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Greenspan: Der Freeman der Finanzmärkte

10.02.2006  |  Claus Vogt
Unter der Überschrift "Geldpolitische Kurzsichtigkeit" befasste sich die britische Zeitschrift "The Economist" kürzlich mit Alan Greenspans geldpolitischem Wirken. Diesem Beitrag habe ich entnommen, dass Greenspan im Dezember 2005 zum Freeman (Ehrenbürger) der Stadt London gemacht wurde. Damit erhalte er unter anderem das bemerkenswerte Vorrecht, betrunken und in ordnungswidriger Weise aufzufallen, ohne in polizeiliches Gewahrsam genommen werden zu dürfen. Ich schließe mich der im "Economist" geäußerten Bemerkung an, dass diese Auszeichnung bestens zu Greenspan passt, da seine Geldpolitik zu volltrunkenem und ordnungswidrigem Verhalten an den Finanzmärkten und einer Berauschung der Konsumenten führte.

Ich sehe in Alan Greenspan einen verantwortungslosen Opportunisten, der ganz im Sinne zeitgenössischen Politikverständnisses kurzfristige Erfolge anstrebte - auf Kosten des mittel- bis langfristigen Wohlergehens von Wirtschaft und Gesellschaft. Ein endgültiges Urteil über sein Wirken als mächtigster und populärster Notenbanker der Welt, der sogar als größter Notenbanker aller Zeiten bezeichnet wurde, wird erst in einigen Jahren möglich sein, wenn die von mir und einigen wenigen Anderen befürchteten Folgen seiner Politik entweder eingetreten sein werden oder eben nicht.

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US-Geldmenge M3 in Mrd. Dollar, 1960 bis 2006.

Die Grafik zeigt das wichtigste Ergebnis der Greenspan’schen Geldpolitik, nämlich das Wachstum der Geldmenge.
Es ist leicht ersichtlich, dass insbesondere ab 1995 außerordentlich viel neues Geld geschaffen wurde. Das war und ist die notwendige
Bedingung für breit angelegte Preissteigerungen, sei es bei Aktien, Immobilien oder bei den Warenkörben der Konsumenten.


Ein Notenbanker kann genau zweierlei tun. Entweder kann er das Geld- und Kreditmengenwachstum kontrollieren oder den kurzfristigen Zinssatz, niemals jedoch beides zugleich. Entscheidet er sich für ersteres, verfolgt also eine Politik der Geldmengensteuerung, dann muss er dem Zinssatz freien Lauf lassen. Entscheidet er sich hingegen für eine Zinssteuerung, setzt also in seiner scheinbar unendlichen Weisheit den Zins auf beispielsweise 1% fest, dann muss er dem Geld- und Kreditmengenwachstum freien Lauf lassen.

Greenspan entschied sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Paul Volcker für die zweite Variante geldpolitischer Marktmanipulation. Es kann also nicht überraschen, dass in seiner langen Amtszeit das Geld- und Kreditmengenwachstum weit über dem Wirtschaftswachstum lag. Und genau an diesem Punkt setzt unsere Kritik an. Geld- und Kreditmengenwachstum, das weit über das Wirtschaftswachstum hinausgeht, ist nämlich Inflation. Greenspan ist somit einer der größten Inflationisten aller Zeiten. Inflation kann sich in unterschiedlichen Symptomen manifestieren. Das bekannteste sind Preissteigerungen eines amtlich festgesetzten und berechneten Warenkorbs. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass auch Preissteigerungen von Aktien oder Immobilien Inflationssymptome sein können, nämlich dann, wenn die Preissteigerungen anhand vernünftiger ökonomischer Kennzahlen als fundamental nicht gerechtfertigt beurteilt werden müssen. Für dieses Phänomen hat sich der Begriff Spekulationsblase etabliert.

Greenspan trägt aufgrund seiner geldpolitischen Taten ganz maßgeblich die Verantwortung für die wohl größte Aktienblase aller Zeiten, die zumindest teilweise noch immer existiert, und die vermutlich größte Immobilienblase aller Zeiten, die gegenwärtig nicht nur die USA erfasst hat, sondern beispielsweise auch Australien und Großbritannien. Während der Entstehungsphase von Spekulationsblasen ist die Welt scheinbar in Ordnung. Die Wirtschaft wächst, Banken, Versicherungen, Investmentfonds, Anleger und Spekulanten verdienen Geld, der sprichwörtliche Schornstein raucht. Unter der Oberfläche dieses künstlichen, auf Geld- und Kreditmengenwachstum beruhenden Aufschwungs finden allerdings bedeutende falsche Weichenstellungen statt. Es kommt zu Kapitalfehlallokation, zu Fehlinvestments von unter Umständen dramatischen Ausmaßen. Erst wenn die Blase platzt, zeigt sich die Kehrseite der Medaille: Pleiten und Arbeitslosigkeit, faule Kredite und Skandale, Rezession oder sogar Depression. Je größer der künstliche Boom, desto schlimmer fällt die anschließende Gegenreaktion aus. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Rezessionen notwendige Bereinigungsprozesse sind, in denen Fehlentwicklungen der Boomphase korrigiert werden. Schumpeters kreative Zerstörung lässt grüßen. Einen Vorgeschmack dieser unangenehmen Kehrseite von Spekulationsblasen haben wir in den Jahren 2000 bis 2003 erlebt.

Wird der Bereinigungsprozess durch immer weitere Geld- und Kreditmengenausweitungen verhindert - wie beispielsweise in den Jahren 2001 bis 2004 - dann werden die ökonomischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen immer größer. Die gesamte Wirtschaftsstruktur und die Geisteshaltung der Marktteilnehmer passen sich den künstlich geschaffenen Bedingungen des leichten Geldes an. Das verlässliche Eingreifen der Notenbanker bei jeder sich anbahnenden echten oder auch nur eingebildeten Krise (in Greenspans Fall beispielsweise die Mexikokrise 1995, die Asienkrise 1997, die Russland- bzw. Hedgefondskrise 1998, der Jahreswechsel 1999/2000 und der Börsenkrach 2000-2003) führt zu "Moral Hazard", das heißt Anleger und Spekulanten, Banken, Versicherungen und Fonds gehen unvernünftig große Risiken ein, weil sie im Verlustfall nicht mehr voll zur Rechenschaft gezogen werden, sondern sich auf Rettungsaktionen der Notenbank verlassen können (Vollkaskoversicherung für Spekulanten). Solange alles gut geht, verdienen sie schönes Geld. Kommt das unvermeidliche dicke Ende, dann verlieren sie aber nicht entsprechend, sondern werden von ihren Notenbankern herausgehauen - auf Kosten der Allgemeinheit versteht sich.

Die von Greenspan und seinen Jüngern zu verantwortende Politik des immerzu leichten Geldes führt aber auch zu übermäßiger Kreditaufnahme. So stieg die US-Gesamtverschuldung auf über 300% des BIP, weit über den alten Rekord vom Beginn der Weltwirtschaftskrise in den 1930ern, und die Konsumentenverschuldung steht auf Rekordniveau. Die Sparquote in den USA ist negativ. Aber auch die extrem negative Leistungsbilanz der USA ist eine Folge der Greenspan’schen Rezessionsverhinderungspolitik um jeden Preis.

Irgendwann werden die Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten platzen. Ich vermute, dass das bereits in diesem Jahr der Fall sein wird. Dann werden die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre sichtbar und die große Rechnung wird fällig. Falls die US-Notenbank unter ihrem neuen Präsidenten Ben Bernanke dann in derselben Weise reagieren wird wie unter Greenspan, die Märkte also erneut mit Liquidität überschwemmt, dann werden wir uns unweigerlich dem Punkt nähern, an dem das Weltwährungssystem aus den Fugen gerät - mit allen negativen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Der von mir und Roland Leuschel in unserem gemeinsam verfassten Buch "Das Greenspan Dossier", das mittlerweile in der 3., erweiterten Auflage vorliegt, prognostizierte globale Goldpreisanstieg der vergangenen beiden Jahre deutet dieses Endspielszenario bereits an. Vermutlich muss der Goldpreis erst über 1.000 US-Dollar pro Feinunze steigen, damit die zahlreichen Greenspanfans und -jünger zumindest ins Grübeln kommen.

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US-Gesamtverschuldung in Prozent des BIP, 1923 bis 2006. Quelle: Ned Davis Research

Auch diese Graphik zeigt eine Wirkung der Geldpolitik Alan Greenspans. Die Gesamtverschuldung Amerikas, also Staat,
Unternehmen und private Haushalte zusammengefasst, hat den alten Rekord vom Beginn der Weltwirtschaftskrise
in den 30er Jahren bereits vor einigen Jahren gebrochen.





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