzins dann auf, sagen wir, 2 Prozent, sinkt der Anleihekurs auf 91,02 Euro – ein Kursverlust von 8,9 Prozent.

Steigt der Marktzins gar auf 4 Prozent, sackt der Kurs der Anleihe auf 75,67 Euro ab – ein Verlust von 24 Prozent. Anleger erleiden dadurch nicht nur Buchverluste in ihren Bilanzen (die sich allerdings bis zum Ende der Laufzeit abbauen, wenn die Schuldner ihren Schuldendienst vollumfänglich leisten). Sie erleiden auch Opportunitätskosten: Sie haben Anleihen mit einer sehr niedrigen Verzinsung gekauft, hätten ihr Geld besser angelegt zum jetzt erhöhten Zins. Als Daumenregel gilt: Je niedriger der Zinscoupon einer Anleihe, desto stärker reagiert ihr Kurs auf Zinserhöhungen. Und je länger die Laufzeit einer Anleihe, desto stärker reagiert sie auf Zinserhöhungen.


(3) Steigende Zinsen verschlechtern die Finanzlage der Schuldner, lassen die Kreditausfallrisiken steigen. Man denke an dieser Stelle nur einmal an die Praxis der "Dauerschuldnerei", die die Staaten betreiben. Staaten nehmen Kredite auf, die, wenn sie fällig werden, durch neue Kredite ersetzt werden, und zusätzlich dazu nehmen Staaten auch noch weitere Darlehen auf. Das kann lange Zeit gut gehen, wenn die Zinsen fallen. In einem solchen Umfeld ist es zuweilen sogar möglich, dass die Zinskosten abnehmen relativ zur Wirtschaftsleistung, obwohl die Verschuldung in die Höhe steigt. Das Problem kommt dann, wenn die Zinsen steigen.

Dabei ist zu beachten, dass die Wirkung steigender Zinsen mit einer Zeitverzögerung einsetzt. Das liegt daran, dass die ausstehenden Schulden nicht sogleich fällig werden und mit einem nunmehr höheren Zins refinanziert werden müssen, sondern jedes Jahr muss ein gewisser Anteil der ausstehenden Schulden durch neue Kredite ersetzt werden. Daher erhöhen sich die Zinsrechnungen in der Volkswirtschaft nicht schlagartig, sondern nach und nach. Ein erhöhter Zins mag anfänglich noch als verkraftbar angesehen werden. Im Zeitablauf tritt dann jedoch zutage, dass der erhöhte Zins die Schuldner überfordert.

Mit Blick auf viele Volkswirtschaften der Welt, insbesondere die in der westlichen Welt, ist folgendes zu beobachten:

(1) Die Verschuldung ist sehr hoch, in vielen Ländern auf Rekordständen, finanziert zu sehr niedrigen Zinsen.

(2) Die langanhaltende Phase der Niedrig- beziehungsweise Nullzinspolitik hat die Produktionsund Beschäftigungsstruktur maßgeblich geprägt, so dass die Zinserhöhungen zu Kapitalentwertung führen, zur Notwendigkeit, Kapital in neue Verwendungen zu lenken.

(3) Steigende Zinskosten erhöhen die Krisenanfälligkeit der Volkswirtschaften, Kreditausfälle werden wahrscheinlicher.

(4) Die Hochinflation, für die die Zentralbanken mit ihrer starken Geldmengenvermehrung gesorgt haben, senkt die realen Einkommen von Konsumenten und Produzenten, bremst die Konjunkturen ab, erhöht die Rezessionswahrscheinlichkeit.

So gesehen scheint die Botschaft der Zinskurve zu sein: Die US-Zentralbank hat mit ihrer Zinspolitik bereits den nachhaltig tragbaren Zins überschritten, und der Prozess der Zinsanpassung geht sehr wahrscheinlich mit einer Abschwächung oder gar Rezession der Wirtschaft einher. Spätestens mit der Pleite der Silicon Valley Bank am 10. März 2023 und deren möglichen Konsequenzen für das USamerikanische und auch weltweite Bankensystem stellt sich die Frage, wann die US-Zentralbank zinspolitisch umschwenkt – das heißt weitere Zinserhöhungen aussetzt beziehungsweise die Zinsen wieder absenkt.

Es ist also wahrscheinlich, dass sich bei den Zentralbanken die Schwerpunkte verschieben: Die Stützung der Banken und der Konjunktur werden wichtiger, als die Inflation auf niedrigere Niveaus zu bringen. Das ist ebenfalls eine Deutung, die der Blick auf die Zinskurve und die Folgen gestiegener Kurzfristzinsen erlaubt.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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