Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Werden Seltene Erden bald selten teuer?

15.03.2011  |  Prof. Dr. Hans J. Bocker
Mode, liebe Mode

Modeerscheinungen und Modeworte kommen und gehen. Mal Petticots, mal Miniröcke, bald Beatlefrisuren oder darauf polierte Vollglatze. Unsere Vorfahren kannten "Potz Blitz" als modischen Ausrufe der Überraschung. Derzeit heißt es eher "echt ätzend", "mega-super-affen-geil", "Spitze" oder in der Schweiz: "tipp-topp". Sogar Wirtschaft, Technik und Metallurgie werden vom Modevirus befallen. So gehören seit einigen Monaten die Modebegriffe der "Seltenen Erden" zum Vokabular der "Szene" sowie der Massenmedien.

Zwar wissen nur wenige Eingeweihte was sich hinter diesem verschwommenen Begriff wirklich verbirgt, doch das hindert den Fernsehgläubigen nicht daran, stolz damit herumzuwerfen. Und die Sprachfaulen haben sogar schon eine Abkürzung erdacht, die mit kühler Routine wenngleich in völliger Unkenntnis der verworrenen Sachlage stolz ins Gefecht geworfen wird: "SE" (englisch "RE" - Rare Earths), und die durch die Massenmedien Totalinformierten kennen auch schon "SEE", also "Seltene-Erden-Elemente".

"Haben sie schon gehört, Frau Meier, der SE Abbau erwärmt das Klima und wer sie nicht hat, ist ganz schlecht dran. Aber wer sie hat ist auch ganz schlecht dran, wegen der Abbaugifte und der vielen Toten".

"Na sowas, Frau Müller. Ich habe gehört, diese SEE werden noch viel viel seltener als sie ohnehin schon sind. Und bei Aldi steht dann so ein Schild: "SE: Nur vorübergehend im Sortiment, bitte bevorraten Sie sich".


Seltene Erden - nicht selten auf Erden

Was Wunder, dass der Verwirrungskoeffizient des Seltenen Erden-Komplexes seltene Höhen erreicht, denn erstens sind sie gar nicht so "selten", Nicht wirklich! In der Erdkruste gibt es eigentlich reichliche Vorkommen, doch nur sehr wenige präsentieren sich als wirtschaftlich abbaubar. Und zweitens sind es auch keine "Erden" wie die Lehmerde auf Bauer Dümmels Feldern bzw. Omas Kompost- oder Blumenerde. Nicht wirklich! Es sind eher relativ seltene Metalle in bestimmten, nicht einmal so seltenen Erdarten.

Und drittens ist der Begriff nicht neu. Nicht wirklich! Die am längsten bekannte Komponente der Seltenen Erden, das Yttrium, so benannt nach dem ersten Fund nahe des schwedischen Städtchens Ytterby, wurde 1794, also kurz nach Mozarts Tod entdeckt. So furchtbar "neu" scheinen sie also nicht zu sein, unsere SE, doch dafür momentan hoch "modisch". Schon 1992 erklärte einer der ganz großen (jedoch physisch sehr kleinen) Oberchinesen vor versammelter Weltpresse: "Araber und Naher Osten haben das Öl, aber wir haben die Seltenen Erden".

Doch kaum jemand nahm zu jener Zeit hiervon Notiz. Damals waren andere Dinge gerade Mode, wie beispielsweise Technologieaktien. Seltene Erden als Modetrend? Undenkbar! Was ist das überhaupt? Doch die gelben Führer des roten Riesenreiches denken und planen nicht in kleinen Quartälchen wie die weissen westlichen Manager mit ihren rosa Träumen unbegrenzter Rohstofflieferungen, sondern in Jahrzehnten.

Sie haben gut lächeln, denn die globale Nachfragekurve steigt steil an. Lag der Bedarf 1950 noch nahe Null. so verbrauchte die Industrie 1984 bereits 20.000 und 2009 dann 135.000 Tonnen. Für 2011 rechnet man mit wenigstens 190.000 Tonnen Bedarf. Tendenz weiter steigend.


