Deflationäre Delle droht im Euroraum
24.06.2023 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Dem Geldmengenwachstum zufolge wird die Güterpreisinflation weiter abnehmen; es könnte in 2024 sogar zu fallenden Konsumgüterpreisen kommen.
Die nachstehende Abbildung zeigt das Jahreswachstum der Euro-Geldmenge M3 und der Konsumgüterpreise im Euroraum seit 2014. Ab etwa Mitte 2016 ist ein recht enger, positiver Zusammenhang zwischen den beiden Zeitreihen zu erkennen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Geldmengenwachstum um 18 Monate nach rechts verschoben wurde. Das heißt, das Geldmengenwachstum war ein Frühindikator für die Güterpreisinflation.
Das Geldmengenwachstum hat allerdings mittlerweile stark abgenommen. Im September 2022 lag es noch bei 12,5 Prozent, im April 2023 war es bereits auf 1,9 Prozent gefallen. Das stark verlangsamte Geldmengenwachstum der letzten Monate spricht folglich für einen ganz erheblichen Abwärtsdruck auf die künftige Güterpreisinflation. Im Herbst des kommenden Jahres wäre sogar denkbar, dass die Güterpreisinflation ein negatives Vorzeichen trägt, dass es zumindest zu einer Phase sinkender Konsumgüterpreise kommt – zu einer "deflationären Delle".
Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Geldmengen- und Güterpreisveränderungen kommt nicht von ungefähr. Die Güterpreisinflation – also das fortdauernde Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front – ist ein monetäres Phänomen. Es tritt immer dann in Erscheinung, wenn (vereinfachend gesagt) das Geldmengenwachstum die Zunahme der Güterproduktion übersteigt. Genau das hat sich im Zuge der politisch diktierten Lockdown-Krisen verschärft: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Geldmenge von Ende 2019 bis heute um knapp 25 Prozent erhöht, während das Wirtschaftswachstum dahinter weit zurückgeblieben ist.
Allerdings muss man an dieser Stelle auch beachten, dass die Zinserhöhungen, die die Zentralbanken in den letzten Monaten eingeleitet haben, zu Umschichtungen geführt haben. Das heißt, Bankkunden haben beispielsweise Sichtguthaben (die in M3 enthalten sind) in langfristige Bankschuldverschreibungen (die nicht in M3 enthalten sind) überführt. In einem solchen Fall nimmt die Geldmenge M3 ab, und der Abwärtsdruck auf die künftige Güterpreisinflation würde tendenziell überzeichnet. Allerdings zeigt sich mittlerweile auch in der Bankkreditvergabe im Euroraum – ein ganz bedeutsamer Kanal für die Geldmengenerweiterung – eine deutliche Verlangsamung.
So gesehen sollte man die Signalfunktion der Euro-Geldmenge M3 nicht leichtfertig außer Acht lassen. Zumal man hier in Rechnung stellen muss, dass die Zinserhöhungen der EZB mit einer Zeitverzögerung wirken.
Das heißt, die Folgen der Kreditverteuerung sind sehr wahrscheinlich noch nicht vollumfänglich in einer Dämpfung der Kredit- und Geldmengenentwicklung in Erscheinung getreten. Zudem wäre zu erwarten, dass weitere Zinserhöhungen der Zentralbank den disinflationären, wenn nicht gar deflationären Druck zusätzlich erhöhen.
Vermutlich würde die EZB sich aber rasch von ihrer Zinserhöhungspolitik abkehren, wenn die Güterpreisinflation stark fällt, geschweige denn negativ zu werden droht. Solch eine Entwicklung wäre vermutlich auch mit einem deutlichen Verlangsamen, wenn nicht gar Rückgang der Wirtschaftsleistung verbunden. So gesehen signalisiert die Geldmengenentwicklung erhebliche Unsicherheit für Euro-Wirtschaft und Finanzmärkte.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH
Die nachstehende Abbildung zeigt das Jahreswachstum der Euro-Geldmenge M3 und der Konsumgüterpreise im Euroraum seit 2014. Ab etwa Mitte 2016 ist ein recht enger, positiver Zusammenhang zwischen den beiden Zeitreihen zu erkennen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Geldmengenwachstum um 18 Monate nach rechts verschoben wurde. Das heißt, das Geldmengenwachstum war ein Frühindikator für die Güterpreisinflation.
Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa.
Das Geldmengenwachstum hat allerdings mittlerweile stark abgenommen. Im September 2022 lag es noch bei 12,5 Prozent, im April 2023 war es bereits auf 1,9 Prozent gefallen. Das stark verlangsamte Geldmengenwachstum der letzten Monate spricht folglich für einen ganz erheblichen Abwärtsdruck auf die künftige Güterpreisinflation. Im Herbst des kommenden Jahres wäre sogar denkbar, dass die Güterpreisinflation ein negatives Vorzeichen trägt, dass es zumindest zu einer Phase sinkender Konsumgüterpreise kommt – zu einer "deflationären Delle".
Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Geldmengen- und Güterpreisveränderungen kommt nicht von ungefähr. Die Güterpreisinflation – also das fortdauernde Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front – ist ein monetäres Phänomen. Es tritt immer dann in Erscheinung, wenn (vereinfachend gesagt) das Geldmengenwachstum die Zunahme der Güterproduktion übersteigt. Genau das hat sich im Zuge der politisch diktierten Lockdown-Krisen verschärft: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Geldmenge von Ende 2019 bis heute um knapp 25 Prozent erhöht, während das Wirtschaftswachstum dahinter weit zurückgeblieben ist.
Allerdings muss man an dieser Stelle auch beachten, dass die Zinserhöhungen, die die Zentralbanken in den letzten Monaten eingeleitet haben, zu Umschichtungen geführt haben. Das heißt, Bankkunden haben beispielsweise Sichtguthaben (die in M3 enthalten sind) in langfristige Bankschuldverschreibungen (die nicht in M3 enthalten sind) überführt. In einem solchen Fall nimmt die Geldmenge M3 ab, und der Abwärtsdruck auf die künftige Güterpreisinflation würde tendenziell überzeichnet. Allerdings zeigt sich mittlerweile auch in der Bankkreditvergabe im Euroraum – ein ganz bedeutsamer Kanal für die Geldmengenerweiterung – eine deutliche Verlangsamung.
So gesehen sollte man die Signalfunktion der Euro-Geldmenge M3 nicht leichtfertig außer Acht lassen. Zumal man hier in Rechnung stellen muss, dass die Zinserhöhungen der EZB mit einer Zeitverzögerung wirken.
Das heißt, die Folgen der Kreditverteuerung sind sehr wahrscheinlich noch nicht vollumfänglich in einer Dämpfung der Kredit- und Geldmengenentwicklung in Erscheinung getreten. Zudem wäre zu erwarten, dass weitere Zinserhöhungen der Zentralbank den disinflationären, wenn nicht gar deflationären Druck zusätzlich erhöhen.
Vermutlich würde die EZB sich aber rasch von ihrer Zinserhöhungspolitik abkehren, wenn die Güterpreisinflation stark fällt, geschweige denn negativ zu werden droht. Solch eine Entwicklung wäre vermutlich auch mit einem deutlichen Verlangsamen, wenn nicht gar Rückgang der Wirtschaftsleistung verbunden. So gesehen signalisiert die Geldmengenentwicklung erhebliche Unsicherheit für Euro-Wirtschaft und Finanzmärkte.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH