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Aus der Boom

01.07.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
"Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krise. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese." So sagten es Marx und Engels. Vor dem Hintergrund des Fiatgeldsystems betrachtet, waren ihre Worte durchaus weitsichtig.

Der US-Leitzins liegt aktuell bei 5,00–5,25 Prozent. Im Frühjahr 2022 befand er sich noch auf der Nulllinie. In sehr kurzer Zeit hat also die US-Zentralbank (Fed) die Kreditkosten sehr stark erhöht. Man wolle, so die Zentralbankräte, die Hochinflation – die die Fed übrigens durch ihre kolossale Geldmengenausweitung selbst verursacht hat – in die Knie zwingen.

Dass das nicht ohne neue Erschütterungen gelingen wird, ist absehbar. Viele private Schuldner werden nicht mehr in der Lage sein, ihren Schuldendienst zu leisten. So lag beispielsweise Ende 2020 der Zins für US-Hypothekenkredite mit einer Laufzeit von 30 Jahren bei 2,7 Prozent, derzeit sind 6,7 Prozent zu zahlen. Im Mai 2020 lag der Zins für Kreditkartenzahlungen bei 14,5 Prozent, jetzt liegt er bei 20,1 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kreditzyklus schon gedreht hat, dass es nun zu einer Phase steigender Kreditausfälle, zu Rezession kommt, ist recht hoch.

Kostenbedingt schränken Kreditnehmer ihre Nachfrage nach neuen Darlehen ein. Banken werden zurückhaltender bei der Neukreditvergabe, sind, wenn überhaupt, nur noch bereit, zu merklich erhöhten Zinsen Geld zu verleihen. Die erhöhten Marktzinsen üben zudem Abwärtsdruck auf die Bewertung der Vermögensbestände aus. Das zeigt sich bereits bei den Preisen vieler Immobilien, insbesondere im gewerblichen Bereich.

Fällt der Marktwert der Sicherheiten, die die Kreditnehmer ihren Kreditgebern zur Verfügung gestellt haben, muss der Schuldner nachschießen. Kann er das nicht, droht die Kreditkündigung und möglicherweise auch die Zwangsversteigerung. Eine Abwärtsspirale kommt in Gang: zunehmende Kreditausfälle, Einschränkung des Kreditangebots, fallende Immobilienpreise.

Und nicht zu vergessen ist, dass der gestiegene Zins auch Konsum und Investitionen abbremst. Das deutet die monetäre Datenlage des letzten halben Jahres an. So schrumpft die US-Geldmenge M2 seit Mai 2022. Im April 2023 lag sie 4,6 Prozent unter ihrem Vorjahresniveau. Zwar sind einige Sondereffekte verantwortlich zu machen für den Rückgang der Geldmenge – zu nennen sind zinsbedingte Umschichtungen von Depositen (die in M2 enthalten sind) in langfristige Bankverbindlichkeiten (die nicht in M2 eingehen). Aber das Bankkreditangebot – die Hauptquelle für die Vermehrung der Geldmenge M2 – hat sich sehr stark verlangsamt. Im Mai 2023 wuchs es nur noch um 1,9 Prozent – im August 2022 noch um 10,1 Prozent.

Die Verknappung der Geldmenge bedeutet, wenn sie nicht rückgängig gemacht wird, zumindest kräftigen Abwärtsdruck auf die künftige Güterpreisinflation, wenn nicht gar einen Rückgang der Güterpreise auf breiter Front. Auf die Güterpreisinflation der letzten Jahre könnte also – und das mag für viele Marktakteure sehr überraschend und irritierend sein – bald Güterpreisdeflation folgen. Zumal in Rechnung zu stellen ist, dass die Zinserhöhungen der Fed mit einer Zeitverzögerung auf das Wirtschaftsgeschehen wirken. Die Folgen der bisherigen Kreditkostenverteuerung sind daher noch nicht vollumfänglich in Erscheinung getreten.

Die Vermutung, dass die Fed-Räte die Zinsschraube bereits zu stark angezogen haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Dafür spricht, dass sie ihre Zinssetzung an der laufenden Güterpreisinflation ausrichten, nicht aber an der Entwicklung der Kredit- und Geldmengen. Und während die nach wie vor sehr hohe Güterpreisinflation höhere Zinsen nahelegt, empfiehlt die schrumpfende Geldmenge keine weiteren Zinserhöhungen beziehungsweise Zinssenkungen. Man muss also den Eindruck gewinnen, die Fed-Räte lassen sich von einem falschen Indikator leiten, vermutlich weil sie der Öffentlichkeit ihre Entschiedenheit signalisieren wollen, etwas gegen die Güterpreisinflation zu tun. Es ist jedoch nicht die laufende Güterpreisinflation, die das Maß der künftigen Geldentwertung bestimmt, sondern die Geldmengenentwicklung.

Kapitalanleger sollten sich folglich nicht in Sicherheit wiegen, der US-Zentralbank werde es schon gelingen, die Hochinflation zu vermindern und gleichzeitig auch die Konjunktur in Gang zu halten. Es wäre schließlich auch nicht das erste Mal, dass die Fed für einen "Bust" sorgt, nachdem sie den "Boom", den sie selbst in Gang gesetzt hat, mit Zinssteigerungen platzen lässt oder gar eine Deflation verursacht. Die Folgen, die eine neuerliche Rezession für die US- und damit auch für die Weltwirtschaft hätte, vor allem auch angesichts der gewaltigen Verschuldungssituation, wäre wahrscheinlich höchst dramatisch: Firmenpleiten, Massenarbeitslosigkeit, Bankensterben, Staatsbankrott.

Angesichts eines solchen Schreckensszenarios würde es jedoch vermutlich nicht gar zu lange dauern, und Regierende und Regierte erblicken in der Ausweitung der Geldmenge, in der Inflationspolitik, wieder einmal die Politik des kleinsten Übels. Doch zunächst heißt es wohl erstmal "Aus der Boom". Und es ist mehr denn je eine offene Frage, ob sich das Schuldenkarussell überhaupt wieder in Gang bringen lässt, ob die Volkswirtschaften im nächsten Bust, in der nächsten Krise, nicht doch einem "Great Reset" anheim-fallen, der sie, nachdem sich der "allgemeine Rettungs- und Krisenbekämpfungswahn" gelegt hat, in einer Kommandowirtschaft aufwachen lässt.

Ein solches Ergebnis stellen übrigens Karl Marx und Friedrich Engels, soweit man ihre Worte aus dem Jahr 1850 vor dem Hintergrund des heutigen Zentralbanksystems, eines Fiatgeldsystems, reflektiert, treffend in Aussicht: "Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krise. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese."


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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