"Echt" komplex

Wie kompliziert ist nun die Sachlage wirklich? Der "Fall SEE" erschliesst sich dem Recherchierenden leider nur als "echt ätzend" komplex. Es handelt sich um eine Kollektion von 32 chemischen Elementen. Diese finden sich normalerweise und theoretisch in Vergleich zu Sand oder Lehm relativ selten vorkommenden mineralisierten "Erden" vom "Oxyd-Typ“, aus denen diese Elemente extrahiert werden. Da sind zunächst einmal das bereits erwähnte Yttrium sowie Scandium die vor über 200 Jahren entdeckt wurden.

Weiter gehören zur SE-Familie die Gruppen der Lanthanide wie auch der Actinide. Jede von ihnen enthält 15 Elemente (im Weiteren kurz "SEE" genannt). Da aber die Aktinide im Wesentlichen durch Menschen - ganz ähnlich wie das in der Natur nicht vorkommende Plutonium - künstlich erzeugt werden (die sogenannten "Transurane") gibt es theoretisch zwar 32, aber in der Praxis eigentlich nur 17 SEE, also Yttrium, Scandium und die 15 Elemente der Lanthanide. Wenn wir in diesem Artikel durchweg bei den weltweit verwendeten englischen Begriffen bleiben, sind dies im Einzelnen (mit Element-Nummer und Tabellen-Kürzel): Lanthanum (57, La), Cerium (58, Ce), Praseodymium (59, Pr), Neodymium (60, Nd), Promethium (61, Pm, hochgradig instabil), Samarium (62, Sm), Europium (63, Eu), Gadolinium (64, Gd), Terbium (65, Tb), Dysprosium (66, Dy), Holmium (67, Ho), Erbium (68, Er), Thulium (69, Tm), Ytterbium (70, Yb), sowie Lutetium (71, Lu).

Yttrium und Scandium zählt man zu den SEEs, da sie sich meistens in den gleichen Erzkörpern oder Seifen finden, in denen auch die Lanthanide vorkommen, und weil sie ganz ähnliche physikalische und chemische Eigenschaften aufweisen.

Alle SE-Elemente finden sich in Gruppe 3 des Periodensystems der Elemente und zwar in der 6. und 7. Periode, wie aus obiger Nummerierung ersichtlich.

Nach den ersten beiden Entdeckungen in Schweden vor rund 200 Jahren fand man SE als nächstes in den Bergen des südlichen Urals zusammen mit den strategischen Metallen Tantal und Niobium. Im Laufe der Jahrzehnte wurden dann kleine oder größere Lagerstätten in einer Vielzahl von Lokationen, insbesondere in Brasilien gefunden.

Die umtriebigen Geologen fanden auch bald heraus, dass die SEE nicht einfach so gleichmässig verteilt oder als Kategorien sauber vermischt irgendwie in der Erde herumliegen, wie die Kaufartikel auf Lidl-Regalen, sondern ihrerseits noch einmal in anderen Mineralien verborgen sind, etwa wie Zahnräder im Getriebe. Man kann also Zahnräder nicht direkt finden, sondern muß erst nach Getrieben Ausschau halten. Schlimmer noch, um die Getriebe aufzuspüren muß man erst noch Schrottplätze als generelle Fundstellen lokalisieren.


Und noch komplexer

Nachdem man also ein allgemeines Lager fand, isoliert man dort die führigen Minerale. Die Hauptquelle der REE sind die Minerale Bastnasit, Gadolinit, Monazit und Loparit ergänzt durch latheritische Ionen-absorbierende Tonerden von seifiger Konsistenz. Daher wird vielfach auch von "SE-Seifen" gesprochen. In diesen finden sich dann endlich unsere 17 SEE in den verschiedensten Zusammensetzungen. Die Natur hat als großer Komponist sehr verschiedene Stücke geschrieben. Leider ist es nicht möglich, wie der Laie es sich gerne vorstellt, irgendwo ein paar tausend Tonnen SE zu fördern, in denen alle 17 SEE zu finden sind und das möglichst noch zu gleichen Prozentanteilen. Dies bleibt Wunschdenken.

Aus diesen und anderen geologischen und förder-physikalischen Gründen sind die REE leider nur schwierig und kostenaufwendig zu erschliessen und zu extrahieren. Anders wie beim Rohstoff Baumwolle kann man nicht einfach die REE in Routinevorgängen gemächlich abrupfen. Diese Differenz allein schon bedeutet hohe Kosten und hohe Preise. Hinzu kommen die weltweit schwindenden SE-Ressourcen als Preistreiber und der inzwischen berühmte "China-Faktor". Das Reich der Mitte fördert und liefert global gesehen derzeit etwa 97% der SEE, verfügt jedoch physisch "nur" über ca. 35% (oder etwas mehr) aller weltweiten Lagerstätten, insbesondere hochhaltige. Über längere Zeitspannen hinweg, könnte der Westen also einem möglichen Würgegriff der gelben Männer im Osten schon entgehen. Doch davon später.


Bedauernswerte Umwelt

Als weiterer preistreibender Faktor ist der rapide steigende Bedarf der Industrie, insbesondere im Hochtechnologiebereich auszumachen. Die Technologien von morgen sind ohne SEE nicht lebensfähig, und die entsprechend zugehörigen "Sonnenaufgangs-Industrien" hätten keine Zukunft. Ganz allgemein gesprochen schwinden die Erzkörper schon jetzt rasch dahin und neue Entdeckungen machen sich rar. Sie liegen in größeren Tiefen, weiter entfernt in abgelegenen Gebieten, die mit allererster Infrastruktur erst noch kostspielig erschlossen werden müssen. Und dazu weisen die Reserven immer niedrigere Konzentrationen auf. Dies hinwiederum stellt den wirtschaftlichen Abbau zunehmend infrage.

Damit nicht genug: Die Gewinnungsprozeße hinterlassen zum Großteil verheerende Umweltschäden und Toxine, die Pflanze, Tier und Mensch gleichermassen extrem belasten. In China wandelten sich ganze Landstriche in der Umgebung der SEE-Minen zu abgestorbenen Mondlandschaften voller Giftstoffe. Die Minenfelder gleichen im Aussehen halbwegs überstandenem amerikanischen Napalmangriff.

Noch ein Faktor verdient Erwähnung: Die SEE sind so gut wie nicht substitutionsfähig. Das bedeutet, sie können nicht einfach durch andere Materialien, wie Industriemetalle, Glaswolle, Pferdebalsam, Papiergelddruckfarbe, Harnstein, Asbest, Aspirin, Knochenmehl, oder irgendein anderes Element des Periodensystems ersetzt werden. Ihre Eigenschaften sind eben einfach einmalig oder "selten" und damit so werthaltig.


Weil Grün nicht geht, geht Grün nicht!

Billige "Hauruck"-Abbautechnologien kann sich China mit seinen Menschenmassen und seinen gewaltigen Flächen strategisch gesehen ohne weiteres leisten, um extrem kostengünstig zu produzieren. Was sind schon einige hunderttausend vergiftete und tote Chinesen aus einem Pool von 1,4 Milliarden? Das ist weniger als der Ablesefehler bei Volkszählungen und in wenigen Tagen "nachgewachsen". Doch im Westen würden sich die Grünen im Falle von Abbauanträgen in Zustände jenseits der Hysterie hineinsteigern. Diese Partei der Neinsager und Blockierer errichtet routinemäßig immer neue Barrikaden oft unbezahlbarer Hindernisse in der - und um die - Wirtschaft. Doch: "Grün" ist immens teuer! Konkreter: Der Wunschtraum von billigen SEE (nach dem Werbe-Motto: "Ich bin doch nicht blöd"), ist, zumindest in der westlichen Welt, jetzt schon ein Alptraum, der extrem aufwendig und "mega-super-teuer" enden wird.

Das große Paradox: "Grüne" und saubere Industrien können nicht funktionieren ohne SEE, deren Gewinnung sich aber schrecklich unsozial und extrem "ungrün" darstellt. Die grünen Führer sollten ob dieser großen Herausforderung jubilieren, wie sie es jetzt angesichts steil steigender Treibstoffpreise ganz unverholen tun. Endlich stellt sich ihrem zerstörerischem Sendungsbewusstsein - eine voll würdige Aufgabe: Keine grünen Industrien ohne SEE, doch grüne SEE-Gewinnung ist umwelt- und kostentechnisch fast unmöglich. Ihr Dilemma in knappster Form: Weil Grün nicht geht, geht Grün nicht! Wie immer dieses Spielchen ausgeht, eins steht fest: Es wird sehr sehr teuer für die Verbraucher! Doch in echt grüner Terminologie ist dies einfach "alternativlos".


Leicht und schwer

Die ganze Angelegenheit wird noch komplexer, denn es gibt "schwere" und "leichte" SEE. Die "schweren Jungs" der Gruppe sind grundsätzlich seltener in der Natur dazu wesentlich teurer und waren in der Vergangenheit stärker nachgefragt. Im letzten Jahr kehrte sich dieser Trend allerdings vorübergehend um: Die "leichten Mädchen", besonders Lanthanum und Cerium, verteuerten sich um 600 bis 700% während die "schweren Jungs“ sich im Preis in etwa verdoppelten. Für 2011 und 2012 rechnen die Experten mit starkem Preis-Nachholbedarf der "Schweren".

Zur Gruppe dieser Schweren gehören: Ytterbium, Holmium, Yttrium, Lutetium, Thulium, Europium, Terbium, Gadolinium and Dysprosium. Der verbleibende Rest von acht leichten Schwestern gehört zur anderen, früher weniger nachgefragten und preiswerteren Gruppe. Da sich im Hochtechnologie-Sektor jedoch beinahe wöchentlich neue Anwendungsgebiete erschliessen und diese scheinbar nach dem Zufallsprinzip bald dieses, bald jenes Element betreffen und damit dessen spezifische Nachfrage steigern, ist eine auch nur annähernd korrekte Prognose der elementspezifischen Preiszunahmen unmöglich. Dennoch steht eines fest: ALLE 17 Preistrends weisen nur in eine Richtung: Nach oben! Und die Kurven der verfügbaren Reserven kennen nur eine andere Trendrichtung: Nach unten! Der im März 2011 verabschiedete neue Fünfjahresplan Chinas trägt diesen Umständen Rechnung.


Neuer Vierjahresplan

Natürlich enthält dieser auch Planzahlen im Bereich der SE. Schon bald werden entweder die Exportquoten gekürzt, die Ausfuhrzölle angehoben oder die Preise direkt erhöht - oder man läßt alle drei Maßnahmen zugleich greifen. Bisher zeigten die Export-Zolltarife klare Steigerungen. 2006 wurde eine pauschale Ausfuhrsteuer von 10% eingeführt, die 2008 auf 15% für leichte - und auf 25% für schwere REE anzog. Für 2011 dürften zumindest auch die leichten REE ebenfalls mit 25% belastet werden. Aber auch schärfere Maßnahmen sind möglich.

Peking wird als sich rasch entwickelndes ehemaliges Schwellen-Land, welches den Sprung zur Hochtechnologie ohne die Zwischenstufen, die der Westen einst durchlief, schaffen will, dringenden "Eigenbedarf" geltend machen. In der Tat bedeutet diese Strategie Schaffung oder Erhaltung von Millionen Arbeitsplätzen, die die Führung so dringend braucht, um regime-gefährdende Volksaufstände wegen grassierender Unterbeschäftigung zu vermeiden.




Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"